
Prof. Dr. Martin Cowie
London – Bislang erschienen Ärzte eher zurückhaltend, wenn es darum ging, eHealth-Technologien in die medizinische Praxis zu bringen. Ein neues Positionspapier der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) stellt diese Sicht in Frage, und setzt die Basis für einen Ausbau dieses Bereichs. Medscape Deutschland sprach auf den Europäischen Kardiologenkongress mit dem Hauptautor Prof. Dr. Martin Cowie vom Imperial College London and the Royal Brompton Hospital in London (Großbritannien) darüber, wie mobile Technologien die tägliche Praxis verändern, und warum insbesondere die Kardiologie digitale Lösungen braucht.
Medscape Deutschland: Bei Ihrem Vortrag sagten Sie, dass es in der Gesundheitsversorgung nicht mehr darum geht, den Patienten zu einem Experten zu bringen, sondern Expertise zum Patienten. In welchen Bereichen sind Ihre Patieten bereits Experten?
Prof. Cowie: Viele Patienten überwachen ihre Krankheit auf unterschiedliche Weise. Manche von ihnen erstellen präzise Excel-Tabellen, andere führen eine papiergebundenes Tagebuch, und besonderes die Jüngeren nutzen verschiedene Arten von Apps. Dabei wird eine Vielzahl von Daten generiert, aber oft fehlt die Beratung zur Interpretation der Ergebnisse. Deswegen fragen Patienten ihren Arzt vermehrt um Rat.
Medscape Deutschland: Auf Seiten des Arztes kann dies schnell ein wenig überwältigend wirken. Wie sollen Ärzten mit Fragen zum Datenschutz oder zur Validität einer App oder eines neuen Geräts umgehen?
Prof. Cowie: Anstelle einfach vor dem Gebrauch dieser Technologien zu warnen wollen wir Kardiologen dabei unterstützen, die steigende Nachfrage zu bewältigen. Deshalb hat die ESC einen Aktionsplan erstellt, um die weitere Implementierung von eHealth voranzutreiben, und um die Mitglieder zu sinnvollen Anwendungen fortzubilden. Wir wollen eine proaktive Rollen spielen, wenn es darum geht, neue Innovationen zu entwickeln, einzuschätzen und zu implementieren.
Medscape Deutschland: Der mobile Gesundheitsmarkt entwickelt sich schnell, viele verschiedene Apps werden jeden Tag online gestellt. Deshalb wissen Ärzte häufig nicht, welche Apps vorteilhaft und welche womöglich nachteilig für den Patienten sind. Werden Sie auch eine Bewertung von Apps zur Verfügung stellen?
Prof. Cowie: Ich glaube nicht, dass die ESC bestimmte Apps in naher Zukunft loben oder empfehlen wird. Allerdings wäre es durchaus sinnvoll, so etwas wie einen TripAdvisor für medizinische Apps zu haben: eine Quelle, auf die sowohl Ärzte als auch Patienten vertrauen können. Mit mehr und mehr mobilen Anwendungen, die derzeit den Markt überfluten, kann es sich manchmal wie ein Tsunami für den Arzt anfühlen, der nach der richtigen App für seinen Patienten sucht.
Medscape Deutschland: Wenn es um die Bewertung einer App geht, ist Datenschutz ein viel diskutiertes Thema. Was muss getan werden, damit der Patient und seine Daten geschützt werden?
Prof. Cowie: Interessanterweise sind junge und gesunde Nutzer oft mehr über ihre Datensicherheit besorgt als jene, die wirklich und oft chronisch krank sind. Besonders für Letztere bedarf es neuer Lösungen, die ihnen dabei helfen, ihre Krankheit zu verstehen und zu überwachen. Und viele jener technologischen Entwicklungen, die wir gerade beobachten, könnten genau das richtige Hilfsmittel hier darstellen.
Medscape Deutschland: Kardiologen sind als Pioniere in Sachen digitale Gesundheit bekannt, nachdem Sie bereits vor 10 Jahren mit dem kardialen Monitoring begannen. Wieso neigen Kardiologen Ihrer Meinung nach dazu, neuen Technologien offener gegenüber zu sein als Ärzte anderer Fachdisziplinen?
Prof. Cowie: Kardiologen nutzen seit langer Zeit eine Vielzahl von technischen Gerätschaften. Das EKG ist nur ein Beispiel für ein hoch technisches Mittel zur Diagnose einer Herzkrankheit. Technische Geräte sind damit Teil der täglichen Routine eines Kardiologen, und viele Kollegen sind sehr neugierig, welche neuen Möglichkeiten weitere Geräte noch eröffnen könnten.
Medscape Deutschland: Welche dieser neuen Technologien werden den Verlauf von Herzerkrankungen radikal verbessern?
Prof. Cowie: Der technologische Fortschritt hat bereits jetzt das Follow-up von Patienten mit implantierbaren Devices wie Defibrillatoren und komplizierten Schrittmachern radikal verändert. Vieles kann mittlerweile aus der Ferne und in vielen Ländern dieser Welt geklärt werden, ohne dass dazu viele persönliche Treffen nötig wären. Und das ist erst der Anfang: Das Follow-up von Patienten mit Arrhythmien wird einfach mit dem iPhone des Patienten möglich sein, zum Beispiel mit Geräten wie AliveCor™. Ebenso gibt es bei Herzinsuffizienz-Patienten bereits eine Reihe von technologischen Lösungen, die den Patienten über seine Erkrankung besser informieren.
Diesen Artikel so zitieren: Follow-up mit dem iPhone: Wie die digitale Medizin die Kardiologie verändern wird - Medscape - 14. Sep 2015.
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