Detailstudie offenbart, wie der Körper zwischen Fettspeicherung und -verbrennung umschaltet

Michael Simm

Interessenkonflikte

10. September 2015

Einen „metabolischen Hauptschalter“ für die menschliche Fettleibigkeit wollen Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard Medical School in den USA gefunden haben. So zumindest wird eine im New England Journal of Medicine erschienene Fachpublikation der hauseigenen Wissenschaftler in den MIT-Nachrichten betitelt [1].

„Die Studie ist ohne Frage ausgesprochen spannend“, kommentiert gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Anke Hinney, Expertin für Molekulare Genetik der Fettleibigkeit und von Essstörungen an der Universität Duisburg-Essen. „Es wurde ein relevanter Schalter im Metabolismus der Fettzellen (Adipozyten) identifiziert und seine Funktion direkt mit einer ‚Adipositasvariante‘ in Verbindung gebracht. Das sind ausgesprochen beeindruckende Befunde“, fügte Hinney hinzu.

 
Die Studie ist ohne Frage ausgesprochen spannend. Prof. Dr. Anke Hinney
 

Doch die Forscher versprechen noch mehr: Dank ihrer Arbeit könne es einen neuen Ansatz geben, die Adipositas zu verhindern und sogar zu heilen.

Der Schlüssel dazu soll die Entdeckung eines neuen Signalweges sein, der den menschlichen Stoffwechsel kontrolliert, indem er Adipozyten dazu anregt, Fett entweder zu speichern oder zu verbrennen. Bisher habe man die Adipositas als das Ergebnis einer Balancestörung zwischen der Menge an aufgenommener Nahrung und dem Ausmaß an Bewegung betrachtet, erläuterte Seniorautor Prof. Dr. Manolis Kellis, Mitglied des Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory am MIT. Die neuen Befunde aber unterstrichen erneut die Bedeutung genetischer Faktoren.

Gleichgewicht des Fettstoffwechsels verschoben

Der angebliche Hauptschalter liegt in dem vor 8 Jahren entdeckten Gen FTO, und zwar in einem von 2 Bereichen, die nicht in ein Protein übersetzt werden. Diese zwischengeschalteten Regionen (Introns) werden zwar bei der Übersetzung der Erbinformation herausgeschnitten, sie spielen jedoch bei der Regulation eine wichtige Rolle. Etwa 44% der Europäer tragen in einem der beiden FTO-Introns mindestens eine von 89 Genvarianten, die mit einem erhöhten Adipositas-Risiko einhergehen.

Kellis und seine Kollegen haben diese Region mit einer mächtigen neuen Technik (CRISPR-Cas9) unter die Lupe genommen und die Genbausteine dort systematisch einzeln verändert. Es zeigte sich, dass der Bereich als sogenannter Enhancer fungiert – also als Verstärker, der über größere Entfernungen hinweg wirkt und die Aktivität der beiden „Fettspeichergene“ IRX3 und IRX5 verdoppelt.

 
Die FTO Geschichte ist sicher nicht zu Ende erzählt, doch ist das Puzzle um viele, viele Teile bereichert worden. Prof. Dr. Anke Hinney
 

In dem Enhancer liegt aber auch die Bindungsstelle für ein Protein Namens ARID5B. Ist die Bindungsstelle besetzt, kann der Enhancer IRX3 und IRX5 nicht aktivieren. Die Folge ist, dass das Gleichgewicht des Fettstoffwechsels sich verschiebt. Während zuvor vorwiegend die Adipozyten im weißen Fettgewebe Energie in Form von Triglyzeriden gespeichert haben, überwiegt nun die Aktivität jener Adipozyten, die im braunen und beigen Fettgewebe Energie in Wärme umwandeln.

„Erstmals wurden diese Vorgänge so tiefgehend funktionell analysiert“, zeigt sich Hinney beeindruckt. Mit einer Effektstärke pro Risikoallel von etwa 1,5 kg Gewichtszunahme handele es sich um einen der stärksten polygenen Effekte auf das Körpergewicht.

„Die FTO Geschichte ist sicher nicht zu Ende erzählt, doch ist das Puzzle um viele, viele Teile bereichert worden. Ob oder wie sehr sich die gewonnenen Erkenntnisse in die klinische Praxis umsetzen lassen werden die nächsten Jahre zeigen“, sagt Hinney.

Monogene Formen der Adipositas extrem selten

Dem stimmen auch Dr. Clifford J. Rosen und Dr. Julie R. Ingelfinger vom Maine Medical Center Research Institute in Scarborough in einem Kommentar zum Fachartikel zu [2]: „Noch gibt es keinen einfachen Weg, der von dieser Forschung zu einer Arznei gegen die Adipositas führt.“

 
Noch gibt es keinen einfachen Weg, der von dieser Forschung zu einer Arznei gegen die Adipositas führt. Dr. Clifford J. Rosen und Dr. Julie R. Ingelfinger
 

Schon einmal hatte es große Aufregung um die Entdeckung eines angeblichen „Fett-Gens“ gegeben: An der Rockefeller Universität in New York City hatte Jeffrey Friedmann das Hormon Leptin und das zugehörige Gen entdeckt. In Mäusen hatte man damit durchschlagende Erfolge erzielt, und die Firma Amgen hatte für 20 Millionen Dollar die Nutzungsrechte erworben.

Dann stellte man aber fest, dass nur bei sehr wenigen adipösen Menschen ein Leptinmangel vorlag. Im Gegenteil haben die meisten stark erhöhte Leptinkonzentrationen, auf die der Körper aber nicht reagiert. Heute weiß man, das monogene Formen der Adipositas selten bis extrem selten sind

„Trotzdem haben wir auch durch die Entdeckung von Leptin extrem viel gelernt; die genetische Analyse des Körpergewichtes hat durch den Befund sehr deutlich an Fahrt aufgenommen“, erinnert sich Hinney. „Wer weiß, wo wir ohne dieses Wissen heute ständen.“

 

REFERENZEN:

1. Claussnitzer M, et al: NEJM 2015;373:895-907

2. Rosen CJ, et al: NEJM 2015;373:964-965

Kommentar

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