Die Studienergebnisse waren für viele enttäuschend: Weder Nahrungsergänzungsmittel noch körperliches Training, über 2 Jahre angewendet, hatten einen günstigen Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit von alten Menschen. So lauten die Ergebnisse zweier Studien, die im August im Journal of the American Medical Association (JAMA) publiziert worden sind [1;2].
„Auch wenn die gut ausgelegten randomisierten, kontrollierten Studien von Sink und Kollegen sowie Chew und Kollegen keinen signifikanten Benefit auf die kognitiven Leistungen nachweisen konnten, sollte das nicht zu einem Nihilismus bezüglich des Einflusses des Lebensstils bei älteren Menschen führen“, warnen Dr. Sudeep S. Gill und Dr. Dallas P. Seitz, beide von der Abteilung für Psychiatrie an der Queen’s Universität in Kingston, Kanada, im Editorial derselben JAMA-Ausgabe [3].

Prof. Dr. Dirk Hermann
Prof. Dr. Dirk Hermann, Lehrstuhl für vaskuläre Neurologie und Demenz, Universitätsklinikum Essen, gibt ebenfalls zu bedenken: „Beide Studien sind eher klein mit wenigen hundert Patienten. Bei so geringer Teilnehmerzahl muss offen bleiben, ob ein Therapieeffekt nachweisbar ist, selbst wenn eine Therapie tatsächlich wirksam ist.“
Nahrungsergänzungsmittel oder ausgewogene Ernährung?
Gill und Seitz verweisen auf epidemiologische Studien mit positiven Resultaten zum Nutzen von Sport und Ernährung, besonders der Mittelmeerdiät. Als Erklärung für die enttäuschenden Ergebnisse aus den beiden randomisierten kontrollierten Studien vermuten sie bezüglich der Nahrungsergänzungsmittel, dass „das langfristige Einhalten einer ausgewogenen, für das Herz gesunden Diät eventuell wirksamer ist als die eher enge Ausrichtung an in Ergänzungsmitteln verabreichten Mikronährstoffen“.
Das ist auch die Vermutung von Prof. Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Köln. „Wir wissen nicht sehr genau, was gesunde Ernährung bedeutet“, sagt er gegenüber Medscape Deutschland. „Die Wirkung einzelner Substanzen wurde schon oft untersucht, seien es Vitamine oder auch Folsäure, und es ist nie etwas herausgekommen. Bei älteren Menschen über einen relativ kurzen Zeitraum an einem Schräubchen zu drehen, bringt vielleicht nicht genug, trotzdem wirken bestimmte Ernährungsmuster.“
Ein Grund hierfür könne sein, dass Vitamine oder auch Omega-3-Fettsäuren mit anderen Faktoren reagierten und damit die Resorption gesteigert werde, vermutet Hermann.
Verschiedenen Vitaminkombinationen nutzten nichts
In der nun publizierten AREDS2-Studie hatten 2.991 ältere Menschen aus 82 US-amerikanischen Kliniken Nahrungsergänzungsmittel erhalten wie Omega-3-Fettsäuren, unterschiedliche Vitaminkombinationen mit Vitamin C, E, Beta-Carotin (Lutein und Zeaxanthin) sowie Zink. Ursprünglich waren in dieser Studie Patienten mit erhöhtem Risiko einer altersbedingten Makula-Degeneration untersucht worden.
In den Sekundäranalysen zeigte sich bei allen Zusatzstoffen, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit nicht signifikant veränderte. Dabei untersuchten auch potenzielle Interaktionen zwischen den Fettsäuren und Lutein/Zeaxanthin, ohne entsprechende Hinweise zu finden.
Auch körperliches Training erbrachte keine Erfolge
Im Rahmen der zweiten Studie mit dem Akronym LIFE untersuchten Dr. Kaycee M. Sink vom Department of Internal Medicine, Wake Forest University School of Medicine, Winston-Salem, USA, und ihre Kollegen insgesamt 1.635 Teilnehmer, von denen 818 über 2 Jahre regelmäßig körperlich trainierten und 817 Teilnehmer ein Gesundheitsprogramm erhielten mit Workshops zu Ernährung inklusive Stretching-Übungen. Per Telefon nahmen die Patienten an kognitiven Leistungstests teil. Auch in dieser Studie besserten sich die Leistungen bei den zwischen 70 und 89 Jahre alten Probanden, die zuvor wenig körperlich aktiv gewesen waren, nicht.

Prof. Dr. Thomas Arendt
„Das wundert mich nicht“, meint Prof. Dr. Thomas Arendt, Wissenschaftlicher Leiter am Paul-Flechsig-Institut, Universität Leipzig. „Es wundert mich eher, wenn hier jemand positive Ergebnisse erwartet hat. Von der Alzheimer-Erkrankung etwa weiß man ja mittlerweile, dass die ersten zur Erkrankung führenden Hirnveränderungen sehr weit zurückliegen.“ Man müsse daher, und das sei unter Wissenschaftlern weitgehend Konsens, sehr früh mit der Prävention beginnen.
Diese Einschätzung teilt auch Hermann. „Dass der Versuch, diese Erkrankung über einen Zeitraum von lediglich zwei Jahren zu beeinflussen, nicht erfolgreich ist, wundert mich nicht. Dennoch wissen wir, dass die Stimulation des Kreislaufsystems Gefäßaussprossungen und das Nervenzellüberleben im Gehirn günstig beeinflusst“, so der Essener Mediziner.
Es gibt noch andere mögliche Erklärungen, warum sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne Sport nachweisen ließen: „Mein Hauptproblem mit der Studie ist die Tatsache, dass hier zwei aktive Protokolle miteinander verglichen werden“, moniert Hermann, „In der Studie wurde regelmäßiger Sport mit Gesundheits-Workshops verglichen. Es kann durchaus sein, dass auch diese Bildungsmaßnahme wirksam ist und den Effekt des Sports aufhebt.“
Ein anderes Problem mit der Studie hat Arendt: „Was wurde eigentlich bei der kognitiven Leistung in den hier vorliegenden Studien konkret gemessen?“, fragt er. „Ist es etwas, das die Alltagstauglichkeit bzw. die Lebensqualität mit bestimmt? Das heißt, wie relevant für den Alltag sind die möglicherweise hierdurch positiv zu beeinflussenden Funktionen?“ Er moniert außerdem: „Derartige punktuelle Messungen, wie sie hier durchgeführt wurden, liefern sehr instabile Ergebnisse. Diese sind abhängig von Vitalität, Motivation, Tagesverfassung und vielen anderen variablen und temporären Störfaktoren.“
Kann Demenz doch vorgebeugt werden?
Dass die Daten zur Prävention von Demenz widersprüchlich sind, zeigt zum Beispiel die im Frühjahr im Lancet erschienene finnische FINGER-Studie. Im Gegensatz zu der LIFE- und der ARIADS2-Studie wurden hier nicht explizit einzelne Lebensstil-Komponenten untersucht, sondern ein multimodaler Ansatz gewählt, bei dem sowohl Diät als auch sportliche Betätigungen einbezogen waren. In dieser Studie wurden positive Effekte eines ganzheitlichen gesunden Lebensstils auf die kognitive Leistungsfähigkeit älterer Menschen nachgewiesen. „Diese Studie zeigt in sehr eindrucksvoller Weise“, meint Hermann, „dass wir vermutlich in anderen Konzepten als bislang denken und unterschiedliche Therapieansätze miteinander kombinieren müssen.“
Nicht nur neue Konzepte sind offensichtlich gefragt, auch die Finanzierung entsprechender Studien ist problematisch. „Beim Schlaganfall haben wir verstanden, dass man sehr viel größere Studien mit vielen tausend Patienten braucht, um Therapieeffekte zuverlässig nachzuweisen. Derart große Studien zum Thema Demenz gibt es bislang nicht“, berichtet Hermann. „Ein großes Problem liegt in der Finanzierung solcher großer Studien, weil im Hintergrund keine starken Pharmafirmen stehen, die in der Lage sind, diese Studien zu bezahlen. Mit den wenigen, eher kleinen und ernüchternden Studien zum Thema Demenz befinden wir uns heute dort, wo wir zum Thema Schlaganfall vor 15 Jahren standen.“
Fakt jedenfalls ist, dass die altersbezogene Prävalenz von Demenz in der Vergangenheit nicht mehr zugenommen hat – obwohl die Gesellschaft altert. Laut Jessen litten beispielsweise in Großbritannien von den 80- bis 85-Jährigen vor 20 Jahren noch 25% unter einer Demenz. „Heute sind es nur noch 15 Prozent.“ Diesen offensichtlichen Rückgang der Demenz rechnen Experten dem gesünderen Lebensstil der Menschen zu. „Es hat in den vergangenen Jahrzehnten weltweit massive Kampagnen zu allen Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gegeben“, erläutert Jessen, „was offensichtlich viele Menschen zu einem gesünderen Lebensstil animiert hat. Und ohne es zu wissen, haben sie damit auch ihr Gehirn geschützt.“
REFERENZEN:
1. Chew, EY, et al: JAMA 2015;314(8):791-801
2. Sink KM, et al: JAMA 2015;314(8):781-790
Diesen Artikel so zitieren: Zwei Studien mit negativem Ergebnis: Sport oder Ernährung schützen – zumindest kurzfristig – nicht vor der Demenz - Medscape - 4. Sep 2015.
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