
Prof. Dr. Jens Gert Kuipers
Bremen – In der Therapie des entzündlichen Rheumas hat sich viel getan. „Unser Ziel war vor 15 Jahren noch, die Progression der rheumatoiden Arthritis zu verlangsamen. Der Gedanke an Remission war damals ein Traum. Heute ist das Erreichen einer Remission der Maßstab unseres Handelns“, beschrieb Prof. Dr. Jens Gert Kuipers auf dem 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) den Wandel [1].
Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) sind immer häufiger beschwerdefrei, die Medikamente können reduziert oder sogar ganz abgesetzt werden, ohne dass die Entzündung erneut aufflammt.
Biologika als zentraler Pfeiler der Therapie
„Diese Fortschritte bei der rheumatoiden Arthritis (RA) beruhen auf neuen Therapiestrategien“, erklärte der Chefarzt der Klinik für internistische Rheumatologie am Roten Kreuz Krankenhaus Bremen. Dazu gehören: die möglichst frühe Behandlung, die enge Kontrolle und maximale Unterdrückung der Entzündungsaktivität um die Progression der Gelenkzerstörung zu verlangsamen oder zu stoppen und der Einsatz von Biologika. Gerade bei den Biologika (TNF-Blocker, IL6-Blocker, anti-B-Zelltherapien und Crosstalkinhibitoren) hat es laut Kuipers eine „Revolution“ gegeben, die nach wie vor anhalte und zu immer neuen Therapeutika führe.

Prof. Dr. Jügen Wollenhaupt
Dass Biologika auch für alte Menschen geeignet sind, bestätigte Prof. Dr. Jürgen Wollenhaupt, Chefarzt der Rheumatologie und klinischen Immunologie an der Schön Klinik Hamburg-Eilbeck. Die Medikamente seien als Eiweißmoleküle vom Organismus gut zu eliminieren, so spielten altersbedingte Einschränkungen der Leber- oder Nierenfunktion keine Rolle. Befürchtungen, dass Biologika gerade bei älteren Patienten deren Infektanfälligkeit drastisch erhöhten, hätten sich in der Praxis nicht bestätigt. Das erhöhte Infektionsrisiko unter Biologika werde auch dadurch relativiert, dass bei vielen Patienten eine Kortisontherapie vermieden werden könne.
Gerade ältere Patienten profitierten oft erheblich von der Wirksamkeit der Biologika, betonte Wollenhaupt. Wird eine Remission erreicht, können sich wieder selbst versorgen und aktiv am Leben teilnehmen. Und das Ziel einer Remission erreichen immer mehr Patienten: 2013 waren es laut Wollenhaupt 34% und damit mehr als doppelt so viele wie noch 1997 (15%).

Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz
Auch für Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) gilt: Je früher therapiert wird, desto besser die Aussichten auf eine Remission. „Einen Krankheitsstillstand zu erreichen gelingt am häufigsten innerhalb der ersten fünf Jahre nach Krankheitsbeginn“, berichtete Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Tagungspräsident der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) und Direktor der Prof-Hess-Kinderklinik am Klinikum Bremen-Mitte.
„Wir haben inzwischen Patienten, denen sehen wir als Rheumatologen die Erkrankung nicht mehr an. Es liegen keine Gelenkbeschwerden vor und die Laborwerte sind normal. Deshalb wird gerade diskutiert, bei welchen Patienten wir unter welchen Voraussetzungen die Medikamente reduzieren können“, berichtete Kuipers: „Es gibt auch Patienten, die völlig ohne Medikamente auskommen. Das ist nicht die Regel, aber zwischen zehn und 20 Prozent der RA-Patienten erlangen nach Deeskalation eine medikamentenfreie Remission über mindestens ein Jahr.“
Deeskalation – häufiger das Absetzen wagen
In einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit haben Prof. Dr. Klaus Krüger, München, und Dr. Edmund Edelmann, Bad Aibling, die Strategie des Therapieabbaus bei stabil eingestellter RA anhand neuer Studien beschrieben. Die CERTAIN-Studie aus dem Jahr 2015 etwa zeigt, dass nach Absetzen von Certolizumab 18% der Patienten in Remission blieben. Und die HONOR-Studie belegt, dass 48% der RA-Patienten nach Absetzen von Adalimumab (nach 6-monatiger Remission) auch nach einem Jahr noch in DAS-Remission blieben.
Wie aussichtsreich ein Therapieabbau im Einzelfall ist, dafür gibt es einige Prädiktoren. Kuipers zählte auf: Niedrige Krankheitsaktivität, Seronegativität, kurze Krankheitsdauer vor Therapiestart und eine mindestens 6-monatige Remission vor der Deeskalation.
Die S1-Leitlinie der DGRh zur sequenziellen medikamentösen Therapie der RA empfiehlt nach Erreichen des Ziels „Remission für einen längeren Zeitraum“ (6 bis 12 Monate) die stufenweise Deeskalation. Danach sollten zunächst Glukokortikoide, dann Biologika und zuletzt synthetische DMARDS abgebaut werden. Speziell der Abbau dieser Basistherapeutika sollte vorsichtig geschehen. Studien zeigen, dass bei diesem letzten Schritt das Rezidivrisiko hoch ist. Grundlage für eine Deeskalation ist die „shared decision“ zwischen Arzt und Patient.
Bei Kindern mit JIA unterscheidet sich die Reihenfolge der Deeskalation: „Nach dem Absetzen der Glukokortikoide reduzieren wir meist erst das Methotrexat“, erläuterte Huppertz. Dann erst werde das zuletzt in die Therapie eingeführte Biologikum abgesetzt.
Aktuelle Registerdaten von mehr als 2.000 Kindern mit JIA belegen den Erfolg der Dosisreduktion: „Bei etwa elf Prozent konnte die Biologika-Therapie nicht nur reduziert, sondern vollständig abgesetzt werden, weil die Beschwerdefreiheit anhielt“, berichtete Huppertz.
Nicht zuletzt spart die Reduktion von Biologika viel Geld: Wird die Dosis um 50% verringert, spart dies rund 10.000 Euro pro Jahr und Patient.
Therapie kann meist problemlos wieder aufgenommen werden
Kommt es unter der Deeskalationstherapie zum Flare, solle die ursprüngliche Therapie wieder aufgenommen werden. Kuipers betonte, dass, wenn die Erkrankung wieder aufflammt, „die Therapie meist problemlos wieder aufgenommen werden kann“. Dieser Umstand mache Mut, einen Therapieabbau häufiger zu wagen.
Ob und inwieweit die Deeskalation auch für den systemischen Lupus Erythematodes (SLE) infrage komme, sei noch nicht geklärt. Für SLE gebe es noch keine definierten Deeskalationsstudien, so Kuipers. „Es besteht die Sorge, dass es dann zu einem schweren Flare mit Organbefall kommt.“ Er stellte aber klar: „Auch dieser Zug ist angefahren.“
REFERENZEN:
1. 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, 2. bis 5. September 2015, Bremen
Diesen Artikel so zitieren: Rheumatoide Arthritis: Einmal Medikamente, immer Medikamente gilt nicht mehr – Mut zur Deeskalation - Medscape - 4. Sep 2015.
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