Geistige Fitness im Alter: Die Blutdrucksenker abzusetzen bringt in niederländischer Studie keinen Benefit

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

4. September 2015

Wann eine antihypertensive Therapie starten und wann sie intensiviert werden sollte, wurde in zahlreichen Studien umfassend untersucht. Aber was passiert, wenn man die Therapie irgendwann wieder absetzt? Und vor allem – sollte man das tun?

„Studien, die untersuchen, was passiert, wenn man eine Therapie absetzt, sind sehr selten“, bestätigt der Berliner Pharmakologe Prof. Dr. Ulrich Kintscher gegenüber Medscape Deutschland. Eine Gruppe von Psychiatern am Universitätsklinikum Leiden hat nun erstmals untersucht, ob es Vorteile für die Kognition hat, bei hochbetagten Personen, die bereits leichte kognitive Defizite aufweisen, die antihypertensive Therapie abzusetzen. Das Fazit: Es bringt den Senioren nichts. Die Ergebnisse ihrer DANTE Leiden Study (Discontinuation of Antihypertensive Treatment in Elderly People) veröffentlichten sie jetzt im JAMA Internal Medicine [1].

Die Rationale der niederländischen Forscher: Eine bei niedrigeren Blutdruckwerten möglicherweise verminderte Durchblutung des Gehirns könnte zum Abbau der kognitiven Fähigkeiten beitragen. „Beobachtungsstudien zeigen, dass im hohen Alter eher ein niedriger als ein hoher Blutdruck das Risiko für kognitiven Verfall erhöht“, schreiben Erstautorin Dr. Justine E. F. Moonen und ihre Kollegen.

Absetzen von Antihypertensiva ohne Effekt auf Kognition

Bei 200 Senioren über 75 Jahren ohne schwere kardiovaskuläre Erkrankung aber mit einem reduzierten Mini-Mental State Examination-Score (21–27) wurden 16 Wochen lang die blutdrucksenkenden Medikamente abgesetzt. In einer Kontrollgruppe von knapp 190 Senioren wurde die Therapie fortgesetzt.

Das absetzende Studiendesign stellt einen Paradigmenwechsel dar in der Art und Weise, wie wir randomisierte klinische Studien zur antihypertensiven Therapie durchführen. Dr. Michelle C. Odden

Erwartungsgemäß stieg der Blutdruck in der Interventionsgruppe stärker an als in der Kontrollgruppe. Einen Effekt auf die Kognition hatte das Absetzen der Therapie aber nicht, weder in der gesamten Studienpopulation noch in Untergruppen, etwa bei denen mit höherem Alter, orthostatischer Hypotonie oder schlechterer kognitiver Funktion.

„Inhaltlich ist der Wert der vorliegenden Studie gering“, schreibt Dr. Michelle C. Odden von der School of Biological and Population Health Sciences der Oregon State University in Corvallis in einem Kommentar zur Veröffentlichung in JAMA Internal Medicine [2]. „Aber methodologisch ist der Wert der Studie enorm.“

„Das absetzende Studiendesign stellt einen Paradigmenwechsel dar in der Art und Weise, wie wir randomisierte klinische Studien zur antihypertensiven Therapie durchführen“, so Odden. „Außerdem könnte das Design genutzt werden, um auch andere typischerweise lebenslang eingenommene Medikamente zu untersuchen.“

Harte Endpunkte oder patientenzentrierte Outcomes?

Kintscher, der am Center for Cardiovascular Research der Charité-Universitätsmedizin Berlin neue pharmakologische Zielmoleküle für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen erforscht, sieht Absetzversuche bei der antihypertensiven Therapie kritisch:Die HYVET-Studie hat eindeutig gezeigt, dass Patienten auch im hohen Alter von einer blutdrucksenkenden Therapie profitieren. Basierend auf den HYVET-Ergebnissen wurden die Blutdruckzielwerte für die Altersgruppe der über 80-Jährigen auf systolisch unter 150 mmHg heraufgesetzt. Stellt man die Patienten auf diese Zielwerte ein, nehmen kardiovaskuläre Ereignisse und Herzinsuffizienz ab.“

Wenn keine Nebenwirkungen bestehen und die Patienten die Substanzen gut vertragen, sollten sie auch nicht abgesetzt werden. Prof. Dr. Ulrich Kintscher

Hinzu komme, dass Arbeiten zeigten, dass Herz-Kreislauf-Ereignisse bei Absetzen einer antihypertensiven Therapie wieder zunehmen. „Was harte kardiovaskuläre Endpunkte angeht, scheinen solche Absetzversuche eher zu schaden als zu nützen“, betont der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Hochdruckliga.

Gründe, im hohem Alter an einer bestehenden blutdrucksenkenden Therapie zu rütteln, sieht Kintscher nur, wenn Nebenwirkungen auftreten: „Wenn keine Nebenwirkungen bestehen und die Patienten die Substanzen gut vertragen, sollten sie auch nicht abgesetzt werden.“

Für Odden, die in der DANTE-Studie ein Paradebeispiel für künftige Absetzstudien sieht, sind die harten Outcomes wie Herzinfarkt und Tod zwar wichtig, aber „wir können unsere Evidenzgrundlagen nicht mehr nur mit harten Endpunkten schaffen“. „Ältere Menschen haben uns immer wieder gesagt, dass das Leben mehr ist als nur zu leben.“ Kognitive Funktion, physische Funktion, emotionales Wohlergehen und soziale Eingebundenheit seien nur einige der weiteren Aspekte, die berücksichtigt werden müssten, wenn man über das Absetzen oder Fortführen einer medikamentösen Therapie nachdenke.

Absetzen nur bei guter Begründung und ausgewählten Populationen

„Die DANTE-Forscher wählten für ihre Studie eine Population, die in anderen randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) unterrepräsentiert war. Nur wenige Studien haben alte Menschen eingeschlossen und alte Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung oder schlechtem Gesundheitszustand werden von RCTs ausgeschlossen“, betont Odden

Wir können unsere Evidenzgrundlagen nicht mehr nur mit harten Endpunkten schaffen. Ältere Menschen haben uns immer wieder gesagt, dass das Leben mehr ist als nur zu leben. Dr. Michelle C. Odden

Der funktionelle Status könnte den Effekt des Blutdruckes auf die Outcomes verändern. „Deshalb können wir Ergebnisse von jüngeren und gesünderen Populationen nicht auf ältere und kränkere Populationen übertragen. Doch das Absetzen einer Therapie könnte in diesen Populationen den stärksten Effekt haben.“

Die kurze Nachbeobachtungszeit von nur 16 Wochen sei ein Nachteil von DANTE – vielleicht hätte sich bei einem längeren Follow-up ein kognitiver Benefit gezeigt – aber gleichzeitig notwendig und unumgänglich auch für künftige Absetzstudien, betont Odden. „Absetzversuche sollten immer erst einmal über einen relativ kurzen Zeitraum durchgeführt werden, um die Sicherheit des Vorgehens zu zeigen.“

REFERENZEN:

1. Moonen JEF, et al: JAMA Intern Med. (online) 24. August 2015

2. Odden MC: JAMA Intern Med. (online) 24. August 2015

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....