London – Wer täglich stundenlang vor der Glotze sitzt, mehr als 3 Tassen Espresso trinkt und einen Job hat, der es nicht erlaubt, ein regelmäßiges Mittagsschläfchen zu halten, der hat eher schlechte Karten, was seine kardiovaskuläre Gesundheit angeht. So, oder so ähnlich, lassen sich die Ergebnisse von 3 Beobachtungsstudien zusammenfassen, die bei einer „Lifestyle“-Pressekonferenz zum Auftakt des Europäischen Kardiologenkongresses ESC 2015 in London vorgestellt worden sind.
Griechenland: Wer mittags schläft, hat niedrigeren Blutdruck
Die Mittagsschläfchen-Studie kommt aus Griechenland. Die Erfahrung, dass dort Mittagspausen eine lange Tradition haben, haben viele wohl schon im Urlaub gemacht: Fast alle Läden sind zwischen 14 und 17 Uhr am Nachmittag geschlossen. Wie Griechen die Mittagspause verbringen, darüber lässt die aktuelle Studie nun einige Spekulationen zu.
Dr. Manolis Kallistratos, Kardiologe am Allgemeinen Krankenhaus Asklepieion Voula in Athen, und seine Kollegen haben bei 386 Menschen mittleren Alters mit arterieller Hypertonie deren Blutdruckwerte (ambulante Praxis-Messung, 24-h-Blutdruck und Pulswellengeschwindigkeit) prospektiv mit den per Fragebogen erhobenen Mittagsschlaf-Gewohnheiten korreliert.
Das Ergebnis: Der systolische Blutdruck der Mittagschläfer war im Schnitt um 5 mmHg niedriger – gemessen natürlich wenn sie wach waren – und der systolische 24-h-Blutdruck war sogar um 6 mmHg niedriger als bei denjenigen, die sich mittags nicht hinlegten. Die Differenz bei der Pulswellengeschwindigkeit betrug 11%. Adjustiert war der Vergleich laut Kallistratos für Einflussfaktoren wie BMI, Rauchen, Alter, Geschlecht, Salz-, Alkohol- und Kaffeekonsum sowie körperliche Aktivität.
„Der absolute Unterschied scheint nicht so groß, es ist aber zu berücksichtigen, dass schon zwei mmHg weniger beim Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse einen Unterschied um bis zu zehn Prozent ausmachen können“, so der griechische Kardiologe. In echokardiografischen Untersuchungen hätten die Mittagsschläfer auch weniger Folgeschäden des hohen Blutdrucks aufgewiesen, berichtete er. Sie hätten weniger Antihypertensiva benötigt und nachts sei ihr Blutdruckabfall (Dipping) stärker gewesen, was ebenfalls als positives Zeichen gilt. Übrigens fand sich sogar ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang: Je länger der Mittagsschlaf, umso niedriger der Blutdruck.
Aus seiner als Poster in London präsentierten Studie zieht Kallistratos den Schluss, dass sich Mittags hinzulegen vor allem für Menschen mit hohem Blutdruck eine sehr gesunde Angelegenheit ist, wobei es schon griechischer Mittagspausen bedarf, um dies in die Praxis umzusetzen – um zur Mittagschläfer-Gruppe zu zählen, mussten die Befragten in der Studie eine mittägliche Schlafdauer von mindestens einer Stunde angegeben haben.
Italienische Studie: Lässt Espresso den Blutdruck steigen?
Nach einem so langen Mittagschlaf kann dann vielleicht ein Kaffee helfen, wieder in Fahrt zu kommen. Doch auch damit sollte man es zum Wohle der kardiovaskulären Gesundheit nicht übertreiben. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Beobachtungsstudie aus Italien, dem Land der Barista und des Espresso, dem Mekka für jeden Kaffee-Liebhaber, wo viele ihre Mittagspause dazu nutzen, in der Bar einen „Caffè“ zu sich zu nehmen.
Dr. Lucio Mos, Kardiologe am Hospital San Daniele del Friuli in Udine, vermiest jetzt jedoch mit seiner in London ebenfalls als Poster vorgestellten Studie den Landsleuten diesen Genuss. Er hat mit Kollegen bei 1.201 Teilnehmern der HARVEST-Studie – alle milde Hypertoniker im Alter zwischen 18 und 45 Jahren und zum Studienstart ohne Antihypertensiva-Therapie – die kardiovaskulären und metabolischen Effekte des Kaffee-Konsums analysiert. HARVEST läuft bereits seit dem Jahr 1990.
Das Ergebnis: Kaffeetrinker hatten laut Mos ein linear mit dem Konsum steigendes Risiko, eine medikamentös behandlungsbedürftige Hypertonie zu entwickeln. Bei „schweren Kaffeetrinkern“ – dazu zählte man bereits ab 4 Tassen am Tag – war die Assoziation signifikant. Auch mit der Wahrscheinlichkeit, einen Prä-Diabetes zu entwickeln, fand sich ein Zusammenhang, hier allerdings nur für „langsame Kaffee-Metabolisierer.“ Wie Mos erläuterte, hängt es vom CYP1A2-Genotyp ab, wie schnell oder langsam Koffein verstoffwechselt wird.
In der ganzen Gruppe gab es 60 kardiovaskuläre Ereignisse über ein Follow-up von 12,5 Jahren, zu 80% handelte es sich um Infarkte. In einer multivariaten Analyse habe sich der Kaffeekonsum nicht nur für die „schweren“ sondern auch für die „moderaten“ Kaffeetrinker (1 bis 3 Tassen täglich) als unabhängiger Prädiktor für das kardiovaskuläre Ereignis-Risiko erwiesen, berichtete Mos.
Aus den Ergebnissen schließt er, dass die negativen Auswirkungen des Kaffeekonsums auf kardiovaskuläre Endpunkte wahrscheinlich, zumindest teilweise, über eine Blutdrucksteigerung vermittelt werden. Und dass Hypertonikern vom Kaffeekonsum eher abzuraten sei. Vielleicht ist der Weg der Zukunft aber ja auch der „individualisierte“ Kaffeekonsum – mit passendem Gentest in der Espresso-Bar?
In Japan analysiert: Lange Fernsehabende und tödliche Lungenembolien
Eine japanische Studie hat sich schließlich noch mit den Auswirkungen langer Fernsehabende auf die kardiovaskuläre Gesundheit beschäftigt. Auch hier nutzten die Untersucher die Daten einer Langzeituntersuchung: In JACC (Japan Collaborative Cohort Study) wird bereits seit 20 Jahren bei mehr als 86.000 Japanern im Alter zwischen 40 und 79 Jahren erfasst, wie der Lebensstil Morbidität und Mortalität beeinflusst.
In ihrer aktuellen Analyse haben Toru Shirakawa, Universität von Osaka, und Kollegen untersucht, ob das von Langstreckenflügen bekannte Economy-Class-Syndrom, also ein erhöhtes Thromboembolie-Risiko durch stundenlanges bewegungsloses Sitzen, nicht auch Dauer-TV-Konsumenten gefährdet. Anhand der Totenscheine identifizierten sie 59 Teilnehmer ihrer Studie, die an einer Lungenembolie gestorben waren, und korrelierten das Lungenembolie-Risiko mit der täglich vor dem Fernseher verbrachten Stundenzahl.
Ihr Ergebnis: Im Vergleich zu denjenigen, die weniger als 2,5 Stunden pro Tag fernsahen, hatten diejenigen mit mehr als 5 Stunden TV-Konsum ein um den Faktor 2,38 erhöhtes Risiko für eine tödliche Lungenembolie. Nachdem die Autoren dann die Gruppe noch in 2 Altersklassen geteilt hatten, fanden sie sogar ein 6-fach erhöhtes Embolierisiko für die unter 60-Jährigen, die täglich mehr als 5 Stunden vor dem Fernseher verbrachten.
Als Konsequenz ihrer Studie schlagen Shirakawa und Kollegen übrigens vor, den Dauer-TV-Konsumenten und eventuell auch Menschen, die viel vor Computern sitzen, ähnliche Empfehlungen an die Hand zu geben, wie sie für Langstreckenflüge üblich sind: regelmäßige Pausen, Aufstehen, Rumlaufen – und ausreichend Wasser zu trinken.
REFERENZEN
1. Kongress der European Society of Cardiology, 28. August bis 2. September 2015, London
Diesen Artikel so zitieren: „Lifestyle“-Studien beim ESC-Kongress: Über die positiven Effekte des Mittagsschlafs sowie die negativen von Espresso und TV-Dauerkonsum - Medscape - 1. Sep 2015.
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