Eine auf dem antiviralen Mittel Favipiravir beruhende Behandlungsstrategie kann möglicherweise dabei helfen, den Ausbruch der Ebola-Erkrankung nach einer Virusexposition zu verhindern. Zu diesem Schluss kommen Dr. Michael Jacobs vom Department of Infection des Royal Free NHS Foundation Trust in London und Kollegen nach Auswertung einer kleinen Fallserie, die gerade im Fachblatt The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht worden ist [1].
Fälle, wie sie täglich passieren können
In ihrer Publikation beschreiben sie insgesamt 8 Fälle von britischen Pflegekräften bzw. Ärzten, die in einem Ebola-Zentrum in Sierra Leone tätig waren und die zwischen Januar und März 2015 aufgrund einer versehentlichen Virusexposition nach Großbritannien evakuiert worden waren.
Es sind Fälle, wie sie tagtäglich unter den schwierigen Bedingungen in Westafrika auftreten können: Eine Krankenschwester war beispielsweise im Aufenthaltsbereich der Ebola-Verdachtsfälle gestolpert, riss sich durch den Fall auf den Boden die Schutzkleidung auf und zog sich eine Schürfwunde zu. Eine andere war offenbar kurz unachtsam und entnahm ohne spezielle Schutzkleidung einen nasopharyngealen Abstrich bei einem Infizierten.
In Situationen wie diesen mag die Infektionsgefahr – so weit man weiß – noch gering sein. 4 Fachkräfte hatten sich allerdings auch während der Versorgung von Ebola-Kranken versehentlich mit einer Kanüle in den Finger gestochen, die Gefahr einer Virusübertragung ist in solchen Fällen erheblich größer.
Verlässliche Empfehlungen zur Postexpositionsprophylaxe gibt es nicht
Welchem Risiko die medizinischen Fachkräfte allgemein ausgesetzt sind, zeigen u.a. aktuelle Zahlen der World Health Organization (WHO). Demnach haben sich bislang 880 medizinische Fachkräfte mit Ebola infiziert, 512 von ihnen starben (Stand 19. August 2015).
Verlässliche Empfehlungen, wie bei einer möglichen Virusexposition am besten zu verfahren ist, existieren jedoch – anders als z.B. für HIV oder Hepatitis B – noch nicht. „Ärzten, die für Pflegekräfte mit einer Virus-Exposition verantwortlich sind, mangelt es sowohl an einem validierten Konzept, um das Expositionsrisiko zu quantifizieren, als auch an einem Nachweis für die Wirksamkeit einer Postexpositionsprophylaxe“, halten Prof. Dr. Mark J. Mulligan und Dr. Paul N. Siebert von der Emory University in Decatur, USA, in ihrem begleitenden Kommentar fest [2].
Angesichts eines unbekannten, aber vermutlich schmalen Zeitfensters für eine Post-Expositionsprophylaxe (PEP), sei jedoch schnelles Handeln gefragt, welches sich u.a. auf erhältliche Guidelines, Expertenmeinungen und neue Daten stützen müsse, schreiben sie.
Erster Einsatz eines antiviralen Mittels zur Postexpositionsprophylaxe
Die Arbeit von Jacobs und seinen Kollegen stellt somit einen ersten Schritt dar, um diese Lücken zu schließen. Gleichzeitig ist es das erste Mal, dass ein antivirales Medikament als PEP bei Ebola eingesetzt und die Resultate in einem Fachjournal beschrieben werden. Bislang, so die Wissenschaftler um Jacobs, wurde bei einer möglichen Virusexposition die Ebola-Vakzine rVSV-EBOV verabreicht. 3 Fallberichte darüber existierten bereits, keiner der Patienten sei gestorben.
Allerdings hätten die so behandelten Patienten (zum Teil schweres) Fieber entwickelt und Genmaterial des Virus konnte im Blut der mit der Lebendvakzine geimpften Personen nachgewiesen werden. „Diese Resultate erschwerten die klinische und virologische Bewertung der Fälle und machten hochgradige Sicherheitsvorkehrungen beim Pflegepersonal notwendig“, so Jacobs und seine Kollegen.
Die Wissenschaftler griffen deshalb bei den Fällen aus Sierra Leone erstmals zu dem antiviralen Medikament Favipiravir (Toyama Chemical Company). Der gewählte Ansatz war „pragmatisch“, wie Mulligan und Siebert meinen. Tatsächlich ist das Virostatikum einfach erhältlich, da es bereits in Japan zur Therapie der Influenza zugelassen ist. Aus diesem Grund lagen auch bereits ausreichend Daten zur Sicherheit des Medikaments vor. Im Mausmodell hatte es zudem eine antivirale Wirkung bei Ebola-Infektionen gezeigt.
Ein neu entwickelter Algorithmus legt fest, wer eine Behandlung benötigt
Nicht alle 8 Patienten erhielten jedoch letztlich das Medikament. Die Wissenschaftler folgten bei der Auswahl der zu behandelnden Personen einem eigens erstellten Algorithmus. Dieser teilte die Fälle entsprechend ihrem Expositionsrisiko in verschiedene Gruppen ein. Nur diejenigen mit einem „maximalen“, „hohen“ oder „intermediären“ Risiko – d.h. die 4 Ärzte und Pflegekräfte, die sich mit einer benutzten oder unbenutzten Kanüle gestochen hatten – erhielten über 10 Tage Favipiravir.
Therapiebeginn war dabei jeweils bereits wenige Stunden nach der erfolgten Exposition mit einer oralen Initialdosis von 2.400 mg (Erhaltungsdosis 2-mal täglich 1.200 mg). In den 2 Fällen mit maximalem Risiko (die Kanülen wurden hier kurz zuvor bei Ebola-Infizierten verwendet) erhielten die Patienten zusätzlich noch monoklonale Antikörper (MIL77, Beijing MabWorks Biotech, Beijing, China).
Alle 8 Personen – inkl. der 4 medizinischen Helfer mit einem „niedrigen“ bzw. „sehr niedrigen“ Risiko (z.B. nach einfachem Hautkontakt mit einem Erkrankten) – wurden insgesamt 42 Tage lang überwacht. Die ersten 10 Tage waren sie stationär im Royal Free Hospital in London untergebracht. Dorthin waren sie unmittelbar nach der Exposition aus Sierra Leone überführt worden.
Besondere Sicherheitsvorkehrungen durch das Krankenhauspersonal, wie das Tragen eines Gesichtsschutzes, einer Kappe und doppelter Handschuhe, wurden dabei nur für die täglichen Blutabnahmen getroffen. In der übrigen Zeit hielt sich das Personal lediglich an grundlegende Hygienemaßnahmen, trug also beispielsweise ein Paar Einmalhandschuhe und achtete auf die Händedesinfektion.
Die Resultate sprechen für die antivirale Therapie – der Beweis steht noch aus
Das Ergebnis der Fallserie spricht für den Einsatz des antiviralen Medikaments als PEP: Die Ebola-Erkrankung brach bei keinem der Patienten aus. Anders als in Berichten über eine aktive Immunisierung zur PEP hätten die Patienten die Behandlung zudem ohne klinische Nebenwirkungen gut toleriert. „Alle acht medizinischen Helfer blieben klinisch unauffällig und fieberfrei“, halten Jakobs und Mitarbeiter in ihrer Veröffentlichung fest. Zudem habe sich keine Virus-RNA in den Blutproben nachweisen lassen.
Dass auch die Personen ohne antivirale Therapie gesund blieben, spreche zudem für die Validität ihrer Gefährdungseinschätzung anhand des entwickelten Algorithmus.
Trotzdem: „Wir können nicht wirklich wissen, ob PEP den Ausbruch der Ebola-Erkrankung auch nur bei einem dieser Personen verhinderte“, schränken Jacobs und seine Kollegen ein. „Möglicherweise war keiner der medizinischen Helfer mit dem Ebola-Virus infiziert“, ergänzt Jacobs in einer Pressemitteilung. Allerdings sei das Übertragungsrisiko des Ebola-Virus insbesondere in den Fällen, bei denen sich die Personen mit bei Infizierten verwendeten Kanülen verletzt hatten, sehr hoch gewesen.
Leitlinien zum Expositionsrisiko sind dringend notwendig
Doch auch wenn der Beweis der Wirksamkeit noch ausstehe, sei die Entwicklung von Leitlinien zum Expositionsrisiko und der Eignung von PEP in verschiedenen Situationen dringend notwendig, heißt es in der Publikation. Nicht nur um Medizinern in entsprechenden Situationen Hilfestellung zu geben, sondern auch, um die Datenerhebung voranzutreiben.
Die PEP könnte dann möglicherweise bei zukünftigen Ausbrüchen eine größere Rolle spielen und auch dabei helfen, die Infektion von Kontakten im häuslichen Umfeld – einem der Hauptübertragungswege von Ebola – zu verringern.
REFERENZEN:
1. Jacobs M, et al: Lancet Inf Dis. (online) 26. August 2015
2. Mulligan MJ, et al: Lancet Inf Dis. (online) 26. August 2015
Diesen Artikel so zitieren: Ebola: Eine antivirale Therapie mit Favipiravir scheint den Ausbruch der Krankheit verhindern zu können - Medscape - 27. Aug 2015.
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