
Prof. Dr. Matthias Nauck
Ab 2016 soll jedes Baby, das in Deutschland zur Welt kommt, am Neugeborenen-Screening auf Zystische Fibrose (CF) – teilnehmen können. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soeben in Berlin beschlossen [1]. „Wir freuen uns sehr darüber, dass dieses Screeningangebot ab April des nächsten Jahres für alle Neugeborenen in Deutschland verfügbar sein wird“, erklärt Prof. Dr. Matthias Nauck, Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, gegenüber Medscape Deutschland. In seinem Bundesland wird bereits seit 2012 solch ein Screening angeboten – und von Ärzten wie Eltern gleichermaßen begrüßt, wie der Leiter des Screeninglabors Mecklenburg-Vorpommern berichtet.
Für Prof. Dr. Georg Hoffmann, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg, musste es so kommen: „Mich wundert nur, warum es so lange gedauert hat.“ Aufgrund von 7 Jahren Screeningerfahrung im Rahmen einer Heidelberger Studie, die primär von der Dietmar Hopp Stiftung, dann vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung finanziert wurde, berichtet der Sprecher der Screening-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin: „Die 90 Patienten, die wir durch das Neugeborenen-Screening ermittelt haben, sind kräftiger und größer, haben eine bessere Lungenfunktion und Leistungsfähigkeit als Patienten im selben Alter, bei denen CF erst später erkannt wurde.“ Eine ähnlich positive Entwicklung sei nun für alle betroffenen Kinder zu erwarten.

Prof. Dr. Georg Hoffmann
Prof. Dr. Manfred Ballmann, 1. Stellvertretender Bundesvorsitzender von Mukoviszidose e. V., hebt hervor: „Die Früherkennung der Erkrankung legt den Grundstein dafür, dass die Patienten und ihre Familien die Vielfalt der Möglichkeiten nutzen können.“ Bei optimaler Betreuung haben die Patienten aktuell eine Lebenserwartung von über 40 Jahren, Tendenz steigend. Unbehandelt würden die meisten das Jugendalter nicht erreichen. Ballmann möchte weithin auf das Screening aufmerksam machen, da es nicht jeder vornehmen darf. Das ist für Babys wichtig, die zur Welt kommen, ohne dass ein Arzt zugegen ist: „Hebammen oder andere Geburtshelfer dürfen das Screening nicht durchführen. Darum sollten sie die Eltern darüber informieren, dass sie es in den ersten vier Lebenswochen beim Kinderarzt nachholen können.“
Ein kleiner Pieks und seine Folgen
Etwa 200 Kinder kommen pro Jahr in Deutschland mit Mukoviszidose zur Welt. Bei ihnen ist das CFTR-Gen auf dem Chromosom 7 so verändert, dass der Salz- und Wassertransport der Zellen unzureichend funktioniert. Zähflüssiger Schleim beeinträchtigt die Funktionen lebenswichtiger Organe, vor allem der Lunge, der Bauchspeicheldrüse, der Leber und des Darms und schädigt sie zunehmend.
Das diagnostische Problem: In den ersten Lebensmonaten sind die Symptome oft unspezifisch – Verstopfung, Gedeihstörungen und häufige Infekte der Atemwege plagen auch andere Säuglinge. Bislang erhielten die Patienten ihre Diagnose daher meist erst so um die 40. Lebenswoche. Bei 4 von 10 dieser Kinder dauerte es sogar bis nach dem 1. Geburtstag.

Prof. Dr. Manfred Ballmann
Das neue Neugeborenen-Screening soll im Rahmen der U2-Untersuchung stattfinden. Speziell für den Mukoviszidose-Test empfiehlt der G-BA den 3. Lebenstag, die Diagnostik sollte vor Ablauf der 4. Lebenswoche erfolgen, sonst leide die Aussagekraft. „Das Mukoviszidose-Screening wird zusammen mit dem bereits etablierten Neugeborenen-Screening auf angeborene Stoffwechselerkrankungen und hormonelle Störungen durchgeführt. Es ist somit keine weitere Blutentnahme erforderlich“, nennt Nauck ein Argument, das Eltern überzeugt. In der Blutprobe wird zunächst das Enzym IRT (immunreaktives Trypsin) bestimmt. Bei einer deutlichen Erhöhung dieses Werts ist eine Mukoviszidose wahrscheinlich und müssen weitere Tests erfolgen.
Der G-BA empfiehlt einen dreistufigen Algorithmus mithilfe derselben Blutprobe. Bei einem IRT-Wert, der bei der 99,9. Perzentile oder darüber liegt, gilt der Test sofort als positiv. Ein Ergebnis über der 99,0. Perzentile wird zusätzlich das Pankreatitis-Assoziierte Protein (PAP) ermittelt. Diesen Test hat das Team aus Heidelberg im Rahmen seiner Studie entwickelt und evaluiert.
Screening-Ergebnisse nie am Freitag mitteilen
Nur, wenn auch der PAP-Wert auf der 87,5. Perzentile oder darüber liegt, kommt es zusätzlich zur genetischen Untersuchung. Bei einem niedrigeren IRT- oder PAP-Wert ist das Screeningergebnis negativ. Ebenso, wenn sich auf dem CFTR-Gen keine krankheitsspezifische Mutation findet. Der Gentest kann zudem Kinder herausfiltern, die zwar Erbträger sind, aber selbst gesund bleiben.
Das Risiko für falsch-positive Ergebnisse – und damit für eine unnötige Beunruhigung der Eltern soll so gering wie möglich gehalten werden. Mit dem vom G-BA empfohlenen Screeningverfahren ist jedes dritte Kind mit positivem Screening-Befund auch tatsächlich von Mukoviszidose betroffen, rechnet Hoffmann vor. Es ließe sich weiter optimieren – das wird womöglich in Zukunft noch passieren.
„Es ist wichtig, den Eltern zu erklären, dass ein positives Screening-Ergebnis keine Enddiagnose ist, sondern nur ein Verdacht geäußert wird“, gibt Nauck zu bedenken. „Dieser wird durch weitere Untersuchungen, im Falle der Mukoviszidose durch einen Schweißtest, bestätigt oder ausgeschlossen.“ In Mecklenburg-Vorpommern informiert seit langem ein Faltblatt die Eltern über die Schritte und möglichen Konsequenzen des Screenings. Ballmann rät dazu, Eltern ein positives Screeningergebnis niemals freitags mitzuteilen und baldmöglichst Schweißtests zu ermöglichen.
Eltern Ängste nehmen, Kindern mehr Lebensqualität schenken
Die Bestätigungsdiagnostik ist nicht Teil des nun vom G-BA empfohlenen Screenings, doch die Abklärung eines positiven Screeningbefundes sollte vorzugsweise in einer Einrichtung erfolgen, die über hinreichende Erfahrung in der leitliniengerechten Diagnose und Therapie der Mukoviszidose verfügt, empfiehlt die G-BA-Dokumentation zum Beschluss [2]. „Die Bestätigungsdiagnostik sollte in Mukoviszidosezentren erfolgen“, betont denn auch Ballmann, „wo Eltern gegebenenfalls psychologische Betreuung erhalten und Ernährungsberatung und weitere Hilfsangebote bekommen.“ Hoffmann unterstreicht diese Förderung und wünscht sich flächendeckend Kollegen mit viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Eltern – „unabhängig davon, ob der Befund positiv oder negativ ist. Es sollte auch entsprechende telefonische Hotlines geben.“
Man dürfe nicht vergessen: Eltern, die nach positivem Screeningbefund die Nachricht erhalten, dass ihr Kind doch nicht betroffen ist, können bei unzureichender Beratung Misstrauen gegenüber Medizinern entwickeln. Und für jene Eltern, deren Kind tatsächlich CF hat, kommt es als ein Schock, dass ihr augenscheinlich gesunder Säugling an einer unheilbaren Krankheit leidet. Hierzu erläutert Ballmann: „Früher waren alle, bei denen man die Diagnose stellte, offensichtlich schwer krank. Heute, dank des Neugeborenen-Screenings, haben wir den positiven Befund oft bei keinem oder nur einem Symptom. Wir müssen die Eltern davon überzeugen, dass bei positivem Screeningbefund und positivem Schweißtest keine Chance auf eine Fehldiagnose besteht. Und wir müssen sie überzeugen, prophylaktisch tätig zu werden.“
Die Vorteile der frühen Diagnose
Gute Argumente für Pädiater sind die zu erwartenden Vorteile für die betroffenen Kinder. Ballmann nennt Beispiele wie das bessere Gedeihen durch eine kalorienreiche Ernährung und eine bessere Lungenfunktion durch eine spezielle Atem-Physiotherapie, die schon im Säuglingsalter beginnen kann. Und der Umstand, dass der richtige Umgang mit Husten, Schnupfen und Co. Kindern schwere Lungenentzündungen und daraus resultierende dauerhafte Schädigungen verhindern kann.
„Wo beim gesunden Kind der Husten oft auf Virusinfekte hinweist und von alleine abklingt, haben wir beim Kind mit Mukoviszidose häufig bakterielle Infekte. Da sollten wir früh antibiotisch behandeln“, nennt Ballmann ein Beispiel. Nauck ergänzt: „Klinische Studien in den USA und Australien haben gezeigt, dass u. a. die körperliche und geistige Entwicklung und die Lungenfunktion bei Kindern, die über ein Screening früh diagnostiziert wurden, gegenüber Kindern ohne Screening deutlich verbessert war. Dadurch erhöht sich auch die Chance auf ein längeres und gesünderes Leben.“ Hoffmann berichtet: „Bei der Diagnose nach dem ersten Lebensjahr finden sich oft bereits irreversible Lungenveränderungen, manchmal sogar schon Leberveränderungen. Bei den sofort gescreenten Kindern können wir das verhindern.“
In Mecklenburg-Vorpommern sind die Eltern bereits überzeugt: 31.000 Screenings erfolgten allein zwischen Oktober 2014 und August 2015. Das entsprach 98% aller in Frage kommenden Neugeborenen. 6 Kinder erhielten die Diagnose Mukoviszidose und werden nun kontinuierlich weiterbetreut. In Heidelberg wurden seit 2008 bereits 400.000 Kinder gescreent, davon erhielten 90 einen positiven Befund.
Hoffmann und Nauck fordern, dass künftig bundesweit Tracking-Zentren entstehen, in denen die Ergebnisse nachverfolgt werden. Bislang gibt es solche Zentren erst in Bayern und Hessen. Zudem, betont Nauck, solle flächendeckend ein Schweißtest entsprechend den deutschen Leitlinien zur Diagnose der Mukoviszidose angeboten werden. Und natürlich dürfe das Projekt nicht an der Finanzierung scheitern.
REFERENZEN:
1. Gemeinsamer Bundesausschuss (Hg): Pressemeldung, 20. August 2015
2. Gemeinsamer Bundesausschuss (Hg): Dokumentation zum Beschluss, 20. August 2015
Diesen Artikel so zitieren: Neugeborenenscreening auf Mukoviszidose für alle kommt! – Wie Ärzte Eltern gut informieren - Medscape - 26. Aug 2015.
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