Nicht am falschen Ende sparen: Jodsupplementation in der Schwangerschaft lohnt sich auch für die Gesellschaft

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

24. August 2015

Wenn alle schwangeren Frauen eine Jodsupplementation erhalten würden, würde dies selbst in Regionen mit nur leichtem Jodmangel zu enormen Einsparungen für Gesundheitssystem und Gesellschaft führen, berichten die Autoren einer britischen Studie [1].

Prof. Dr. Dagmar Führer

„Die aktuelle Untersuchung basiert unter anderem auf Erkenntnissen aus einer britischen Kohortenstudie, die vor zwei Jahren für Furore sorgte“, erklärt Prof. Dr. Dagmar Führer, Direktorin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Essen im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Die Studie Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) zeigte, dass schon ein geringer Jodmangel der Mutter in der Schwangerschaft der Hirnentwicklung des Kindes schadet.“

Im Alter von 8 bis 9 Jahren schnitten Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft einen leichten Jodmangel gehabt hatten, bei Intelligenz- sowie Sprach- und Lesetests schlechter ab als Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft ausreichend mit Jod versorgt gewesen waren.

„Ein reduzierter IQ hat breit gefächerte ökonomische und gesellschaftliche Folgen, denn er beeinflusst Wohlergehen, Bildungschancen und Einkommen“, schreiben Mark Monahan und seine Kollegen, Gesundheitsökonomen von der University of Birmingham. Sie entwickelten nun ein Studienmodell, mit dem sie die finanziellen Auswirkungen einer leichten Jodunterversorgung in der Schwangerschaft abschätzen konnten. Aus verschiedenen publizierten Studien zogen sie Daten zu den Zusammenhängen von IQ und Einkommen sowie Jodmangel in der Schwangerschaft und IQ des Kindes.

Jodsupplementation mit IQ des Kindes assoziiert

 
Ein reduzierter IQ hat breit gefächerte ökonomische und gesellschaftliche Folgen, denn er beeinflusst Wohlergehen, Bildungschancen und Einkommen. Mark Monahan und Kollegen
 

Ihren Berechnungen zufolge bedeutet eine Jodsupplementation in der Schwangerschaft im Schnitt 1,44 IQ-Punkte mehr für das Kind. Bei einem erhöhten Lebenszeiteinkommen von £ 3.297 pro IQ-Punkt verrechnet mit einer geringeren Nutzung von Gesundheits- und sozialen Dienstleistungen kommen sie auf einen finanziellen Nutzen einer Jodsupplementation von £ 200 pro werdender Mutter für das britische Gesundheitssystem und £ 4.500 pro Schwangerschaft für die Gesellschaft.

„Da Jodzusätze in Nahrungsmitteln alleine möglicherweise nicht ausreichen, um bei schwangeren Frauen eine ausreichende Jodversorgung sicherzustellen, sprechen unsere Ergebnisse für eine universelle Jodsupplementierung aller Frauen vor und während der Schwangerschaft sowie während des Stillens in leicht bis moderat joddefizienten Ländern“, schlussfolgern die Autoren um Monahan.

Zusätzliches Jod immer notwendig – auch ohne Schilddrüsenfunktionsstörung

„Was die Autoren raten, ist nicht neu“, kommentiert Führer. „Die WHO empfiehlt seit vielen Jahren, allen schwangeren und stillenden Frauen eine Jodsupplementation zuzuführen.“ Die empfohlene Jodaufnahme in Schwangerschaft und Stillzeit liegt bei 250 µg am Tag. Da mit der Nahrung täglich etwa 100 µg aufgenommen werden, heißt das konkret, dass die Schwangere pro Tag eine Tablette mit 100-150 µg Jod nehmen sollte. 

 
Die Untersuchung der Schilddrüsenfunktion muss ein fester Bestandteil der Schwangerenvorsorge werden, ebenso wie die Empfehlung zur Jodprophylaxe. Prof. Dr. Dagmar Führer
 

Es sei jedoch zu beobachten, dass Jodtabletten zu wenig verordnet würden, berichtet Führer. „In Deutschland geben die Mutterschafts-Richtlinien zwar vor, mit der werdenden Mutter über die Möglichkeit einer Jodprophylaxe zu sprechen. Doch eine generelle Empfehlung zur Supplementation, und damit auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen fehlt“, moniert die Endokrinologin.

Dass Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit eine Jodsupplementation benötigen, ist für Führer unzweifelhaft: „Die mütterliche Schilddrüse muss in der Schwangerschaft ungefähr 50 Prozent mehr Schilddrüsenhormone produzieren. Also braucht sie auch 50 Prozen mehr ‚Treibstoff.“ Man gehe davon aus, dass die Unterfunktion der Schilddrüse für die Beeinträchtigung der neurokognitiven Entwicklung beim Kind ist, wenn die Mutter mit Jod unterversorgt ist. „Die Untersuchung der Schilddrüsenfunktion muss ein fester Bestandteil der Schwangerenvorsorge werden, ebenso wie die Empfehlung zur Jodprophylaxe“, sagte Führer.

Oft wird eine bis dahin unerkannte Schilddrüsenerkrankung erst in der Schwangerschaft relevant. Und auch bei Schwangeren, die bereits eine bekannte Schilddrüsenerkrankung haben, müsse die Funktion überprüft werden, um bei Bedarf die Dosis an zugeführtem Schilddrüsenhormon zu erhöhen. „In vielen Fällen ist eine Dosiserhöhung um 50 Prozent notwendig“, so Führer. Doch auch diese Frauen benötigten zusätzliches Jod, denn ab einem bestimmten Zeitpunkt fange der Fötus selbst an, Schilddrüsenhormone zu produzieren, wofür er Jod brauche. „Dies ist der Grund, weshalb auch Stillende Jod einnehmen sollten“, so Führer.

Untersuchung der Schilddrüse muss in den Mutterpass

Ebenso wie es beim Diabetes geklappt habe, müsse auch die Untersuchung der Schilddrüse in den Mutterpass. Doch eine Änderung der Mutterschafts-Richtlinien herbeizuführen, sei schwierig, betonte Führer, Beiratsmitglied der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Epidemiologen und Gesundheitsökonomen forderten „harte“ Daten zur Epidemiologie des Problems sowie zu Kosten und Nutzen einer Intervention. An beidem mangelt es den Fürsprechern einer generellen Jodsupplementation in der Schwangerschaft.

 
Andererseits handelt es sich um eine einfache Versorgungslücke und wir haben ein einfaches Mittel, mit dem wir das Problem beheben können. Prof. Dr. Dagmar Führer
 

„Es gibt Daten aus dem Ausland, zum Beispiel aus Frankreich, die bei Schwangeren einen teils erschreckenden Jodmangel aufzeigen“, berichtet Führer. Doch für Deutschland existieren solche Daten für Schwangere nicht. Untersuchungen an Kohorten aus der Gesamtbevölkerung (z. B. KORA) „zeigten bislang immer eine gerade noch ausreichende Jodversorgung“, so Führer. Hinweise darauf, dass auch in Deutschland viele Schwangere einen Jodmangel haben, gibt es allerdings schon. So weist etwa ein Fünftel der Frauen schon vor der Schwangerschaft eine leichte Schilddrüsenvergrößerung auf, die auf einen Mangel zurückzuführen ist.

„Eine randomisierte Studie durchzuführen, in der eine Gruppe Jodtabletten bekommt und die andere nicht, wäre ethisch nicht zu vertreten“, erklärt Führer das Dilemma, an harte Daten zu kommen. „Andererseits handelt es sich um eine einfache Versorgungslücke und wir haben ein einfaches Mittel, mit dem wir das Problem beheben können.“

 

REFERENZEN:

1. Monahan M, et al: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 9. August 2015

 

Kommentar

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