Arzneimittel oder Kosmetika? Sonnenschutzcremes gelten in den USA als rezeptfreie Arzneimittel und werden dort durch die Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. Das Arzneimittelrecht ist streng und prüft vor allem mögliche Gesundheitsrisiken. In Deutschland und in Europa dagegen gelten Sonnenschutzmittel als Kosmetika und müssen lediglich den Rechtsvorschriften der Europäischen Kosmetik-Verordnung (KVO: EG-Nr. 1223/2009) entsprechen.
Da die Latte dort so hoch liegt, sind in den USA weit weniger Sonnenschutzcremes verfügbar als in Europa. Über das für viele zu zögerliche Zulassungsprozedere ist in den USA eine heftige Kontroverse ausgebrochen. Selbst der ins Leben gerufene „Sunscreen Innovation Act“ konnte daran nicht wirklich viel ändern. Ist man nun in den USA übervorsichtig oder sind wir hier zu sorglos?
In der EU prüft ein internationales Expertengremium die Sicherheit der UV-Filter
Dazu erklärt Dr. Bärbel Vieth, Fachgruppenleiterin in der Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit (Fachgruppe Sicherheit von Produkten ohne Lebensmittelkontakt) am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin: „Die Verordnung sieht vor, dass nur solche UV-Filter in Sonnenschutzmitteln eingesetzt werden dürfen, die eine toxikologisch-gesundheitliche Bewertung durch den SCCS (Scientific Committee on Consumer Safety, ein unabhängiges internationales Expertengremium) erfahren haben und als sicher für den Verbraucher eingestuft wurden. Die Kosmetikverordnung enthält eine Positivliste der zugelassenen UV-Filter, d.h. nur diese UV-Filter mit den ebenfalls festgelegten Höchstkonzentrationen dürfen in kosmetischen Mitteln verwendet werden.“
Das BfR bewertet u.a. für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Inhaltstoffe kosmetischer Mittel. Dabei steht der Einzelstoff im Fokus, denn die inhärente Toxizität einer Substanz wird normalerweise nicht durch das Vorhandensein anderer Inhaltsstoffe einer Formulierung beeinflusst, erläutert die Expertin. Liegen dem BfR Informationen zur detaillierten Zusammensetzung vor, würden diese bei der Bewertung jedoch berücksichtigt.
Und in den USA? „In den letzten Monaten hat die FDA acht neuen Inhaltsstoffen von Sonnencremes die Zulassung verweigert. Sie besteht auf zusätzliche Daten, obwohl es sich um Inhaltsstoffe handelt, die in Europa seit mehr als fünf Jahren eingesetzt worden sind“, kritisiert Dr. Joshua Sharfstein im New England Journal of Medicine die Situation in den USA [1].
Verbaut die FDA den Zugang zu hochwertigem Sonnenschutz?
Zwar sammele die FDA seit 2002 auch Daten aus europäischen Ländern, doch sie ziehe daraus keine Schlüsse. Das hat 2013 zu einer Koalition aus Anwälten von Hautkrebspatienten, Dermatologen und Herstellern neuer Inhaltsstoffe geführt – der PASS (Public Access to Sun-Screens). Sie versucht, Innovationen bei Sonnenschutzmitteln voranzutreiben, machte im Kongress mobil und forderte, der FDA striktere Deadlines für das Zulassungsverfahren der Sonnenschutzmittel zu setzen.
Prinzipiell findet Sharfstein die Sorgfalt der FDA nachvollziehbar, denn: „Sonnenschutzmittel sind konzipiert für eine langfristige Anwendung an Millionen von Kindern und Erwachsenen.“ Der Sunscreen Innovation Act, der Ende des vergangenen Jahres den Kongress passierte, sollte daher sowohl der FDA als auch die Forderungen der PASS gerecht werden. Als die FDA dann wieder 8 Inhaltsstoffen die Zulassung verweigerte, schlug das Wellen. In einer Pressemitteilung erklärte PASS, dass die FDA „die steigenden Melanomraten und den öffentlichen notwendigen Bedarf an neuester Sonnencreme-Technologie nicht beachte“.
Zwar gibt es in den USA Cremes mit einem Lichtschutzfaktor (LSF) von 15 oder höher. „Allerdings lösten diese Mittel Sonnenschutzcremes mit geringerem Lichtschutzfaktor, die nur Sonnenbrand verhüten, nicht ab. Hinzu kommt: Viele Amerikaner nutzen Sonnencreme nicht so, wie das empfohlen wird“, bemängelt Sharfstein.
Dr. Robert M. Califf und Dr. Stephen Ostroff von der FDA erinnern in ihrem Beitrag für das New England Journal of Medicine daran, dass verkaufte Sonnenschutzmittel sicher und effektiv und ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen sollten; dies müsse durch qualitativ hochwertige Daten nachgewiesen sein [2]. „Ein besonderes Augenmerk liegt auf Studien zur systemischen Absorption der Chemikalien in Sonnenschutzmitteln, besonders wenn diese Produkte bei Kindern angewandt werden, die einen hohen Anteil an Körperoberfläche im Verhältnis zum Gewicht haben“, schreiben die Ärzte.
Und wie unbedenklich sind Sonnencremes hierzulande?
In Deutschland trägt für die gesundheitliche Unbedenklichkeit kosmetischer Mittel der Hersteller die Verantwortung. Entsprechend der EU-KVO muss er das durch eine externe Sicherheitsbewertung für das kosmetische Mittel belegen. Bevor ein Hersteller sein Mittel auf den Markt bringt, muss er der EU-Kommission auf elektronischem Wege über das Meldeportal CPNP (Cosmetic product notification portal) verschiedene Produktangaben gemäß Art. 13 EU-KVO zur Verfügung stellen.
„Sollte ein Hersteller die Verwendung von Nano-Materialien in einem kosmetischen Mittel planen, so muss er dies bei der Europäischen Kommission sechs Monate vor Inverkehrbringen gesondert notifizieren. Sieht die Kommission dann die Notwendigkeit einer gesundheitlichen Bewertung, wird der SCCS mit einem toxikologischen Gutachten beauftragt“, erklärt Vieth.
Die Angaben zur Produktrezeptur müssen bei den Giftnotrufzentralen und vergleichbaren Einrichtungen wie dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hinterlegt werden. Das ist wichtig für Fälle, in denen der Verdacht aufkommt, dass die Anwendung solcher Mittel zu medizinischen Notfällen geführt hat – zum Beispiel im Falle starker allergischer Reaktionen. Die Hersteller sind laut KVO verpflichtet, eine Produktinformationsdatei zu erstellen, die auch eine eingehende toxikologische Bewertung beinhaltet.
„Entsprechen kosmetische Mittel den Rechtsvorschriften der KVO, ist sicher gestellt, dass die Verwendung kosmetischer Mittel für den Verbraucher gesundheitlich unbedenklich ist. Die Haftung dafür liegt beim Hersteller“, betont Vieth.
Fazit: Die Melanominzidenz belegt nicht, wieviel Sonnencremes ein Land braucht
Welche Praxis im Umgang mit Nutzen und Risiko von Sonnenschutzmittel ist denn nun besser – die in den USA oder die in Europa? An der Melanom-Inzidenz jedenfalls lässt sich das nicht festmachen. „Nordamerika und Europa weisen eine vergleichbare Melanomhäufigkeit auf“, erklärt Prof. Dr. Dr. Christoph Geilen, Biochemiker und Dermatologe in Potsdam.
Allerdings gilt es für den Anwender auch zu beachten: Produkte mit hohem LSF belasten Haut und Organismus stärker mit chemischen Substanzen, deshalb sollte man für einen kurzen Aufenthalt im Freien nicht immer hohe Lichtschutzfaktoren verwenden, empfehlen Experten.
Wichtig sei auch, sich dick genug einzucremen: Ein Erwachsener benötigt für seinen Körper etwa 6 Teelöffel Sonnencreme. Neue Präparate arbeiten mit Dispenser-Systemen, die anzeigen, wie viele Einheiten man für welche Partie braucht. Im Zweifel gilt hier ausnahmsweise: Viel hilft viel.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Nutzen-Risiko-Abwägung bei Sonnencremes: Ist in USA die FDA zu pingelig oder sind wir in Europa zu großzügig? - Medscape - 13. Aug 2015.
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