Ist der Grenzwert für die optimale Einstellung der Vitamin-D-Spiegel für Frauen nach der Menopause womöglich niedriger, als bisher angenommen? Eine soeben in JAMA Internal Medicine veröffentlichte Studie kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass bei postmenopausalen Frauen ohne bekannte Osteoporose auch noch Serumkonzentrationen von 20 ng/ml ausreichend sein könnten [1]. Die Arbeitsgruppe um Dr. Karen E. Hansen von der Medizinischen Fakultät der Universität Wisconsin in Madison konnte zeigen, dass eine niedrig dosierte Cholecalciferol-Substition Frauen nach der Menopause ebenso nützt wie eine hochdosierte Ersatztherapie.

Prof. Dr. Matthias M. Weber
„Wir halten die randomisierte klinische Studie von Hansen und Kollegen für informativ“, urteilt Prof. Dr. Deborah Grady von der Universität Kalifornien in San Francisco in ihrem Kommentar [2]. Es sei dem Autorenkollektiv gelungen, so die Mitherausgeberin des JAMA, in die Studie ausschließlich Frauen mit Vitamin-D-Mangel aufzunehmen und 2 Ansätze im Vergleich zu Placebo zu prüfen: eine niedrig dosierte Cholecalciferol-Therapie, um Serumspiegel von 20 ng/ml und mehr zu erzielen, sowie eine hoch dosierte für Serumspiegel von 30 ng/ml und darüber.
Auch Prof. Dr. Matthias M. Weber vom Universitätsklinikum Mainz hält die Studie für wichtig. „Sie belegt erneut, dass die Datenlage für einen positiven Effekt von Vitamin D bei gesunden und beschwerdefreien Menschen sehr widersprüchlich ist und ein leicht erniedrigter Vitamin-D-Spiegel alleine daher noch keine gesicherte Indikation für eine hochdosierte Vitamin-D-Therapie ist“, meint der Leiter des Schwerpunktes Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen gegenüber Medscape Deutschland.
Weber verweist darauf, dass auch in Deutschland viele Experten einen Spiegel von 30 ng/ml und darüber für optimal halten. „Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie“, so der Mainzer Endokrinologe in seiner Eigenschaft als DGE-Mediensprecher, „ist mit einer Empfehlung für einen eindeutigen therapeutischen Richtwert allerdings zurückhaltend“. Man hoffe vielmehr, dass auf diese Frage die großen derzeit laufenden kontrollierten Langzeitstudien Antwort geben werden, deren erste Ergebnisse jedoch nicht vor 2017 vorliegen dürften.
Eine Substitutionstherapie sei allerdings dann sinnvoll, wenn es sich um Patienten mit erhöhtem Risiko handelt. Dazu zählen Personen mit einem sehr stark erniedrigten Vitamin-D-Spiegel, solche, die nur wenig Sonnenlicht-exponiert sind, ältere, sturzgefährdete Menschen, vor allem wenn sie im Heim wohnen, aber auch solche, die bereits eine Osteoporose haben, oder eine Osteomalazie oder Insuffizienz der Parathyroidea; außerdem solche mit Begleiterkrankungen, die eventuell sogar für den Vitamin-D-Mangel verantwortlich sind, etwa eine chronische Niereninsuffizienz oder eine Darmerkrankung.
Weder Knochendichte noch Beweglichkeit verbessern sich
In den USA geht man davon aus, dass bei circa 75% aller Frauen die Blutspiegel von 25-Hydroxyvitamin D unter 30 ng/ml liegen. Der Frage, ob bei allen eine Substitutionstherapie zu empfehlen wäre, kommt daher große Bedeutung zu. Die Gruppe von Hansen wollte wissen, ob es vielleicht für bestimmte Gruppen – in diesem Fall postmenopausale Frauen – Unterschiede für die Grenzwerte geben könnte.
Unter Ausschluss einer Osteoporose und anderer Erkrankungen waren daher 230 Frauen nach der Menopause im Alter von 75 Jahren und jünger ausgewählt worden. Ihre Vitamin-D-Spiegel lagen zu Studienbeginn zwischen 14 und 27 ng/ml.
Eingeteilt in nahezu gleich große Gruppen erhielten sie ein Jahr lang 3 unterschiedliche Behandlungen:
• Die Niedrig-Dosis-Gruppe nahm täglich 800 Internationale Einheiten (IE) Vitamin D3 und zweimal monatlich ein gelbes Placebo zu sich.
• Die Hoch-Dosis-Gruppe erhielt täglich ein weißes Placebo und zweimal monatlich 50.000 IE Vitamin D3.
• Die dritte Gruppe nahm täglich ein weißes und zweimal im Monat ein gelbes Placebo ein.
Davon ausgehend, dass dauerhaft niedrige Vitamin-D-Spiegel vor allem die Knochengesundheit beeinträchtigen und häufig zu Osteoporose-bedingten Frakturen führen, waren dies wichtige Kriterien für die vergleichende Auswertung. „Hinsichtlich der Wirkung auf Knochen und Muskulatur stellten wir fest, dass hoch dosiertes und niedrig dosiertes Cholecalciferol gleichwertig gegenüber Placebo waren“, schreibt das Autorenkollektiv.
Unter der hohen Dosierung stieg die Kalzium-Absorption mit 1% zwar leicht an, ein positiver Effekt ließ sich jedoch weder bei der Knochendichte noch bei der Muskelfunktion und der Muskelmasse nachweisen.
Ebenso wenig ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen den 3 Behandlungsgruppen, was die körperliche Aktivität, die Sturzhäufigkeit und die Anzahl derer, die einen Sturz erlitten, anbelangt. Auch die Beweglichkeit – gemessen durch „Timed Up and Go”- sowie „Five Sit to Stand”-Tests – verbesserte sich unter der Cholecalciferol-Therapie nicht.
Für verbindliche Richtwerte fehlen valide Daten
„Die Ergebnisse der Studie stützen nicht die Empfehlung, einen Serumspiegel von 30 ng/ml oder höher aufrechtzuerhalten“, schreibt Hansen. Die Autoren sehen ähnlich wie das US-Institut für Medizin (IOM) eine ausreichende Sättigung eher schon bei 20 ng/ml erreicht. Sie sind sich aber auch darüber im Klaren, dass sich die Ergebnisse ihrer Studie nicht auf eine Cholecalciferol-Therapie für junge Erwachsene sowie auf Männer oder Frauen, die älter als 75 Jahre sind, übertragen lassen.
Die Studie von Hansen und Kollegen hat ihre Stärken, wie die Autoren selbst betonen. Sie verweisen auf die Homogenität, die Compliance und die Motivation der Patientinnen, die auch wiederholt Anleitungen zur richtigen Ernährung erhielten und befolgten. Zum anderen waren exakte Verfahren wie die Messung der Calcium-Absorption (total fractional calcium absorption, TFCA) mittels zweier stabiler Isotope oder die Dual-Röntgen-Absorptiometrie für die Ermittlung der Knochendichte und der Knochenmasse ausgewählt worden. Die 25(OH)D-Spiegel wurden mit Hilfe der Hochleistungs-Flüssigkeits-Chromatographie bestimmt.
Ein Manko könnte jedoch die kurze Behandlungsdauer von einem Jahr sein. Ein Argument, das auch Grady in ihrem Kommentar nicht außer Acht lässt. „Möglicherweise“, so die US-Professorin für Epidemiologie, „würde eine Behandlungsdauer von mehr als einem Jahr bessere Ergebnisse liefern.“ Weber geht davon aus, dass auch über diesen Aspekt die laufenden Studien in naher Zukunft mehr Aufschluss geben werden.
REFERENZEN:
1. Hansen KE, et al: JAMA Internal Medicine (online) 3. August 2015
2. Grady D: JAMA Internal Medicine (online) 3. August 2015
Diesen Artikel so zitieren: Knochenschutz nach den Wechseljahren: US-Studie findet keinen Vorteil der hoch dosierten Vitamin-D-Gabe - Medscape - 11. Aug 2015.
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