Politzer-Verfahren bei Otitis media unterschätzt? Nasenballon nimmt Kindern den Schmerz

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

5. August 2015

Dass der Einsatz eines Nasenballons bei Kindern mit Otitis media den schmerzhaften Druck auf das Trommelfell mindern kann – dies zeigt jetzt eine kanadische Studie [1]. Dr. Ian Williamson von der University of Southampton wandte das Verfahren in 43 Praxen von Hausärzten bei 320 Kindern im Alter von 4 bis 11 Jahren an.

Die Maßnahme wirkt in erster Linie schmerz- lindernd. Prof. Dr. Reinhard Berner

„Im Prinzip ist der Wirkmechanismus nichts Neues“, erklärt Prof. Dr. Reinhard Berner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der TU Dresden. Die durch das Aufblasen des Ballons über die Nase erzeugte Druckerhöhung bewirkt eine Wiedereröffnung der eustachischen Röhre und ermöglicht damit die Belüftung des Mittelohrs. „Die Maßnahme wirkt in erster Linie schmerzlindernd. Charakteristisch für Otitis Media ist ja diese Mischung aus Schmerz und starkem Druckgefühl im Mittelohr“, erklärt Berner im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Der aufgebaute Luftdruck öffnet die Ohrtrompete oder Tube, wie die eustachische Röhre auch genannt wird. Damit kommt es zum Druckausgleich zwischen äußerem Gehörgang und Mund-Rachenraum, auch der Abfluss von Flüssigkeit aus der Paukenhöhle in den Rachenraum wird damit ermöglicht: Druck und Schmerz nehmen ab. In zweiter Linie wird aber auch das Hörvermögen wieder hergestellt, was für die Kinder mittelfristig noch wichtiger sein kann.

Nasen-Ballon bei Otitis media: So funktioniert es

Dr. Doug Mann, niedergelassener HNO-Arzt in Falmouth, Massachusetts, erklärt in einem YouTube-Video die Wirkweise des Ballons. Ein herkömmlicher, bereits aufgeblasener Luftballon wird auf ein kleines Röhrchen gesetzt. Der Proband nimmt einen Schluck Wasser, das Röhrchen wird an der Nase angesetzt und beim Schlucken des Wassers entweicht Luft in die Nase. Beim Schlucken dichtet der weiche Gaumen die Nasenhöhle gegen den Rachen ab. Die aus dem Ballon entwichene Luft gelangt über die eustachische Röhre oder Tuba auditiva in die Paukenhöhle und drückt die Flüssigkeit in den Rachenraum.

Für kleine Kinder sei die Methode allerdings noch nicht geeignet, so Berner. „Bei unter Dreijährigen ist das realistischerweise noch nicht gut möglich, die Kinder sollten schon drei Jahre oder älter sein. Und auch dann brauchen sie Anleitung und Hilfe der Eltern.“ In der Studie von Williamson waren die Kinder mindestens 4 Jahre alt.

Bei 73 von 188 Ohren (38,8%) hatte sich nach einem Monat der tympanometrische Befund normalisiert. In der Vergleichsgruppe war dies nur bei 52 von 187 Ohren der Fall (27,8%). Williamson errechnet ein relatives Risiko (RR) auf eine Besserung von 1,28 (95%-Konfidenz-Intervall: 1,01 - 1,87). Bei einer weiteren Nachuntersuchung nach 3 Monaten hatte sich der Befund des Trommelfells bei 40,6% der Kinder, die den Nasenballon (Autoinflation) regelmäßig nutzten, gebessert gegenüber 38,3 % in der Vergleichsgruppe. Die Kinder klagten auch an deutlich weniger Tagen über Symptome und die Lebensqualität hatte sich verbessert. 89% der Eltern gaben an, dass die Kinder das Manöver regelmäßig durchführten.

Nasenballon: In den Leitlinien kaum erwähnt

„Bislang ist das keine wissenschaftlich etablierte Methode”, stellt Berner klar. Entsprechend gibt es zum Einsatz von Nasenballons bislang auch kaum aussagekräftige Studien, die Arbeit von Williamson ist eine der ersten, die diese Methode kontrolliert und randomisiert prüft. Dass der Nasenballon eher selten eingesetzt wird, bestätigt auch Dr. Ulrich Fegeler, Kinderarzt in Berlin und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands auf Nachfrage: „Auch in den verschiedenen Leitlinien – die AWMF-Leitlinie ist noch im Entstehen, – spielt die Nasenballontherapie, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle“, sagt Fegeler.

Mit der Autoinflation haben wir jetzt etwas Effektives, das wir Kindern mit Mittelohrentzündung anstelle eines chirurgischen Eingriffs anbieten können. Dr. Chris Del Mar und Dr. Tammy Hoffmann

In der DEGAM-Leitlinie stehe dazu nur ein Satz: Die Tubenbelüftung kann beim Seromukotympanon durch Kau- und Schluckbewegungen (Valsalva-Manöver) sowie durch Aufblasen eines Nasenballons (Politzer-Verfahren) gefördert werden. „Die Nasenballon-Methode ist eher eine Randmethode und sicher keine routinemäßige Therapieempfehlung“, so Fegeler. Das Politzer-Verfahren ist eigentlich schon lange bekannt, allerdings vor allem als diagnostische Methode; es dient der Prüfung, ob die Tube durchgängig ist.

Doch möglicherweise könnten die Studienergebnisse den Durchbruch als Therapieverfahren bringen: Nach Einschätzung von Berner hat die Methode das Potenzial, nun eine breitere Anwendung zu erfahren und möglicherweise auch die eine oder andere Operation zu vermeiden.

Diese Einschätzung teilen auch Dr. Chris Del Mar und Dr. Tammy Hoffmann vom Centre for Research in Evidence Bases Practice der Bond University in Queensland, Australien in ihrem begleitenden Editorial: „Mit der Autoinflation haben wir jetzt etwas Effektives, das wir Kindern mit Mittelohrentzündung anstelle eines chirurgischen Eingriffs anbieten können.“

REFERENZEN:

1. Williamson I, et al: CMAJ (online) 27. Juli 2015

Kommentar

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