Ein Hörgeräte-Akustiker, ansässig in einem Ärztehaus, wundert sich, weil vom HNO-Arzt nebenan keine Patienten mehr in seinen Laden kommen. Die Erklärung: Der Arzt hat mit einem anderen Anbieter eine Vereinbarung geschlossen. Wenn er Patienten zu diesem schickt, fließt Geld. „Ähnliches geschieht, wenn Pflegeheime, Kliniken oder Orthopädieschuhmacher Ärzten Geld für Patienten bzw. Kunden zahlen", erläutert Patricia Zimmermann, Juristin in der Abteilung „Abrechnungsmanipulation“ der KKH Kaufmännische Krankenkasse.
Mit solchen Praktiken soll nun Schluss sein. Das Bundeskabinett hat einen entsprechenden Gesetzestext (299a und 299b Strafgesetzbuch) verabschiedet [1]. Er bedroht Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten und Pflegende, die bestechen oder sich bestechen lassen, mit 3 oder in schweren Fällen (wenn Patienten geschädigt werden) sogar mit 5 Jahren Haft.
Auch niedergelassene Ärzte können belangt werden
Justizminister Heiko Maas (SPD) hat mit seinem Entwurf „alle Angehörige von Heilberufen erfasst, die für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordern“, wie das Bundesjustizministerium erklärt [2].
Nach Angaben des Ministeriums könnte sich der Schaden, der bislang durch Bestechung und Bestechlichkeit entsteht, allein bei den gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland auf jährlich 9,6 Milliarden Euro belaufen. Allerdings räumt auch das Ministerium ein: „Konkrete Schadenshöhen sind nicht bekannt.“
Im Gesetzentwurf wird allerdings Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen nicht als Offizialdelikt deklariert, das die Staatsanwaltschaft von sich aus verfolgen müsste, sondern als Strafantragsdelikt. Strafanträge stellen können Kassen, Kassenärztliche Vereinigungen und Kammern. In besonders schweren Fällen kann die Staatsanwaltschaft aber auch von sich aus ermitteln. Damit steht die Korruption im Gesundheitswesen – juristisch gesehen – etwa auf einer Stufe mit Beleidigungen oder leichten Körperverletzungen.
Bisher konnte der Gesetzgeber nur angestellte Ärzte belangen. Niedergelassene dagegen könnten nicht wegen Korruption verfolgt werden, entschied der Bundesgerichtshof in einem viel beachteten Urteil, weil sie keine Amtsträger oder Beauftragte der Krankenkassen sind. Diese Regelungslücke soll der nun vorliegende Gesetzentwurf schließen.
Alles, was Ärzten heute als berufliche Kooperation erlaubt ist, wird allerdings auch weiter erlaubt bleiben, betont das Ministerium. Zum Beispiel die „bloße Teilnahme an einer vergüteten Anwendungsbeobachtung“. Auch „berufsrechtlich zulässige Berufsausübungsgemeinschaften, die zum einen für die Beteiligten wirtschaftlich vorteilhaft sein und von denen auch Patienten profitieren können, sind künftig nicht unzulässig“, heißt es weiter.
Ärzte kritisieren Berufsrechtsalternative
Die Allianz Deutscher Ärzteverbände kritisiert jedoch das Gesetz. Der Anwalt, der das Antikorruptionsgesetz im Auftrag der Allianz geprüft hat, Dr. Daniel Neuhöfer, Rechtsanwalt der Kanzlei REDEKER SELLNER DAHS in Bonn, hebt vor allem 3 Punkte hervor.
„Im Bundestag würde die Berufsrechtsalternative mitbeschlossen“, sagt Neuhöfer. Das neue Gesetz legt darin fest, dass auch die berufsrechtliche „Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit“ zur Strafbarkeit von Korruption führen kann. „Obwohl verfassungsrechtlich nur das Parlament über Strafgesetze entscheiden darf, begründen hier die Kammern durch die Hintertüre strafrechtliches Verhalten“, so Neuhöfer.
Zudem sei die Berufsrechtsalternative praktisch überflüssig. weil sie nur dann angewendet wird, wenn „im Monopol bestochen wird“, wie Neuhöfer sagt, also, wenn etwa ein Pharmahersteller Schmiergeld für die nicht indizierte Verwendung eines Medikamenten zahlt, das nur er herstellt. Dann aber „könnte das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht gegebenenfalls angefochten werden“, meint der Anwalt. „Der Gesetzgeber sollte vermeiden, dass diese Unsicherheit am Ende auf die neue Strafvorschrift insgesamt abfärbt.“
Außerdem wünscht sich Neuhöfer in dem Gesetz noch eine positive Abgrenzung zur Korruption. „In der Pharma-Industrie gibt es Selbstregulierungs-Kodizes, zum Beispiel den FSA-Kodex, der die Verhaltensgrundlagen der Mitglieder festschreibt“, so Neuhöfer. „Wer diesen Kodex einhält, sollte auch strafrechtlich auf der sicheren Seite sein, besonders wenn der Kodex vom Bundeskartellamt geprüft ist.“
Eine entsprechende Klarstellung wünscht sich Neuhöfer auch im Interesse der Ärzteschaft. „Eigentlich hätte der Gesetzgeber solche Verhaltensregeln in seiner Begründung als positive Beispiele nennen können.“
Schließlich formuliert Neuhöfer noch Einwände gegen den Katalog der Strafantragsberechtigten, den das neue Gesetz zusammengestellt hat. „Das Problem ist, dass auch die Kostenträger strafantragsberechtigt sind“, so Neuhöfer. Er befürchtet, dass wirtschaftliche Konflikte ins Strafrecht verlagert werden. So können Berechtigte im Zusammenhang mit dem Antrag Akteneinsicht erhalten.
„Es könnten die Anträge einfach nur deshalb gestellt werden, um aus den Unterlagen etwa von Ärzten etwas zutage zu fördern, was den Kostenträgern sonst verborgen geblieben wäre.“ In der Wirtschaft komme es immer wieder dazu, „dass Ermittlungsverfahren zur Ausforschung missbraucht werden“.
Zudem könnte die Regelung den Ruf von Ärzten ruinieren. „Zwar bedeutet es keine Straftat des Arztes, wenn ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wird. Aber er steht in der Öffentlichkeit zunächst als kriminell da, auch wenn sich die Vorwürfe als haltlos erweisen“, sagt Neuhöfer.
Kasse begrüßt Berufsrechtsalternative
Patricia Zimmermann von der KKH sieht die Probleme des Gesetzes naturgemäß an anderer Stelle, auch wenn die Kasse das Gesetz „sehr begrüßt“.
Anders als Neuhöfer befürwortet Zimmermann die Berufsrechtsalternative. „Wie anders könnten alle an der möglichen Straftat Beteiligten verfolgt werden?“, fragt Zimmermann. Die Kammer könne die Verletzung der beruflichen Unabhängigkeit nur bei ihren Mitgliedern sanktionieren, „nicht aber bei den anderen Parteien der Delikte. Außerdem hat sie Probleme, die Delikte wirklich nachzuweisen. Sie ist ja keine Staatsanwaltschaft und hat weniger Möglichkeiten.“ Keine Kammer könne etwa Mietverträge zutage fördern, die belegen, dass sich ein Sanitätshaus Räume in der Praxis eine Orthopäden gemietet hat.
Zur rechtlichen Einordnung der Korruption erklärt Zimmermann: „Wir sind sehr zufrieden, weil dies ein deutliches Signal des Gesetzgebers ist, Korruption im Gesundheitswesen nicht weiter hinzunehmen. Noch besser wäre es allerdings, wenn Korruption im Gesundheitswesen als Offizialdelikt gewertet werden würde und nicht nur auf Strafantrag verfolgt wird.“ Nun stehe sie auf gleicher Stufe wie eine Beleidigung oder leichte Körperverletzung, was der Schwere der Taten nicht entspreche. Immerhin gehe es um ein sozialethisches Problem: „Die Patienten müssen sicher sein können, dass ihr Arzt sie ausschließlich aus medizinischen Gründen behandelt.“
Schließlich hätte die KKH gerne griffigere Formulierungen zur Beteiligung von Ärzten an Unternehmungen. Ist etwa der Arzt nur mittelbar an einer allgemeinen Gewinnausschüttung und am Erfolg einer Unternehmung beteiligt, kommt es zum Beispiel darauf an, ob er durch seine Patientenzuführung spürbar mehr Geld verdient hat.
„Dadurch könnte ein Graubereich entstehen“, so Zimmermann. „Allein die Bezeichnung ‚als mittelbare Beteiligung‘ ist bereits schwer nachzuvollziehen: Entweder ein Arzt ist Gesellschafter eines Unternehmens oder nicht. Die Frage, auf welche Weise die wirtschaftlichen Vorteile aus dieser Beteiligung fließen, dürfen für die Beurteilung keine Rolle spielen. Entscheidend müsste die Höhe der Beteiligung sein und in Korrelation hierzu das Verordnungsvolumen des Leistungserbringers, das auf Verordnungen des beteiligten Arztes beruht.“
Nach Angaben des Bundesjustizministeriums soll das Gesetz spätestens Anfang 2016 in Kraft treten.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Von den Kassen begrüßt und den Ärzten kritisiert – das Antikorruptionsgesetz ist auf dem Weg - Medscape - 31. Jul 2015.
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