
Dr. Martin Diers
Rom – „Neue Studien bestätigen, dass kognitive Verhaltenstherapien Patienten mit Fibromyalgie helfen könnten“, berichtete Dr. José A.P. Da Silva,Department of Rheumatology, University of Coimbra, Portugal, auf dem Jahreskongress der European League Against Rheumatism (EULAR) in Rom [1]. Die auf dem Kongress vorgestellten hirnphysiologischen Befunde liefern Erklärungsansätze zur Wirkungsweise von Verhaltenstherapie und Neurofeedback bei Fibromyalgie(FM)-Patienten. „Gerade mit Blick auf die wenig effektiven verfügbaren Medikamente ist es dringend nötig, solche neuen Forschungsergebnisse in Behandlungsstrategien umzusetzen.“ so Da Silva. Trotzdem mahnte er zur Vorsicht bei der Interpretation der Studienergebnisse.
„Dass kognitive Verhaltenstherapie den frontalen Cortex verändern kann, ist durch Studien belegt“, erläutert Dr. Martin Diers, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Göttingen auf Nachfrage von Medscape Deutschland. „Eine unserer Studien zeigt, dass Verhaltenstherapie die Schmerzverarbeitung von einer affektiven-emotionalen Verarbeitung zu einer sensorisch-diskriminierenden Verarbeitung verändert. Weiterhin gibt es auch eine Studie aus dem vergangenen Jahr , in der gezeigt wurde, dass mittels Neurofeedback tatsächlich die Aktivierung bestimmter Hirnareale verändert werden kann.“
Veränderte Schmerzverarbeitung bei Fibromyalgie-Patienten
Da Silva stellte in Rom unter anderem eine Untersuchung vor, bei der mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI) Erregungszustände im primär-sensiblen Areal (S1-Region) des somatosensorischen Kortex bei FM-Patienten sichtbar gemacht wurden. In diesem Teil der Großhirnrinde wird unter anderem die Lokalisierung und Intensität von Schmerz verarbeitet.
Bisherige Studien hatten bereits mittels fMRI nachweisen können, dass bei FM-Patienten auch dann die Konnektivität, also die neuronalen Verbindungen, im Vergleich zu gesunden Probanden verändert ist, wenn die Patienten keinen Schmerz empfinden. In dieser Untersuchung widmeten sich die US-amerikanischen Autoren jedoch speziell der schmerzrelevanten S1-Region.
Sie haben das Erregungsniveau neuronaler Netzwerke gemessen, das durch Druckschmerz (hervorgerufen mittels Beinschnalle) entsteht. Dies ist dann mit einer mit dem Erregungszustand ohne Schmerz sowie mit demjenigen von gesunden Probanden verglichen worden. Es zeigte sich, dass bei FM-Patienten ohne schmerzhafte Stimulation die Konnektivität in der S1-Region im Vergleich zu gesunden Probanden reduziert war – innerhalb der Hemisphäre, die für die schmerzhafte Stimulation zuständig war, wie auch über beide Gehirnhälftenhinweg.
Bei Druckschmerz am unteren Bein zeigten FM-Patienten im Vergleich zu Gesunden und zur Ruhephase ohne Schmerzreiz eine erhöhte S1-Konnektivität zu den beiden Anteilen der Insel. Zudem stand die Konnektivität der S1-Region zur den vorderen Anteilen der rechten vordere Insula in direkter Verbindung zur Intensität des Schmerzempfindens und dem Ausmaß der Katastrophierung von Schmerz. Eine höhere Konnektivität zur linksanterioren Insel hingegen war verbunden mit erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber dem Druckschmerz.
Verbindung zwischen S1-Region und Insula bei Fibromyalgie
Es zeigte sich auch, dass die Konnektivität zwischen S1-Region und Cortex insularis mit Änderungen im Schmerzempfinden sowie einer höheren Variabilität der Herzfrequenz korreliert war.
Die Insula ist ein kleiner Abschnitt in der Großhirnrinde, der für die Selbstwahrnehmung von Bedeutung ist. Insbesondere die anteriore Insula ist eine neuronale Region, die in Zusammenhang steht mit Aufmerksamkeit sowie dem Gefühls- und Gemütsleben. Er ist an empathischen Fähigkeiten und Emotionen beteiligt. „Hyperalgesie in Patienten mit Fibromyalgie kann also als eine erhöhte Verbindung zwischen Emotionen und Aufmerksamkeit als Antwort auf Schmerz-Stimuli verstanden werden“, so Da Silva.
„Das Hauptergebnis der Studie, nämlich dass langanhaltender Schmerzreiz bei FM-Patienten im Gegensatz zu Gesunden zu einer Verbindung zwischen der S1-Region und der Insula führt, ist allerdings nur ein Gruppenmittelwert, gilt also noch nicht für den einzelnen Patienten“, gibt Diers zu bedenken. „Das wird auch erst einmal so bleiben, so dass aus der Studie keine direkten Schlüsse bezüglich einer individuellen Diagnose für Patienten mit Fibromyalgie zu ziehen sind. Sie führt uns aber ein Stückchen weiter hin zu einem besseren Verständnis der Erkrankung und zur Verbesserung von therapeutischen Anwendungen.“
Diesen Artikel so zitieren: Warum hilft Verhaltenstherapie bei Fibromyalgie? Neue Studien zur Hirnfunktion liefern Argumente - Medscape - 21. Jul 2015.
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