GOLD-Kriterien zur COPD-Diagnose: Schließen sie zu viele ältere Männer ein und übersehen junge Frauen?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

22. Juli 2015

Bis zu 13% der Patienten, die nach den GOLD-Kriterien an chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leiden, werden fehldiagnostiziert, warnen britische Epidemiologen [1]. „Die neuen Leitlinien zur Diagnostik der COPD sollten modifiziert werden, weil sie die Erkrankung bei älteren Männern überdiagnostizieren und bei jüngeren Frauen unterdiagnostizieren“, schreiben Prof. Dr. Martin Miller vom Institut of Occupational und Environmental Medicine der University of Birmingham und Dr. Mark Levy von der Harrow Clinical Commissioning Group, London im British Medical Journal [1]

Bei den Älteren werde damit die Möglichkeit vernachlässigt, dass es sich bei der vermeintlichen COPD um eine Herzerkrankung handeln könne. „Patienten, die falsch diagnostiziert wurden, sind aufgrund von unangemessener Medikation oder nicht korrekter Therapie in einem schlechteren Zustand,“ fügen die britischen Epidemiologen hinzu.

Kliniker und Epidemiologen uneins

Prof. Dr. Claus-Franz Vogelmeier

Sind die erst kürzlich aktualisierten GOLD-Kriterien deshalb überarbeitungswürdig? Nein, beruhigt Prof. Dr. Claus-Franz Vogelmeier, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Pneumologie in Marburg. Auf Nachfrage von Medscape Deutschland erklärt er: „Der Artikel von Miller und Levy reiht sich ein in eine schon lange schwelende Kontroverse zwischen Klinikern und Epidemiologen, eine Kontroverse, die teilweise auch sehr emotional geführt wird.“

Nach der Definition der Global Initiative For Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) ist die COPD durch eine nicht reversible Einschränkung der Lungenventilation gekennzeichnet, die normalerweise progredient ist und mit einer überschießenden Entzündungsreaktion auf schädliche Partikel oder Gase einhergeht. Entsprechend GOLD muss bei jedem Patienten an eine COPD gedacht werden, der Symptome wie Husten, Auswurf und Dyspnoe aufweist oder Risikofaktoren (z.B. Rauchen) ausgesetzt ist. Die Diagnose wird durch Spirometrie gesichert.

Sollte das „Lower Limit of Normal“ stärker berücksichtigt werden?

Vertreter der Epidemiologie wie Levy und Miller wollen das „Lower Limit of Normal“ (LLN) stärker berücksichtigt wissen. Das ist beim Lungenfunktionstest der untere Grenzwert, der über die Beurteilung ‚normal‘ oder ‚pathologisch‘ entscheidet. Diese Grenze ist altersabhängig verschieden und liegt z.B. bei einem 80-Jährigen unterhalb von 70% des alten Sollwertes, was früher fälschlich als pathologisch angesehen wurde. Kliniker hingegen orientieren sich an den GOLD-Kriterien mit dem „Fixed-ratio-Algorithmus“.

 
Die gegenwärtigen Diagnosekriterien (GOLD) führen in manchen Gruppen zur Überdiagnostik. Prof. Dr. Martin Miller und Dr. Mark Levy
 

Die britischen Epidemiologen argumentieren, dass Kliniker international übereinstimmende Standards nutzen sollten um zu beurteilen, ob Patienten an COPD leiden. „Das würde dabei helfen, zu einer möglichst akkuraten Diagnose zu gelangen, darüber die Versorgung der Patienten zu verbessern und auch Geld zu sparen, weil Einweisungen reduziert werden, die aufgrund von falscher Diagnostik und ungeeigneter Therapie entstanden sind.“

„Die gegenwärtigen Diagnosekriterien führen in manchen Gruppen zur Überdiagnostik“, schreiben Levy und Miller. So liege laut GOLD-Definition die COPD-Prävalenz bei den über 40-Jährigen in England und Wales bei 22%. Gehe man allerdings von den LLN-Kriterien aus, liege die Prävalenz in dieser Altersgruppe nur bei 13%.

Befunde im Kontext mit allen Symptomen betrachten

Vogelmeier stimmt diesem Kritikpunkt zu: Orientiere man sich an der fixed ratio alleine, dann fielen, wie von Levy und Miller dargelegt, jüngere Patienten eher durchs Raster und Ältere würden tendenziell überdiagnostiziert. Er betont aber, dass es ein Missverständnis der Epidemiologen sei, sich zu sehr und zu ausschließlich auf die Lungenfunktion zu konzentrieren: „Der Patient stellt sich mit Symptomen vor. Diese führen dann dazu, dass die Lungenfunkton geprüft wird. Diesen Befund muss man dann wiederum im Kontext mit den weiteren Befunden sehen.“

 
Der Lungen- funktionstest ist nur ein Messwert. Den muss man immer im Kontext mit den klinischen Symptomen sehen, dann löst sich die Kontroverse in Wohlgefallen auf Prof. Dr. Claus-Franz Vogelmeier
 

In der Epidemiologie würden Daten angeführt, die eine pathologische LLN bei normaler fixed ratio zeigten: „Dabei wird übersehen, dass es auch Daten gibt, aus den USA z.B., die nachweisen, dass bei nach LLN-Kriterien normaler Lungenfunktion und nach Fixed-ratio-Kriterien pathologischer Lungenfunktion eine erhöhte Mortalität besteht.“

Die Komplexität der COPD-Diagnose betont auch Dr. Jeroen Verheul, Pneumologe im Department of Pulmonary Disease and Tuberculosis in Ede, Niederlande. In einem Online-Kommentar im BMJ schreibt er [2]: „Im Gegensatz zur Auffassung vieler umfasst die Diagnose der COPD viel mehr als nur die Erhebung der FEV1 (Einsekundenkapazität) und der FEV1/FVC-Ratio. Das zeigen wir Lungenfachärzte täglich bei unserer Arbeit.“

Vogelmeier resümiert, es handele sich um ein eher theoretisches Problem. „Der Lungenfunktionstest ist nur ein Messwert. Den muss man immer im Kontext mit den klinischen Symptomen sehen, dann löst sich die Kontroverse in Wohlgefallen auf“, erklärt er.

 

REFERENZEN:

1. Miller MR, et al: BMJ 2015;351:h3021

2. Verhheul J: BMJ 2015;351:h3021

 

Kommentar

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