Die Arztdichte ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen – das zeigt der Ärzteatlas 2015 des Wissenschaftlichen Institutes der Ortskrankenkassen (WIdO) [1]. Je 100.000 Einwohner ist die Zahl berufstätiger Ärzte von 442 im Jahr 2013 auf 451 in 2014 gestiegen, 1991 lag sie bei 304. Im vertragsärztlichen Bereich wird das auf der Bedarfsplanung beruhende Plansoll dabei um fast ein Drittel übertroffen, erklären die Autoren des Ärzteatlas.
Mangel bahnt sich auch bei den Hausärzten an
Im hausärztlichen Bereich ergebe sich bundesweit ein Versorgungsgrad von 110%. Regional aber sind die Unterschiede groß, betonen die Autoren und sprechen von einem Verteilungsproblem. Hinzu kommt: Bundesweit sind 32% der Hausärzte (17.276) über 60 Jahre alt, 38% sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern sind über ein Drittel der Hausärzte über 60 Jahre alt.
„Wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden Jahren etwa 500 Hausarztpraxen nicht werden nachbesetzen können. Natürlich wird sich das auch in der Versorgung bemerkbar machen. Ländliche Regionen werden tendenziell stärker betroffen sein, aber wir haben heute auch in den Städten Probleme, Hausarztpraxen nachzubesetzen – von einem Ärztemangel kann man durchaus reden“, fasst Kai Sonntag, Sprecher der KV Baden-Württemberg, gegenüber Medscape Deutschland die Situation in Baden-Württemberg zusammen.
Auch in Rheinland-Pfalz ist ein Ärztemangel schon jetzt abzusehen. Laut den Zahlen der KV Rheinland-Pfalz sind dort schon 36% der Hausärzte 60 Jahre oder älter. „Im statistischen Mittel scheiden unsere Ärzte mit knapp über 62 Jahren aus dem Berufsleben aus. Demnach könnte etwa die Hälfte der Hausärzte in Rheinland-Pfalz bis 2020 in den Ruhestand gehen“, berichtet Dr. Rainer Saurwein, Sprecher der KV Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Schon jetzt gibt es in 25 der 51 Planungsbereiche in Rheinland-Pfalz offene Stellen. „Über 90 Stellen sind derzeit nicht besetzt und das ist durchaus nicht nur auf dem Land so, sondern auch in städtischen Planungsregionen wie Grünstadt, Bad Dürkheim oder Koblenz/Lahnstein. In einzelnen Orten ist die Situation jetzt schon schwierig“, so Saurwein.
Ärztemangel lässt sich nur durch mehr Ärzte abwehren
Über verschiedene Ansätze wird versucht, den heute schon spürbaren Ärztemangel aufzufangen: Überörtliche Gemeinschaftspraxen, kommunal geförderte Praxisräume, in denen Ärzte in unterversorgten Gemeinden auch stundenweise Sprechstunden abhalten können, der Einsatz von VERAHs oder auch finanzielle Hilfen für die Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen. „In Rheinland-Pfalz finanzieren wir z.B. zusammen mit den Krankenkassen Weiterbildungsstellen zum Facharzt für Allgemeinmedizin“, so Saurwein.

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
Über Telemedizin oder Modellprojekte wie Online-Sprechstunden wird ebenfalls versucht, einer Unterversorgung entgegenzuwirken. So können Gemeinden über den Online-Auftritt Ort-sucht-Arzt.de nach einem Arzt suchen und mit ihrer speziellen Infrastruktur für sich werben. „Wir versprechen uns davon keine Wunder, aber wir hoffen, dass über diesen Service der eine oder andere dringend benötigte Arzt in einen Ort vermittelt werden kann“, berichtet Saurwein.
„Abwehren lässt sich der Ärztemangel nur, wenn es gelingt, mehr Ärztinnen und Ärzte auszubilden. Derzeit gibt es an unseren Universitäten knapp 10.000 Medizinstudienplätze. Mindestens zehn Prozent mehr wären notwendig“, forderte Ärztekammerpräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery schon in der Ärztestatistik 2014.
Vor allem Hausärzte werden händeringend gesucht – laut KBV-Statistik wird sich ihre Zahl bis 2020 um etwa 7.000 verringern. Als Hoffnungsschimmer wertet die Bundesärztekammer, dass die Zahl der Zulassungen in der Allgemeinmedizin und der Inneren-und Allgemeinmedizin gegenüber dem Vorjahr von 1.112 auf 1.218 stieg.
Arzttyp hat sich gewandelt – auch das erfordert eine höhere Ärztedichte
Nicht zuletzt verlangt die gesellschaftliche Entwicklung mehr statt weniger Ärzte. Saurwein verweist auf die zunehmende Lebenserwartung in Verbindung mit Multimorbidität, durch die zwangsläufig auch der Behandlungsbedarf steige. „Die Gesellschaft hat sich verändert – die heutige Generation – und da sind Mediziner keine Ausnahme – möchte mit dem Beruf auch Familie und Freizeit vereinbaren können. Um zwei Ärzte des traditionellen Typs – mit einem Arbeitspensum von bis zu 70 Stunden pro Woche und einer Frau, die ihrem Mann den Rücken freihält – zu ersetzen, braucht man heute fast drei Ärzte“, erklärt Saurwein.
„Wir haben es mit einer nachwachsenden Ärztegeneration zu tun, die berechtigte Anforderungen an ihren Arbeitsplatz stellt“, betont auch Ärztekammerpräsident Montgomery. „Wie zahlreiche Umfragen zeigen, legen diese jungen Ärzte großen Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Freizeit, auf feste Arbeitszeiten und flexible Arbeitszeitmodelle.“ Die Folge: Immer mehr von ihnen entscheiden sich für eine Anstellung und gegen die Niederlassung.
„Hinzu kommt: 70 Prozent der heutigen Medizinstudierenden sind Frauen, ein großer Teil davon möchte Familie und Kinder. Es ist also abzusehen, dass diese Ärztinnen – zumindest zeitweise – nicht alle Vollzeit arbeiten können und wollen“, so Saurwein. Alle diese Faktoren verursachen die steigende Arztdichte.
Image des Allgemeinmediziners muss dringend verbessert werden
Hinzu kommt das in Deutschland sehr hohe Niveau der medizinischen Versorgung: „Im Durchschnitt sucht jeder Einwohner pro Jahr 18 mal einen Arzt auf.“ Im Vergleich aller OECD-Länder hat Deutschland zudem die geringste Wartezeit auf Facharzttermine. Kritisiere man die Arztdichte als zu hoch, werde damit auch der hohe Versorgungsstandard infrage gestellt, gibt Saurwein zu bedenken.
Auch Sonntag betont: „Aufgrund der Zahlen der Ärzte auf eine bessere Arztdichte und damit bessere Versorgung zu schließen, ist eben zumindest fragwürdig. Wir haben heute immer mehr Ärzte, die nur in Teilzeit tätig sind und die, die ins System kommen, versorgen tendenziell weniger Patienten als die, die aus ihrer Tätigkeit ausscheiden.“
„Das Image des Allgemeinmediziners muss dringend verbessert werden“, fordert Saurwein. Die Neuerungen im Medizinstudium und die Erhöhung der Zahl der Lehrstühle für Allgemeinmedizin stuft er als sinnvoll und notwendig ein, gibt aber zu bedenken: „Diese Änderungen können sich ja erst in sechs bis zehn Jahren auswirken – aber die Ruhestandswelle beginnt jetzt schon.“
Auch Sonntags Fazit fällt eher nüchtern aus: „Es wird viel diskutiert, und es tut sich auch einiges. Aber es gibt keinen systematischen Ansatz und viele Probleme werden nicht angegangen. Das aktuell verabschiedete Versorgungsstärkungsgesetz ist etwa keineswegs eine Werbung für die Niederlassung.“
REFERENZEN:
1. Wissenschaftliches Institut der AOK: Ärzteatlas 2015
Diesen Artikel so zitieren: Arztdichte gestiegen – dennoch viele offene Planstellen und kein Ersatz für die alten Doktoren in Sicht - Medscape - 21. Jul 2015.
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