Die wirtschaftliche Lage der Arztpraxen in Deutschland hat sich nicht verbessert. So lautet das Fazit des aktuellen Jahresberichts des Zi-Praxis-Panels (ZiPP). Die Wissenschaftler des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) in Berlin werteten dafür Angaben zu Kosten, Einnahmen und Überschüsse von 4.739 Praxen (das entspricht 4,9% der insgesamt 96.483 Praxen) für die Jahre 2009 bis 2011 aus und haben ihre Ergebnisse soeben veröffentlicht [1].
Während die Jahresüberschüsse inflationsbereinigt stagnierten, stiegen die Betriebskosten stärker als die Verbraucherpreise – um 5%. „Es überrascht nicht, dass die Investitionsschwäche in der vertragsärztlichen Versorgung im Berichtszeitraum anhielt“, sagt dazu Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried.
Dabei lag der Jahresüberschuss (Gesamteinnahmen minus Gesamtbetriebskosten) 2011 bei durchschnittlich 145.100 Euro je Praxisinhaber. Während 25% der Niedergelassenen weniger als 85.400 Euro und 50% weniger als 127.600 Euro erwirtschafteten, verzeichnete ein Viertel der Niedergelassenen einen Jahresüberschuss von mehr als 181.600 Euro.
40 Prozent der Vertragsärzte sind mit der wirtschaftlichen Lage unzufrieden

Dr. Dirk Heinrich
„Die wegen der demografischen Entwicklung steigende Nachfrage nach ärztlichen Leistungen schlägt sich nicht angemessen in der Honorarentwicklung der niedergelassenen Ärzte nieder“, sagt Dr. Dirk Heinrich gegenüber Medscape Deutschland. Der Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes fährt fort: „Den Ärger darüber konnten wir gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in den Ärztemonitor-Umfragen von 2012 und 2014 deutlich sichtbar machen. Sowohl was das Einkommen als auch was die wirtschaftliche Lage der Praxis angeht, sind etwa 40 Prozent aller Vertragsärzte nicht zufrieden. Zwar konnten die hausärztlichen Kollegen in den letzten Jahren Einiges an Boden gutmachen. Dafür brechen die fachärztlichen Grundversorger hinten weg.“
Ihr hohes Arbeitspensum gehe nicht mehr automatisch mit wirtschaftlicher Sicherheit einher. Heinrich stellt klar: „Das kann nicht sein! Nötige Investitionen werden verschoben. Am Karriereende haben viele Ärzte dann erhebliche Probleme, einen Nachfolger zu finden. Ihre Funktion als Altersvorsorge hat die Praxis oft verloren. Das ist eine ernstzunehmende Entwicklung mit weitreichenden Konsequenzen für die Versorgung der Bevölkerung“.
Jahresüberschuss ist nicht gleich Einkommen: Zieht man vom Jahresüberschuss in Höhe von 145.100 Euro die Beiträge zur ärztlichen Altersvorsorge, zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Einkommenssteuer ab, verbleibt ein Nettoeinkommen von 71.476 Euro. Bei Arbeitszeiten, die dem Durchschnitt der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten entsprechen, ergibt sich daraus ein Netto-Stundensatz von 30 Euro, so der Bericht.
Kliniker verdienen weiterhin deutlich mehr
Aufgrund der stagnierenden Jahresüberschüsse erwirtschafteten die Praxisinhaber laut Zi-Praxis-Panel weiterhin weniger als die als Vergleich dienenden Oberärzte in Krankenhäusern. Das Gehalt eines Oberarztes im Krankenhaus ist die Referenzgröße bei den Verhandlungen zum EBM. Für das Jahr 2007 lag der Wert bei 105.000 Euro. „Seitdem hat sich dank verschiedener Tarifabschlüsse jedoch allerhand getan. Heute verdienen Oberärzte in der Klinik mit durchschnittlich 128.000 Euro deutlich mehr. Diese Entwicklung muss im EBM nachgezeichnet werden“, betont Heinrich.
Prof. Dr. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) in München habe im letzten Jahr eine notwendige Anhebung des Richtwertes auf 159.000 bis 175.000 Euro errechnet. Heinrich weiter: „Es ist wichtig, die Chancengleichheit zwischen Praxisärzten und Klinikern zu wahren. Nur so bleibt die eigene Arztpraxis ein attraktives Arbeitsmodell für die nachfolgenden Kollegen. Wer sich nicht scheut, die hohe Arbeitsbelastung und das wirtschaftliche Risiko der eigenen Praxis einzugehen, der sollte für sein Engagement belohnt werden. Zumindest gleiche Verdienstmöglichkeiten wie im Krankenhaus müssen selbstverständlich sein.“
Vor allem „sonstigen Einnahmen“ führten zum Anstieg der Gesamteinnahmen
Die Gesamteinnahmen je Praxisinhaber stiegen von 2009 bis 20011 um durchschnittlich 11.200 Euro (+ 4,1%). Die Einnahmen aus kassenärztlicher Tätigkeit stiegen um 3,9%, Privateinnahmen um 3,8%. Vor allem die sonstigen Einnahmen (+7,6%) führten zu einem Anstieg der Gesamteinnahmen. Laut Zi gehören zu den „sonstigen Einnahmen“ Einnahmen aus betriebsärztlicher Tätigkeit, Gutachtertätigkeit und nebenamtlicher Krankenhaustätigkeit.
„Es kann jedoch nicht sein, dass ein Praxisarzt nur durch Nebentätigkeiten auf einen grünen Zweig kommen kann. Es muss sichergestellt sein, dass allein durch die Behandlung von Patienten eine Praxis wirtschaftlich betrieben werden kann. Das müsste der EBM leisten. Tut er aber nicht“, erklärt Heinrich. Die Querfinanzierung durch die PKV sei in Kassenpraxen hierzulande nahezu unumgänglich und deswegen Standard.
Das sollte aber keinesfalls ausgeweitet werden. „Weitere Querfinanzierungswege zu suchen, kann nicht die Lösung bei steigenden Betriebskosten sein“, betont Heinrich. Laut Praxis-Panel wurden 88% der Behandlungen 2011 durch die gesetzliche Krankenversicherung getragen, auf Behandlungen zu Lasten privater Krankenversicherungen und für Selbstzahler (inklusiver IGeL) entfielen 10%. Für 2011 läge der rechnerische GKV-Überschuss im Schnitt über alle Vertragsärzte bei rund 110.300 Euro.
Die größten Einkommenszuwächse hatten die Neurologen
Es gibt deutliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung: Bei den Anästhesisten und den Kinder-und Jugendpsychiatern stiegen die Aufwendungen besonders stark: 5,8 und 5,9%. Die größten Einkommenszuwächse hatten hingegen die Neurologen mit 8,0%. Der höchste Zuwachs im Jahresüberschuss je Inhaber entfällt mit 12% ebenfalls auf die Neurologie.
Deutlich ins Gewicht fallen auch die Unterschiede zwischen Ärzten mit konservativer Tätigkeit und Ärzten, die operative Leistungen erbringen. Operativ tätige Praxisinhaber erzielten im Jahr 2011 beispielsweise in der Augenheilkunde bei (umfangreicher) operativer Tätigkeit einen Jahresüberschuss, der rund 87% über dem der rein konservativ tätigen Ärzte lag. Für die Dermatologie z.B. zeigt sich, dass der Jahresüberschuss je Inhaberstunde in der Kategorie kleiner Operateur (65 Euro) rund doppelt so hoch ausfällt, wie bei rein konservativ tätigen Ärzten (32 Euro).
Von den 52 Wochenstunden entfallen 38 auf Patienten
Niedergelassene arbeiteten 2011 im Schnitt 52 Wochenstunden, auf den direkten Patientenkontakt entfielen davon 38 Stunden. „Niedergelassene Ärzte hätten gern mehr Zeit für die Behandlung ihrer Patienten“, bestätigt Heinrich und fährt fort „Hausärzte behandeln im Schnitt 51 Patienten pro Tag. Bei ihren fachärztlichen Kollegen ist der Andrang kaum geringer.“
Die geringe Zeit, die für den einzelnen Patienten bleibe, resultiere zum einen aus der enormen Nachfrage nach ärztlichen Leistungen. Das Fallpauschalen-System tue darüber hinaus sein Übriges: „Es beschleunigt nicht nur die Patienten-Frequenz in den Arztpraxen. Es verlangt auch von den Ärzten, zehn bis 20 Prozent ihrer Arbeit unentgeltlich zu erbringen. In welcher anderen Berufsgruppe wäre das vorstellbar?“, fragt Heinrich. Unter diesen Vorzeichen könne man den Kollegen kaum zum Vorwurf machen, wenn sich die Patienten in den Praxen die Klinke in die Hand geben.
Einen Ausweg aus dieser Misere sieht Heinrich in der Einführung fester Preise für alle ärztlichen Leistungen und in der Abschaffung der Budgetierung. Den Anteil für Verwaltungsarbeiten so gering wie möglich zu halten, müsse darüber hinaus eine fortlaufende Aufgabe aller Beteiligten sein.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Praxis-Panel zur wirtschaftlichen Lage von Arzt-Praxen: Mehr Arbeit, mehr Kosten, stagnierende Überschüsse - Medscape - 15. Jul 2015.
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