Berlin – Zum ersten Mal konnten dänische Forscher zeigen, dass intensives aerobes Training die Kognition von Patienten mit manifester Alzheimer-Demenz positiv beeinflusst.
Die einfach verblindete randomisierte kontrollierte Studie hat demonstriert, dass die Trainings-Intervention praktikabel ist, da wenige Patienten frühzeitig ausgestiegen sind. Der Trainingseffekt verbesserte sich mit steigender Trainingsdosis – das heißt, diejenigen Patienten, die am gewissenhaftesten trainierten und hohe maximale Pulsfrequenzen erreichten, schnitten am besten ab, berichtete Prof. Dr. Gunhild Waldemar, Leiterin des Dänischen Demenzforschungszentrums und Professorin im Bereich Neurologie am Universitätsklinikum Kopenhagen, Dänemark. Sie präsentierte die neuen Erkenntnisse auf dem 1. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Berlin [1].
Erstmals Nutzen von Sport auch bei manifester Demenz nachgewiesen
Bisher ist bereits bekannt, dass gesunde Menschen das Risiko, später an Demenz zu erkranken, durch Sport senken können, schreiben die Autoren. Untersuchungen bei Mäusen lassen zudem vermuten, dass Sport die Alzheimer-typischen Pathologie verringern kann. Weitere Studien liefern Hinweise darauf, dass körperliche Aktivität mit mittlerer Intensität die Kognition älterer Menschen, die ein hohes Risiko für eine Demenzerkrankung aufweisen, verbessert.
Jedoch sei die Datenlage hinsichtlich der Auswirkungen körperlicher Aktivität bei Patienten, die bereits an Demenz erkrankt sind, eher spärlich, sagte Waldemar. „Das ist die erste Studie, die einen Effekt von moderatem bis intensivem aeroben Training bei Alzheimer-Patienten im frühen und mittleren Stadium festgestellt hat“, erklärte sie.
An der Studie nahmen 200 Patienten an 8 Gedächtniskliniken in Dänemark teil, die mit 7 Forschungseinheiten im Land kooperierten. Keiner der Patienten litt unter schweren medizinischen oder psychiatrischen Beschwerden. Der Großteil erhielt eine Antidemenz-Therapie und war unter dieser Therapie für mindestens 3 Monate stabil.
Die Forscher randomisierten die Teilnehmer in 2 Gruppen: Die Interventionsgruppe (n = 107) nahm über 4 Monate an sportlichem Training teil; die Kontrollgruppe (n = 93) erhielt die normale Behandlung, konnte aber nach Ablauf der 4-monatigen Studienphase einen Monat lang trainieren. In beiden Gruppen waren das Durchschnittsalter (72 Jahre in der Kontrollgruppe und 70 Jahre in der Interventionsgruppe) sowie der kognitive Zustand der Patienten (Mini-Mental State Examination Punktezahl 24,1 in der Kontroll- und 23,8 in der Interventionsgruppe; Symbol Digit Modalities Test (SDMT) 25,4 bzw. 27,1) ungefähr gleich. In beiden Gruppen lebten etwa 72% der Teilnehmer mit einer Betreuungsperson zusammen. „Bemerkenswerterweise“, sagte Waldemar, „gaben viele Patienten zu Studienbeginn an, bereits körperlich aktiv zu sein.“
Über einen Zeitraum von 2,5 Jahren, von Januar 2012 bis Juli 2014, verteilten die Forscher alle 6 Monate neue Probanden auf die Studienzentren. Die Patienten in der Interventionsgruppe trainierten 16 Wochen lang 3-mal pro Woche für eine Stunde unter Aufsicht eines Therapeuten. In den ersten 4 Trainingswochen machten sie Anpassungsübungen (Krafttraining plus aerobes Training, zum Beispiel auf Laufbändern); danach ausschließlich aerobes Training.
Während des Trainings trugen sie einen Pulsmesser und strebten eine Trainingsintensität von mindestens 70 bis 80% der maximalen Herzfrequenz an. Geschulte Therapeuten überwachten das Training und hielten Trainingsfrequenz und –intensität fest.
Primärer Endpunkt war das Abschneiden beim SDMT, einem Kognitionstest, der die Geschwindigkeit geistiger Prozesse und Aufmerksamkeit bewertet. Diesen Test sei aufgrund positiver Ergebnisse in einer kleinen randomisierten kontrollierten Studie bei Patienten mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (LKB) gewählt worden, erklärte Waldemar.
Hinweise für dosisabhänge Auswirkungen körperlicher Aktivität
Lediglich 5 Patienten in jeder Gruppe stiegen während des Studienverlaufs aus der Untersuchung aus. „Wir waren über diese sehr hohe Teilnahmerate sehr erfreut“, sagt Waldemar. Obwohl die Differenz der SDMT-Punktezahlen zwischen Interventions- und Kontrollgruppen nach 16 Wochen keine statistische Signifikanz erreichten, wären die neuropsychiatrischen Symptome in der Interventionsgruppe signifikant besser gewesen, bemerkte Waldemar.
Zudem stellten Waldemar und ihre Kollegen einen signifikanten Unterschied im primären Endpunkt in einer Per-Protokoll-Analyse von 66 Patienten, die an mindestens 80% des Trainings (38 oder mehr von 48 Trainingseinheiten) teilgenommen und mit mindestens 70% der maximalen Herzfrequenz trainiert hatten, fest.
Der Unterschied betrug minus 4,2% (95%-Konfidenzintervall: minus 7,9–0,45%; p = 0,03). „Wenn wir diese Gruppe mit der Kontrollgruppe vergleichen, ergeben sich beim SDMT deutliche Effekte in der Interventionsgruppe“, sagte Waldemar. „Es handelt sich hierbei um eine Per-Protokoll-Analyse und nicht um die primäre Analyse; jedoch weist das trotzdem auf mögliche Dosis-abhänge Auswirkungen körperlicher Aktivität hin.“
Während der Studie gab es lediglich einen unerwünschten Zwischenfall – bei einem Probanden trat Vorhofflimmern aus, das möglicherweise durch die Intervention verursacht wurde. „Jedoch weiß man das natürlich nicht so genau“, betonte Waldemar.
Weitere Auswertungen stehen noch aus
Der sekundäre Endpunkt umfasste weitere kognitive Messungen, das Auftreten von Depression und psychiatrischen Symptomen, das Funktionsniveau der Patienten, die auf den Krankheitszustand bezogene Lebensqualität sowie Kosten-Nutzen-Analysen. Die Untersuchung dazu sind noch nicht abgeschlossen.
Bei einer Untergruppe von Patienten haben die Forscher vor und nach dem Training Plasma-Proben genommen, die auf Biomarker hin untersucht werden. „Dadurch könnte man möglicherweise den physiologischen Mechanismus näher bestimmen, der den positiven Auswirkungen von Bewegung auf die Kognition zu Grunde liegt“, sagte Waldemar.
„Bleiben Sie dran“, riet sie zum Abschluss ihren Zuhörern in Berlin. „Vielleicht könnten die Dienstleister im Gesundheitswesen derweil überwachte Trainingseinheiten für ihre Patienten ins Leben rufen, während sie auf ein Heilmittel gegen Alzheimer warten.“
Positiver Wirkung vor allem im frühen Krankheitsstadium?
Auf eine Frage aus dem Publikum, warum die Studie nicht länger gedauert habe, gab Waldemar zu, dass die Resultate bei einer Dauer von beispielsweise 6 Monaten möglicherweise klarer gewesen wären. „Aber ich kann Ihnen versichern, dass selbst eine Studie über 4 Monate bei diesen sehr komplexen Patienten eine Herausforderung darstellte – das heißt: Es handelte sich bei der Dauer um einen Kompromiss.“
Ein weiterer Zuhörer fragte, warum die Forscher den doch recht einfach anzuwendenden SDMT nicht mehrmals, etwa monatlich, mit den Patienten durchgeführt hatten. Waldemar erklärte hierzu, dass sie Bedenken hinsichtlich eines „Test/Re-Test-Effekts“ hatten. „Durch Übung werden immer mehr Patienten immer besser, auch ohne Intervention“, erklärte sie. „Aber vielleicht hätten wir den Test einmal mehr durchführen können.“
Auf eine Frage zur statistischen Teststärke der Studie sagte Waldemar, dass es keine ähnlichen Studien gegeben hätte, die sie „als Hintergrund“ nutzen konnten. Daher hätten sie sich bei der Teststärkenanalyse an der kleinen randomisierten Studie bei Patienten mit LKB orientiert. „Der SDMT ist vielleicht besser geeignet für Patienten mit LKB als für Patienten, bei denen bereits eine Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert wurde“, räumte sie ein.
Ein weiter Kongressteilnehmer wollte wissen, ob man den Effekt, der sich bei den Patienten, die am häufigsten am Trainingsprogramm teilnahmen, zeigte, auf ein früheres Stadium ihrer Erkrankung zurückführen könnte. Dem wären sie noch nicht nachgegangen, entgegnete Waldemar. „Das ist eine sehr gute Frage.“
Der Artikel wurde von Julia Rommelfanger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Kongress der European Academy of Neurology (EAN), 20. bis 23. Juni 2015, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Sport gegen das Vergessen: Alzheimer-Patienten profitieren von Bewegungstraining - Medscape - 14. Jul 2015.
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