
Prof. Dr. Dieter Riemann
Patienten mit komorbiden Schlafstörungen können von einer spezifischen kognitiven Verhaltenstherapie genauso profitieren wie Menschen mit einer primären Insomnie. Darüber hinaus können sich die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen sogar positiv auf die begleitenden Erkrankungen, insbesondere auf Depressionen, auswirken. Das belegt eine Meta-Analyse, die jüngst in JAMA Internal Medicine veröffentlicht wurde [1].
Für Prof. Dr. Dieter Riemann, Leiter der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychophysiologie am Universitätsklinikum Freiburg, ist die Meta-Analyse denn auch als Appell zu verstehen, die Insomnie getrennt von der jeweils begleitenden Erkrankung zu behandeln. „Dass beispielsweise Patienten mit chronischen Schmerzen nicht gut schlafen können, ist nachvollziehbar“, erklärt er im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Es wäre jedoch ein Fehler, sich nur auf die Behandlung der Schmerzen zu konzentrieren und zu hoffen, dass sich damit auch die Schlafstörungen bessern.“
„Wie auch im Falle einer primären Insomnie geraten die Patienten in einen Teufelskreis aus Schlafstörungen, einer gedanklichen Fokussierung auf die Schlafprobleme und der Angst, nicht richtig schlafen zu können“, sagt Riemann. „Viele Kollegen verschreiben in solchen Fällen kurzfristig Schlafmittel“, weiss der Psychologe. Er selbst plädiert für die Anwendung einer – nebenwirkungsfreien und auch langfristig helfenden – kognitiven Verhaltenstherapie. „Wir sprechen hier nicht von hunderten Sitzungen“, betont er. Stattdessen reichten meist 4 bis 5 Sitzungen mit einem geschulten Therapeuten aus, um Erfolge zu erzielen.
Erstmals Patienten mit psychiatrischen und organischen Begleiterkrankungen analysiert
Epidemiologische Studien in der Allgemeinbevölkerung westlicher Industrienationen haben ergeben, dass etwa 10% der Bevölkerung an chronischen insomnischen Beschwerden leiden. Davon hat etwa ein Drittel eine primäre Insomnie. Bei den übrigen Patienten treten die Schlafstörungen zusammen mit psychiatrischen oder organischen Erkrankungen auf.
Bei den primären Insomnien besitzen kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien wie die Stimuluskontrolle (z.B. das Bett nur zum Schlafen benutzen), Entspannungstechniken oder die Schlafrestriktion, bereits den Rang empirisch gestützter Therapieformen.
Das Team um Jade Q. Wu, Doktorandin am Department of Psychological and Brain Sciences der Boston University, beschreibt in ihrer aktuellen Publikation, dass auch bei den komorbiden Insomnien eine Reihe von klinischen Studien zu einem Paradigmenwechsel geführt hat: Mittlerweile herrsche allgemein Konsens darüber, dass die Schlaflosigkeit selbst, trotz begleitender Erkrankungen, spezifisch behandelt werden sollte.
Auch die Effektivität der kognitiven Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen (CBT-I; cognitive behavorial therapie for insomnia) sei bereits bei Insomnie-Patienten mit verschiedenen Erkrankungen (z.B. Krebs, Depressionen oder chronischen Schmerzen) belegt worden.
Wu und ihre Kollegen haben nun mit ihrer Meta-Analyse den bislang umfassendsten Überblick über die Wirksamkeit der CBT-I bei komorbider Insomnie geliefert. In Abgrenzung zu früheren Übersichtsarbeiten beleuchten sie erstmals sowohl Patienten mit psychischen als auch körperlichen Begleiterkrankungen gemeinsam in einer Arbeit.
Die Mechanismen von Schlafstörungen stimmen bei vielen Erkrankungen überein
Insgesamt 37 zwischen 1996 und 2014 veröffentlichte randomisierte klinische Studien mit 2.189 Patienten, die unter einer nach internationalen Standards diagnostizierten Schlafstörung litten, bezogen Wu und ihre Kollegen in die Analyse ein. In allen wurde der Effekt einer Kombination von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen plus kognitiven Techniken bzw. einer Entspannungstherapie bei erwachsenen Insomnie-Patienten mit den Ergebnissen in einer Kontrollgruppe verglichen. Studienteilnehmer in der Kontrollgruppe nahmen u.a. nur an Entspannungstherapien teil oder erhielten Erläuterungen zur Schlafhygiene.
In 10 Studien litten die schlafgestörten Patienten gleichzeitig unter psychiatrischen Komorbiditäten (u.a. Alkoholabhängigkeit und depressive Störungen). Weitere 26 Studien umfassten Patienten mit organischen Begleiterkrankungen wie Brustkrebs, Fibromyalgie, chronischen Schmerzen, Nierenerkrankungen oder Parkinson. In einer der analysierten Untersuchungen wurden Patienten mit psychiatrischen oder organischen Komorbiditäten einbezogen.
Dass im Rahmen der Meta-Analyse Patienten mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern gemeinsam betrachtet werden, ist nach Aussage Riemanns wenig problematisch: „Der Auslöser der Schlaflosigkeit mag unterschiedlich sein, die Mechanismen, bei der sich Schlafstörungen und die Angst vor dem fehlenden Schlaf gegenseitig verstärken, stimmen aber meist überein.“
Bei den Endpunkten konzentrierten sich die Forscher auf Remissionen der Schlafstörungen (weniger als 8 Punkte auf dem Insomnia Severity Index bzw. weniger als 5 Punkte auf dem Pittsburgh Sleep Quality Index) sowie auf die per Schlaftagebuch festgehaltenen Parameter Schlafeffizienz, effektive Schlafzeit, Einschlafzeit, Schlaferhalt sowie Schlafqualität (prä- und posttherapeutische Unterschiede).
Ein Drittel der Patienten erreicht nach kognitiver Verhaltenstherapie eine Remission
Als bedeutendstes Ergebnis ihrer Meta-Analyse beschreiben die Wissenschaftler die Remissionsrate unter den kognitiv-verhaltenstherapeutisch betreuten Patienten: Jeder dritte von ihnen (36%) befand sich demnach nach Beendigung der Therapie in Remission bzw. bezeichnete sich definitionsgemäß als guten Schläfer. In der Kontrollgruppe erreichten nur 16,9% der Insomnie-Patienten einen vergleichbaren Status.
Auch bei den meisten der von den Patienten selbst dokumentierten Schlafparametern – Ausnahme war allein die effektive Schlafzeit – zeigten sich nach der kognitiven Verhaltenstherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe stärkere Effekte (Schlafeffizienz: Hedges g = 0,91; Einschlafzeit: Hedges g = 0,80; Schlaferhalt: Hedges g = 0,68; Schlafqualität: Hedges g = 0,84).
„Die Meta-Analyse hat nicht nur gezeigt, dass CBT-I bei Komorbiditäten effektiv ist, sondern auch, dass der Effekt relativ groß ist, wenn auch etwas kleiner, als bei primärer Insomnie“, kommentieren Dr. Michael A. Grandner und Dr. Michel L. Perlis, Center for Sleep and Circadian Neurobiology und Department of Psychiatry an der University of Pennsylvania, Philadelphia [2].
Ihre Empfehlung deckt sich mit der des Schlafexperten Riemann: „Ärzte, die Patienten mit Schlafstörungen behandeln, sollten eine CBT-I in Betracht ziehen. Selbst wenn die Schlafstörungen im Kontext von Depressionen, Schmerzen oder einigen anderen Erkrankungen auftreten, ist die Therapie wahrscheinlich hilfreich“, schreiben sie.
Positive Effekte auch bei den Begleiterkrankungen
Aber nicht nur die Schlafstörungen besserten sich durch die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. „Die kognitive Verhaltenstherapie gegen Insomnie hatte auch positive Effekte auf die Begleiterkrankungen“, ergänzen die Studienautoren. Dabei bezogen sich die Effekte sowohl auf erkrankungsspezifische klinische Indizes als auch allgemeine Stimmungs- und Funktionsparameter. Bei Studienteilnehmern mit psychiatrischen Komorbiditäten war der Effekt besonders ausgeprägt.
Riemann, Mitautor der derzeit in Überarbeitung befindlichen S3-Leitline „Nicht erholsamer Schlaf –Schlafstörungen“, wundert das nicht. „Depressionen sind besonders eng mit Schlafstörungen verknüpft“, erklärt er. Dabei sei nicht immer eindeutig, ob die Depression zu Schlafstörungen geführt oder ob das Schlafproblem die Depression erst ausgelöst habe. Wichtig zu wissen: Die CBT-I – auch das habe die Meta-Analyse gezeigt – hilft in beiden Fällen.
REFERENZEN:
1. Wu JQ, et al: JAMA Intern Med (online) 6. Juli 2015
2. Grandner MA und Perlis ML: JAMA Intern Med (online) 6. July 2015
Diesen Artikel so zitieren: Schlaf mit Mehrwert: Verhaltenstherapie bei komorbider Insomnie nützt auch der Primärkrankheit - Medscape - 13. Jul 2015.
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