Magenschutz, doch schlecht fürs Herz? Riesige Datenanalyse deutet auf erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Protonenpumpenhemmern hin

Michael Simm

Interessenkonflikte

26. Juni 2015

Der chronische Gebrauch von Protonenpumpenhemmern (PPI) korreliert offenbar mit dem Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Dies geht aus der Auswertung von mehr als 16 Millionen klinischer Dokumente hervor, deren Ergebnisse Dr. Nigam H. Shah von der Universität Stanford und dessen Kollegen online in der Zeitschrift PLOS ONE veröffentlicht haben [1].

Die Untersuchung wird von den beteiligten Forschern selbst als „neuartige analytische Pipeline“ beschrieben und kommt zu dem Schluß, dass Patienten unter PPI ein um 16 bis 21% erhöhtes Risiko haben, einen Herzinfarkt zu erleiden. Die kardiovaskuläre Mortalität war gegenüber der Allgemeinbevölkerung doppelt so hoch. Unter H2-Blockern dagegen war weder das Infarktrisiko noch die Mortalität erhöht.

 
Solch ein Data-Mining liefert wertvolle Hinweise, es ist aber kein Ersatz für prospektive, randomisierte Studien. Prof. Dr. Christian Trautwein
 

„Solch ein Data-Mining liefert wertvolle Hinweise, es ist aber kein Ersatz für prospektive, randomisierte Studien“, kommentiert gegenüber Medscape Deutschland Prof. Christian Trautwein, Inhaber des Lehrstuhls für Innere Medizin am Universitätsklinikum Aachen und zugleich Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).

Gleichzeitig rät Trautwein zur Vorsicht: „Protonenpumpenhemmer sind keine Smarties, sie müssen – wie auch andere Medikamente – differenziert eingesetzt werden. Es muss eine klare Indikation geben, und auch dann raten wir unseren Patienten, den Gebrauch so weit wie möglich zu reduzieren.“

Als Medikamentenklasse gehören PPI zu den am häufigsten verordneten Arzneien weltweit. In den USA, wo sie schon längere Zeit ohne Rezept zu kaufen sind, werden PPI nach Schätzungen der Zulassungsbehörde FDA von etwa jeder 14. Person in der Bevölkerung eingenommen. Weltweit erzielten die Wirkstoffe im Jahr 2009 einen Umsatz von 13 Milliarden Dollar.

Algorithmen für Pharmakovigilanz

Die Daten für die Untersuchung hatten die Forscher aus 2 Quellen gewonnen: Das Stanford Translational Research Integrated Database Environment (STRIDE) mit elektronischen Informationen zu etwa 1,8 Millionen Patienten, die seit 1994 an Einrichtungen der Universität Stanford behandelt wurden, sowie weitere 1,1 Millionen Aufzeichnungen der Firma Practice Fusion Inc., die im Internet medizinische Unterlagen niedergelassener Ärzte verwaltet. Zusätzlich wurden auch noch die Daten der prospektiven Beobachtungsstudie Genetic Determinants of Peripheral Arterial Disease (GenePAD) ausgewertet, an der 1.503 Patienten beteiligt waren.

Die Patientendaten wurden anonymisiert und gescannt nach Personen, die PPI, H2-Rezeptor-Antagonisten oder andere Medikamente bekommen hatten, sowie nach Hinweisen auf kardiovaskuläre Ereignisse. Insgesamt fanden sich dabei etwa 300.000 Personen, die wegen Sodbrennens mit den PPI Omeprazol, Lansoprazol, Pantoprazol, Esomeprazol, Rabeprazol und Dexlansoprazol oder mit den H2-Blockern Cimetidin, Famotidin, Nizatidin und Ranitidin behandelt worden waren, und denen jeweils bis zu 5 Kontrollen ohne Exposition gegenübergestellt wurden. Weniger als 6% der Patienten in diesen beiden Gruppen hatten auch Clopidogrel erhalten, dessen Wirkung bekanntlich durch PPI abgeschwächt werden kann, sie wurden deshalb in der Analyse nicht berücksichtigt.

Je nach Art der statistischen Analyse ergab sich dann ein relatives Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis von 1,16-1,21 für Patienten unter PPI im Vergleich zu Patienten, die diese Medikamente nicht eingenommen hatten. Betroffen von dem erhöhten Risiko waren der Analyse zufolge auch Menschen unter 45 Jahren, die außer dem Sodbrennen keine weiteren Vorerkrankungen gehabt hatten. In der prospektiven Beobachtungsstudie fand sich zudem eine doppelt so hohe kardiovaskuläre Mortalität unter PPI wie in der Vergleichsgruppe.

Falsch-positives Ergebnis sehr unwahrscheinlich

 
Mit solchen Pharmako- vigilanz-Algorithmen hätte man das Risiko bereits im Jahr 2000 erkennen können. Dr. Nigam H. Shah
 

„Mit solchen Pharmakovigilanz-Algorithmen hätte man das Risiko bereits im Jahr 2000 erkennen können“, schreiben die Forscher. Diese Art von Studien sei von epidemiologischen Untersuchungen zu unterscheiden und fußt auf anderen mathematisch-statistischen Grundlagen, erklären die Autoren. Anhand gesicherter positiver und negativer Assoziationen zwischen Medikamenten und anderen Parametern haben sie die Aussagekraft ihrer Form des Data-Mining überprüft und eine Genauigkeit von 89% errechnet. Ziel sei es gewesen, falsch positive Ergebnisse zu minimieren und dies wurde mit einer Spezifität von 97,5% bei einer Sensitivität von 39% auch erreicht.

In der Diskussion erkennen die Wissenschaftler zwar an, dass die Empfänger von PPI morbider sein könnten als Patienten unter H2-Blockern. Diese Erklärung sei aber unwahrscheinlich, weil in ihrer Analyse mit den H2-Blockern überhaupt kein erhöhtes Risiko festgestellt worden war. „PPI hemmen die Protonenpumpe nachhaltig irreversibel“, erinnert Trautwein. H2-Blocker hemmten dagegen nur vorrübergehend einen von mehreren Aktivierungsmechanismen. „Sie sind weniger aggressiv und werden deshalb auch in der Intensivmedizin bevorzugt eingesetzt.“

 
Unser Bericht weckt die Befürchtung, dass diese Medikamente, die rezeptfrei erhältlich sind und die zu den am häufigsten verschriebenen Arzneien weltweit gehören, nicht so sicher sind, wie wir ursprünglich angenommen haben. Dr. Nigam H. Shah
 

Ursprünglich hatte man vermutet, dass PPI – wenn überhaupt – dann nur für eine kleine Gruppe von Herzpatienten ein erhöhtes Risiko darstellen könnten: Jene nämlich, die bereits unter einer KHK litten und zur Vorbeugung weiterer Ereignisse den Plättchenhemmer Clopidogrel nehmen. „Die Forscher bezogen sich dabei auf die bekannte Medikamenten-Wechselwirkung, aufgrund der die FDA sogar eine Warnung gegen den gleichzeitigen Gebrauch herausgegeben hat“, erinnerte Studienleiter Dr. Nicholas J. Leeper, Gefäßspezialist an der Stanford University.

Im Jahr 2013 hatten dann Koautoren der aktuellen Untersuchung einen möglichen Mechanismus postuliert, mit dem PPI das Endothelium schädigen könnten. „Dies hat uns zur der ‚Big-Data‘-Vorgehensweise gebracht, um herauszufinden, ob PPI möglicherweise mit einem erhöhten Risiko in der gesamten Patientenpopulation assoziiert sind“, so Leeper.

„Unser Bericht weckt die Befürchtung, dass diese Medikamente, die rezeptfrei erhältlich sind und die zu den am häufigsten verschriebenen Arzneien weltweit gehören, nicht so sicher sind, wie wir ursprünglich angenommen haben.“ Man hoffe, eine große, prospektive, randomisierte Studie durchführen zu können, um herauszufinden, ob PPI für eine größere Gruppe von Patienten schädlich sind, schreiben die Forscher abschließend in ihrer Publikation.

 

REFERENZEN:

1. Shah, NH et al: PLoS ONE 10(6):e0124653

 

Kommentar

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