Studienziel: Mit Medikamenten das Altern aufhalten – beginnt bald die erste klinische Studie mit Metformin?

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

24. Juni 2015

Altern als (behandelbare) Krankheit? Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat bei der US-Arzneimittelbehörde den Antrag gestellt, das Aufhalten des Alterns selbst als Ziel einer medikamentösen Therapie zuzulassen. Am Mittwoch, den 24. Juni 2015, soll ein Treffen bei der Food and Drug Agency (FDA) stattfinden, wie die Zeitschrift Nature berichtet [1]. Dann wollen die Forscher ihr erstes entsprechendes Projekt präsentieren. Die geplante Studie trägt das Akronym TAME (Targeting Aging with Metformin).

Der Alterungsprozess selbst wird ins Visier genommen

Die Idee dahinter: Statt altersabhängige Erkrankungen wie Alzheimer, Arthrose, Diabetes, KHK, Krebs oder Schlaganfall mühselig mehr oder weniger erfolgreich einzeln zu behandeln, nimmt man die gemeinsame Basis all dieser Erkrankungen, nämlich den Alterungsprozess selbst, ins Visier. Nature zitiert Prof. Dr. Nir Barzilai, Direktor des Instituts für Alternsforschung am Albert Einstein College of Medicine, New York: „Was wir zeigen wollen, ist, dass, wenn wir das Altern aufhalten, dies der beste Weg ist, um das Auftreten von Krankheiten hinauszuzögern.“

 
Der Hauptgrund, diese Studie an den Start zu bringen, ist, die FDA davon zu überzeugen, das Altern als medizinische Indikation anzuerkennen. Prof. Dr. Nir Barzilai
 

Lässt sich die FDA darauf ein, könnte dies weitreichende Konsequenzen haben, etwa was die finanzielle Förderung solcher Forschungsprojekte angeht. Das Ziel der Forschung ist dabei, nicht einfach das Leben zu verlängern, sondern vor allem die Zahl der Jahre zu erhöhen, die Menschen in Gesundheit verbringen, erläutert Barzilai. Wäre dies als therapeutisches Ziel anerkannt – und könnten Firmen, die in die Erforschung solcher Medikamente investieren, mit einer Erstattungsfähigkeit der dabei entwickelten Wirkstoffe rechnen – würde dies die Anstrengungen in diese Richtung kräftig befeuern.

Das Marktpotenzial solcher Arzneien wäre riesig. So räumt auch Barzilai ein, der einer der Hauptuntersucher der geplanten Studie sein wird: „Der Hauptgrund, diese Studie an den Start zu bringen, ist, die FDA davon zu überzeugen, das Altern als medizinische Indikation anzuerkennen – und damit als Ziel für künftige – und auch bessere – Medikamente.“

 
Metformin hat wirklich viele Wirkungen außerhalb des Glukose- stoffwechsels. Prof. Dr. Dr. Peter Paul Nawroth
 

Dabei scheint Metformin, das erste Medikament, das nun in diesem Zusammenhang getestet werden soll, gar keine so schlechte Wahl. Der Heidelberger Diabetologe Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter Paul Nawroth, Direktor Innere Medizin I und klinische Chemie am Universitätsklinikum Heidelberg, findet es zumindest „toll“, wie er im Gespräch mit Medscape Deutschland sagt, dass „endlich eine gute und große Interventionsstudie“ – doppelblind und randomisiert – mit dem Biguanid gemacht werden soll. „Metformin hat wirklich viele Wirkungen außerhalb des Glukosestoffwechsels“, bestätigt der deutsche Wissenschaftler.

Metformin – bei Würmern und Nagern lebensverlängernd

Barzilai hat in einem Interview erläutert, warum er und seine Kollegen sich ausgerechnet für das Antidiabetikum entschieden haben. Es habe sich bei Würmern und Nagern als lebensverlängernd erwiesen. „Das lässt auf einen evolutionär konservierten Mechanismus schließen”, so der Alternsforscher. Bei Mäusen war – neben der Lebensverlängerung – auch eine Reduktion von oxidativem Stress und Inflammation nachgewiesen worden.

Außerdem hatte Metformin in der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) bekanntlich im Vergleich zu anderen Antidiabetika günstige Wirkungen auf kardiovaskuläre Endpunkte. Auch zeigte sich in verschiedenen epidemiologischen Studien eine geringere Krebshäufigkeit unter Metformin – den Mechanismen ist man derzeit in zahlreichen Studien auf der Spur.

Barzilai dazu: „Es gibt Hinweise, dass Metformin die Tumorgenese beeinflusst – die Mechanismen, die dabei diskutiert werden, betreffen sowohl seine Effekte auf die Insulinspiegel, nämlich diese zu reduzieren und die Insulinwirkung zu steigern, und den IGF-1-Signalweg herunterzufahren (ein zentraler Mechanismus für die Langlebigkeit von Säugetieren), eine mindernde Wirkung auf den Alterungsprozess (Stichwort Senolytics) als auch die Aktivierung der AMP-Kinase.“

Mit dem Hinweis auf die „Senolytics“ nimmt Barzilai Bezug auf eine Veröffentlichung von Forschern des Scripps Instituts in Jupiter, Florida, die Im Frühjahr dieses Jahres für Aufsehen gesorgt hat. Den Wissenschaftlern war der Nachweis gelungen, dass bestimmte Wirkstoffe – in ihrem Experiment Dasatinib und Quercetin – selektiv gealterte (seneszente) Zellen abtöten und so die Lebensspanne von Mäusen verlängert werden kann.

 
Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die protektive Wirkung von Metformin über die Effekte auf spezifische alters-assoziierte Erkrankungen hinaus gehen könnten Prof. Dr. Nir Barzilai
 

Optimistisch, was Metformin und seine lebensverlängernde Wirkung angeht, stimmt Barzilai auch eine Populationsstudie, auf die er im Interview verweist. Dafür waren die Daten von jeweils 78.000 Diabetespatienten unter Metformin und 78.000 Menschen ohne Diabetes für relevante Charakteristika wie Alter, kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Krebserkrankungen abgeglichen worden – ein ähnlicher Vergleich erfolgte zwischen 12.000 Diabetespatienten unter Sulfonylharnstoffen und 12.000 gematchten Kontrollpersonen ohne Diabetes.

Laut Barzilai hatten die mit Sulfonylstoff behandelten Patienten „nicht unerwartet“ eine um 40% höhere Mortalität als die Kontrollpersonen ohne Diabetes. Dagegen sei aber die Sterblichkeit der mit Metformin Behandelten im Vergleich zu den Kontrollen nicht erhöht gewesen – bei den Patienten in ihren 70er-Jahren habe die Mortalität unter dem Biguanid sogar um etwa 15% niedriger gelegen als bei den Nicht-Diabetikern.

„Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die protektive Wirkung von Metformin über die Effekte auf spezifische alters-assoziierte Erkrankungen hinaus gehen könnten – und liefern zwingende Gründe, um in Studien direkt zu testen, ob sich das menschliche Altern und die damit verbundenen Erkrankungen effektiv hinauszögern lassen“, argumentiert der New Yorker Wissenschaftler. Außerdem hat das Biguanid den Vorteil, dass es in den vergangenen Jahrzehnten bereits millionenfach eingesetzt worden ist und seine Sicherheit bewiesen hat.

TAME-Studie mit rund 3.000 Teilnehmern

In die TAME-Studie sollen doppelblind und randomisiert rund 3.000 Menschen ohne Diabetes zwischen 70 und 80 Jahren in 15 Zentren in den USA aufgenommen werden. Voraussetzung ist, dass sie bereits an mindestens einer von 3 alters-assoziierten Erkrankungen leiden: Krebs, KHK oder kognitiven Einschränkungen. Die Teilnehmer werden dann daraufhin beobachtet, inwiefern Metformin den Ausbruch einer Alterserkrankung, die sie noch nicht haben, verzögern kann. Weitere Endpunkte sollen die Mortalität und Diabetes sein. Die Studie soll voraussichtlich 5 bis 7 Jahre dauern und rund 50 Millionen US-Dollar kosten. Gesponsert wird die Studie von der American Federation for Aging Research (AFAR)

 
Wir sind zuversichtlich, dass, wenn sich die FDA dem Altern als Indikation öffnet, mehr und bessere entsprechende Medikamente relativ rasch entwickelt werden können. Prof. Dr. Nir Barzilai
 

Barzilai hofft, dass TAME in einem überschaubaren Zeitraum den Nachweis erbringen kann, dass sich Alterungsprozesse medikamentös beeinflussen lassen und so ein Präzedenzfall geschaffen wird. „Die Fortschritte, die wir in den letzten Jahren auf diesem Gebiet (der Alternsforschung) gemacht haben, werden nicht umgesetzt”, sagt er im Interview, „weil pharmazeutische Firmen keine Wirkstoffe entwickeln ohne eine Indikation, die eine Erstattungsfähigkeit durch die Versicherungen verspricht“. Metformin sieht er als gutes, billiges generisches Werkzeug, um die Basis für ein Umdenken zu schaffen. „Wir sind zuversichtlich, dass, wenn sich die FDA dem Altern als Indikation öffnet, mehr und bessere entsprechende Medikamente relativ rasch entwickelt werden können.“ 

Nawroth ist, was den Erfolg der TAME-Studie angeht, eher skeptisch, wie er gegenüber Medscape Deutschland sagt. In den Diabetesstudien sei der Effekt von Metformin auf harte klinische Endpunkte nicht so ausgeprägt gewesen, dass in einer Interventionsstudie mit wenigen tausend Teilnehmern ein nicht nur statistisch signifikanter, sondern auch klinisch relevanter Effekt zu erwarten sei, meint er. Das relevante Maß dafür gebe die Number Needed to Treat (NNT), betont Nawroth, nur daran lasse sich der Erfolg der Intervention messen.

Bazirais Hoffnung auf (bessere) Alternativen zum Metformin – und wahrscheinlich der Grund, warum er gerade jetzt den Vorstoß unternimmt, Altern als medizinische Indikation zu etablieren – gründen auf aktuellen wissenschaftlichen Fortschritten bei der Beeinflussung von Alterungsprozessen. Mindestens ein Dutzend Signalwege sind inzwischen identifiziert worden, die das physiologische Altern beeinflussen, berichteten kürzlich 3 Alternsforscher um Prof. Dr. Luigi Fontana, Washington Universität St. Louis, Missouri, in Nature . Meist handelt es sich um Signalwege, die metabolische und inflammatorische Prozesse steuern.

So lässt sich durch Kalorienrestriktion oder Mutationen in Signalwegen, die die Nährstoffverwertung beeinflussen, bei Mäusen die Lebensdauer um bis zu 50% erhöhen. Und diese Mäuse sterben ohne eine der üblichen Alterserkrankungen, haben weniger Tumore, Herzprobleme, neurodegenerative oder metabolische Krankheiten, schreiben Fontana und seine Kollegen.

Daneben konnte für andere Wirkstoffe (etwa Rapamycin, das eingesetzt wird, um die Organabstoßung zu unterdrücken) ebenfalls bei Würmern und Mäusen bereits eine lebensverlängernde Wirkung nachgewiesen werden. Diese Substanzen wirken nach Angaben von Fontana und seinen Kollegen über den mTOR-Signalweg, der Prozesse von der Proteinsynthese über die Zellproliferation bis zum Überleben beeinflusst. An ähnlichen Prozessen seien die Sirtuin-Proteine beteiligt, die z.B. durch einige Naturstoffe, etwa das Resveratrol im Rotwein, aktiviert würden. 

Sowohl Rapamycin als auch Metformin imitierten physiologische Veränderungen, wie sie bei Tieren unter einer Kalorien- bzw. Proteinrestriktion beobachtet würden. Diese Veränderungen erhöhten die Stressresistenz und reduzierten oxidative Schädigungen sowie Entzündungen. Auch Fontana und seine Kollegen plädieren in ihrem Nature-Kommentar dafür, dass nun die Zeit reif sei, mit Studien beim Menschen zu beginnen.

Immerhin bei Hunden haben Wissenschaftler der University of Washington in Seattle eine Pilotstudie mit Rapamycin geplant. Die Tiere sollen, wenn sie bereits 6 bis 9 Jahre alt sind, randomisiert entweder Rapamycin oder Placebo erhalten. So hoffen die Forscher, innerhalb kurzer Zeit herauszufinden, ob das Immunsuppressivum lebensverlängernd wirkt – bei einem Modelltier, das dem Menschen näher ist als Würmer und Mäuse. Allerdings kommt es beim Rapamycin auf die exakte Dosierung an, da das Medikament durchaus ernste Nebenwirkungen haben kann, die sich in punkto Lebensverlängerung kontraproduktiv auswirken könnten.     

So faszinierend die Idee der US-Forscher ist, die grundsätzliche Vorstellung, nun das Altern selbst zu pathologisieren, ruft sicherlich auch Unbehagen hervor. Die geschäftsführende Direktorin der American Federation for Aging Research in New York, Stephanie Lederman, wendet sich im Nature-Artikel gegen die Unterstellung, die Wissenschaftler seien auf der Jagd nach der ewigen Jugend. „Wir streben nicht nach ewigem Leben, was wir wollen, ist die in Gesundheit verbrachte Lebensspanne zu verlängern“, stellt sie klar. Ein Ziel, das wohl jedem von uns attraktiv erscheint und das – beherzigt man im Alltag einige der neuen Forschungsergebnisse – auch ohne Medikamente heute bereits in gewissem Umfang umsetzbar erscheint: mit vernünftiger Ernährung, Bewegung und vielleicht auch ab und zu einem Glas Rotwein.

 

REFERENZEN:

1. Hayden EC: Nature 2015; 522:265-266

 

Kommentar

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