
Prof. Dr. Tanja Fehm
Der Haarausfall während einer Chemotherapie ist nicht nur aus kosmetischer Sicht leidvoll, sondern hat auch eine wesentliche psychologische Komponente: Er macht die Krankheit unfreiwillig nach außen sichtbar und damit omnipräsent. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) berichtet nun von Erfolgen der Kopfhautkühlung während der intravenösen Verabreichung der Chemotherapie bei Brustkrebspatientinnen [1].
An der Universitätsfrauenklinik in Düsseldorf wird das Verfahren zwar derzeit noch nicht eingesetzt. „ Aber es gibt Überlegungen, die Kopfhautkühlung in einer Studie zu evaluieren“, berichtet Prof. Dr. Tanja Fehm, Direktorin der Klinik. Sie bremst gegenüber Medscape Deutschland allerdings allzu große Erwartungen: „Das Verfahren ist relativ teuer und groß angelegte Studien fehlen. Aus diesem Grund wird es meines Erachtens in naher Zukunft eher nicht flächendeckend implementiert werden.“
In Hannover wurden innerhalb eines Jahres 19 Patientinnen mit der sensorgesteuerten Kühlung der Kopfhaut therapiebegleitend behandelt. „Die meisten Frauen waren damit sehr zufrieden“, berichtet Prof. Dr. Tjoung-Won Park-Simon, stellvertretende Klinikdirektorin und Bereichsleiterin Gynäkologische Onkologie an der MHH.
Bei dem Verfahren liegt eine Silikonkappe während der intravenösen Gabe der Chemotherapie auf dem Kopf der Patientin. Mit Hilfe des Sensors kann die Kappe gleichmäßig auf 3 bis 5 Grad Celsius gekühlt werden. Durch die Kühlung der Kopfhaut verengen sich die Blutgefäße und das Medikament wird lokal weniger stark aufgenommen.
Rund die Hälfte kann auf eine Perücke oder Kopfbedeckung verzichten
Der Haarverlust lässt sich durch das Verfahren zwar nicht vollständig aufhalten, jedoch konnten in Hannover über die Hälfte der Patientinnen auf eine Ersatzkopfbedeckung wie Perücke oder Tuch verzichten. Eine Studie um Dr. Kay Friedrichs vom Mammazentrum Hamburg untersuchte die Effektivität der Methode bei Brustkrebspatientinnen ebenfalls. Ihr zufolge behielten 52,6% der Patientinnen über die Hälfte des Haares und 51,7% benötigten keine Kopfbedeckung.
„Die Erfolgsaussichten hängen sehr stark von der Dosis und dem Therapieschema der Chemotherapie ab“, erklärt Park-Simon gegenüber Medscape Deutschland. So zeigte eine Studie aus Lund in Schweden von 2003 eine gute Effektivität der Kühlung bei Patienten, die Anthrazycline oder Taxane erhielten. Doch bei dosis-dichten und dosisintensivierten Schemata ist der Effekt nur gering. „Besonders gut ist der Erfolg bei unserer am häufigsten angewendeten Standardtherapie bei Brustkrebs“, berichtet Park-Simon.
Schlechte Erfahrungen mit älteren Modellen und Sorge vor Kopfhautmetastasen
Das Prinzip der Kopfhautkühlung ist nicht neu. Bereits in den 70er Jahren gab es erste Erprobungen, an der MHH wurde die Kopfhautkühlung in den 90er Jahren schon einmal angewandt – jedoch weniger erfolgreich. „Die Eiskappen waren sehr schwer und die Kälte ließ sich nicht kontrollieren. Die Kappen tauten während der Infusion auf und die Patientinnen lagen mit nassen Haaren im nassen Bett. Da die Eiskappen von den Patientinnen nicht gut angenommen wurden, hat man das Verfahren wieder verlassen“, erklärt Part-Simon. „Insofern ist das jetzige System mit einer Sensor-gesteuerten Kopfkühlung eine deutliche technische Verbesserung.“
Es gäbe aber auch Bedenken von Kollegen: „Von einigen wird eine Häufung von Kopfhautmetastasen befürchtet“, erklärt Park-Simon. Wenn die Chemotherapie an der Kopfhaut weniger stark ankommt, könnten sich dort Metastasen bilden, so die Vermutung. Die Datenlage zu Kopfhautmetastasen sei leider nicht sehr groß, schränkt die Ärztin ein: „Die Bedenken sind nachvollziehbar, aber nach meinem Kenntnisstand dennoch nicht durch Studien belegt. Generell treten Kopfhautmetastasen beim Mammakarzinom nicht sehr häufig auf. Die Angaben schwanken zwischen 0.5-1.0%.“ Was man schon weiß: Es gibt keine Zunahme von Metastasen in den Händen und Füßen, die während der Chemotherapie schließlich auch gekühlt werden.
Unbedenklichkeitsprüfung durch weitere Studien erwünscht
Eine ältere kanadische Studie von der Universitätsklinik in Quebec untersuchte in einer retrospektiven Kohorten-Studie das Auftreten von Kopfhautmetastasen. Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von durchschnittlich 5,8 Jahren traten bei 1,1% der 553 Frauen, die der Kopfhautkühlung unterzogen wurden, Kopfhautmetastasen auf. Bei der Kontrollgruppe traten bei einer Frau 1,2% (1 von 87 Frauen) Kopfhautmetastasen auf.
Eine in diesem Jahr von derselben Arbeitsgruppe aus Kanada veröffentlichte Studie belegt zudem die Überlebenswahrscheinlichkeit von 1.370 Brustkrebspatientinnen ohne Metastasen und konnte keinen Effekt der Kopfhautkühlung auf das Überleben der Patientinnen feststellen. „Diese Arbeit weist darauf hin, dass eine Prognoseverschlechterung nicht zu erwarten ist“ , so Park-Simon.
Ein Review aus dem letzten Jahr bescheinigt der Kopfhautkühlung im Vergleich zu Salben und anderen Interventionen gegen Haarausfall während einer Chemotherapie die beste Effektivität. Auch wenn bislang keine negativen Folgen berichtet wurden, heißt es dort: „Die Sicherheit der Kopfhautkühlung auf lange Sicht sollte in weiteren Studien bestätigt werden.“
Derzeit übernimmt die Krankenkasse die Kosten nicht. „Solange die groß angelegten Studien fehlen, glaube ich auch nicht, dass es zu einer Regelleistung der Krankenkasse wird“, so Fehm. Prof. Dr. Jens-Uwe-Blohmer, Direktor der Klinik für Gynäkologie und des Brustzentrum der Charité in Berlin, hält die Kopfhautkühlung ebenfalls noch nicht für ausgereift: „Wenn die Kostenerstattung geregelt ist, Studien zur Unbedenklichkeit vorliegen und diese Behandlung in die Leitlinien aufgenommen wird, erst dann wird sie sich flächendeckend in Deutschland durchsetzen.“
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Kühlen Kopf bewahren bei Brustkrebs: Kälte während der Chemotherapie schützt vor Haarausfall - Medscape - 22. Jun 2015.
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