RE-LY-Studie: Mehr Kalzifizierungen in der Niere unter Vitamin-K-Antagonisten – ein Argument für NOAK?

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

18. Juni 2015

Patienten mit Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation, AF), die über einen längeren Zeitraum mit Warfarin antikoaguliert werden, müssen mit einer drastischeren Verschlechterung der Nierenfunktion rechnen als diejenigen, die Dabigatran erhalten. Das ergab eine Analyse der RE-LY (Randomized Evaluation of Long Term Anticoagulation Therapy) Studie, an der mehr als 16.000 Patienten teilnahmen [1].

Prof. Dr. Thomas Eschenhagen

„Die raschere Verschlechterung der Nierenfunktion unter Warfarin könnte für die Auswahl eines Langzeit-Gerinnungshemmers relevant werden“, schreiben die Autoren unter Leitung von Prof. Dr. Michael Böhm vom Universitätsklinikum des Saarlands in Homburg/Saar im Journal of the American College of Cardiology.

„Im ersten Moment hat mich dieses Ergebnis überrascht – jedoch gab es bereits Hinweise darauf, dass VKA (Vitamin-K-Antagonisten) zu verstärkten Kalzifizierungen in der Niere führen können; daher war dieser Befund doch naheliegend“, sagt Prof. Dr. Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Früher habe man über derartige Schwierigkeiten wenig geforscht, da Vitamin-K-Antagonisten als Gerinnungshemmer praktisch alternativlos waren. „Interessanterweise befinden sich die Ärzte jetzt in der unbequemen Lage, die für ihre Patienten beste Option unter den Antikoagulanzien aussuchen zu müssen“, schreiben Dr. Richard Asinger und Gautam Shroff von der University of Minnesota in Minneapolis, USA, in einem Editorial zur Studie [2]. Dieser komplexe mehrstufige Prozess beinhalte auch die Bestimmung der Nierenfunktion.

 
Es gab bereits Hinweise darauf, dass Vitamin-K-Antagonisten zu verstärkten Kalzifizierungen in der Niere führen können. Prof. Dr. Thomas Eschenhagen
 

VKA, so das internationale Forscherteam der RE-LY-Studie, wurden bisher für AF-Patienten mit und ohne Nierenfunktionseinschränkung  gleichermaßen empfohlen, obwohl viele Studien Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion von vornherein ausgeschlossen hatten. Um die Auswirkungen eines VKA auf die Nierenfunktion mit denen des neuen oralen Antikoagulanz (NOAK) Dabigatran zu vergleichen, haben sie Daten der RE-LY-Studie, die in 44 Ländern durchgeführt wurde, post-hoc ausgewertet.

Dazu wurde die glomerulare Filtrationsrate (GFR) bei16.490 Patienten mit Vorhofflimmern  bestimmt, die einen weiteren Risikofaktor für Schlaganfall hatten. Die Patienten (Durchschnittsalter 71,5 Jahre) nahmen entweder Dabigatran (110 mg oder 150 mg 2x/Tag) oder den VKA Warfarin (INR- (international normalized ratio) Zielwert: 2,0-3,0). Die GFR als wichtigster Indikator für die Nierenfunktion nimmt normalerweise mit zunehmendem Alter ab. Zu Studienbeginn lag die GFR im Schnitt bei 66 ml/min. Veränderungen der GFR bis zu 30 Monate nach Therapiebeginn wurden aufgezeichnet.

Abfall der Nierenfunktion in allen Behandlungsgruppen

In allen Behandlungsgruppen nahm die GFR im Studienverlauf ab. „Diese Verschlechterung der Nierenfunktion muss bei der Verordnung von Medikamenten wie Dabigatran, die über die Niere ausgeschieden werden, in Betracht gezogen werden“, schreibt das internationale Autorenkollektiv. „Die Dosierung dieser Medikamente müsste eventuell adjustiert oder die Behandlung gestoppt werden, wenn eine gravierende Nierenfunktionsstörung auftritt.“

Sie fordern ein regelmäßiges, mindestens jährliches Monitoring der Nierenfunktion bei Patienten, die Warfarin oder Dabigatran einnehmen. „An diese Kontrolle denken bislang zu wenige“, mahnt auch Eschenhagen.

Jedoch war die Verschlechterung der Nierenfunktion nach 30 Monaten in der Warfarin-Gruppe deutlich ausgeprägter als in den beiden Dabigatran-Gruppen (minus 3,68 ml/min vs  minus 2,57 ml/min mit Dabigatran 110 mg; p = 0,0009; minus 2,46 ml/min mit Dabigatran 150 mg, p = 0,0002). Ebenso war ein Rückgang der GFR um mehr als 25% nach einer Studiendauer von mehr als 18 Monaten wahrscheinlicher unter Warfarin als unter Dabigatran.

Besonders schnell verringerte sich die GFR bei Patienten, deren Warfarin-Dosierung selten im INR-Zielbereich, sondern meist darüber lag (<65% der Zeit im therapeutischen Bereich). Bei Patienten, die Warfarin vor Studienbeginn bereits eine längere Zeit lang einnahmen, stellten die Ärzte eine noch drastischere Verschlechterung der Nierenwerte fest. Das deute darauf hin, dass die Verschlechterung auf den Vitamin-K-Antagonismus von Warfarin  zurückzuführen sei, erklärt Eschenhagen.

Ist Warfarin schlecht oder Dabigatran gut für die Niere?

Prof. Dr. Roland Schmieder

„Diese Analyse zeigt: Die Antikoagulanzien haben außer der Hemmung der Blutgerinnung noch andere Effekte, die in die Entscheidung für ein bestimmtes Präparat mit einfließen sollten“, sagt Prof. Dr. Roland Schmieder vom Universitätsklinikum Erlangen gegenüber Medscape Deutschland. Inwiefern die unterschiedlichen Medikamente die Nierenfunktion beeinflussen, sei eine spannende Frage, die sich Böhm und seine Kollegen gestellt haben, und „zu der wir uns bisher noch zu wenige Gedanken gemacht haben“.

Aufgrund des Kalzifizierungspotenzials der VKA vermutet auch der Nephrologe Schmieder, dass die größere Beeinträchtigung der Nierenfunktion unter Warfarin mit einer verstärkten Kalzifizierung der Nierenarterien zusammenhängt. „Dass Dabigatran besser abschneidet, ist ermutigend und eine echte Kehrtwende“, sagt er.

 
Die Antikoagulanzien haben außer der Hemmung der Blutgerinnung noch andere Effekte, die in die Entscheidung für ein bestimmtes Präparat mit einfließen sollten. Prof. Dr. Roland Schmieder
 

Der direkte Thrombinhemmer ist bei einer schweren Beeinträchtigung der Nierenfunktion  kontraindiziert und die Dosis bei milder Niereninsuffizienz auf 2 x 110 mg zu reduzieren.  Jedoch, bemerkt Schmieder, zeige die RE-LY-Analyse, dass eine vorhandene Nierenfunktionseinschränkung unter Dabigatran geringer fortzuschreiten scheine als unter Warfarin. „Das sind nephroprotektive Eigenschaften von Dabigatran gegenüber Warfarin, die bisher nicht bekannt waren, und diese sollten in eine Risiko Nutzen Analyse einbezogen werden. Ich muss also bei diesen Patienten individuell abwägen, ob ich  Warfarin  oder  Dabigatran bevorzuge.“

Das Ausmaß des Abfalls der GFR-Werte bei Warfarin-Therapie versus Dabigatran bewerten die  Experten unterschiedlich: Während Eschenhagen die negativen Effekte auf die Nierenfunktion auch unter Warfarin als „gering und nicht dramatisch“ einstuft, bezeichnet Schmieder die Auswirkung als „sehr bemerkenswert. Bessere Werte bedeuten mehr Lebensqualität und mehr Zeit bis zur Dialyse“, so der Nephrologe.

Für Eschenhagen besteht nach den Ergebnissen der aktuellen RE-LY-Analyse zwar „kein Grund alles zu ändern“, jedoch empfiehlt er eine beginnende Nierenproblematik oder eine Hypertonie, die zu einer Schädigung der Niere führen kann, als einen zusätzlichen Risikofaktor zu betrachten und die Antikoagulation zu überdenken.

 
Das sind nephroprotektive Eigenschaften von Dabigatran gegenüber Warfarin, die bisher nicht bekannt waren. Prof. Dr. Roland Schmieder
 

„In solchen Fällen bieten die NOAK Vorteile“, bemerkt der Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie. „Da man bei Vorhofflimmern früh mit der gerinnungshemmenden Therapie beginnt, dauert diese unter Umständen bis zu 30 Jahre lang an – auf Dauer werden die festgestellten Unterschiede relevant.“

Auch Asinger und Shroff bezeichnen die Differenz zwischen Warfarin und Dabigatran als gering, trotz des langen Follow-ups. Obwohl die Ergebnisse provokante Fragen aufwürfen zu den Auswirkungen der Medikation bei Vorhofflimmern auf die Nierenfunktion, betrachten sie diese als „eher beruhigend“, da die „unter Warfarin festgestellte Verringerung der GFR kein allzu hoher Preis zu sein scheint für die erwiesenen Vorzüge des Medikaments“, schreiben sie.

Folgen sollte nun eine eigene Studie der beiden untersuchten Antikoagulanzien bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. „In einer solchen Untersuchung könnte man klären, ob Dabigatran positiv oder der VKA wirklich negativ wirkt und, falls dem so ist, besser nachvollziehen, wie es zu der Kalzifizierung kommt“, erklärt Schmieder.

 

REFERENZEN:

1. Böhm M, et al: J Am Coll Cardiol. 2015;65:2481-2493

2. Asinger RW, et al: J Am Coll Cardiol 2015;65:2494-2495

 

Kommentar

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