Boston – Die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (non-alcoholic fatty liver disease, NAFLD) ist die häufigste Ursache für Leberzellkrebs (hepatocellular carcinoma, HCC), noch vor Hepatitis C. Das zeigen aktuelle Studien und darauf wies Prof. Dr. Sahil Mittal, Gastroenterologe aus Houston, Texas, USA, bei einem Symposium auf dem ADA-Kongress in Boston hin [1].
Zwar nimmt die NAFLD nur bei knapp einem Prozent der Patienten einen derart dramatischen Verlauf bis hin zum HCC, und oftmals gibt es über die Jahre mehrere „Warnschüsse“ wie die Feststellung einer nicht-alkoholischen Steatohepatitis (NASH), Leberfibrose und Leberzirrhose. Eine Garantie für einen solch langsamen, schrittweisen Bilderbuchverlauf gibt es aber nicht: Oftmals fehlt das eine oder andere Zwischenstadium, oder es wird diagnostisch einfach nicht erfasst.
Diagnose der Fettleber verpasst, Stadium der Zirrhose ausgelassen
So gibt es immer wieder Patienten mit „kryptogener Zirrhose“, bei denen keine Fettleber nachweisbar ist. „Das kann der allzu späten Erstdiagnose geschuldet sein“, so Mittal: „Die Patienten haben im Stadium der Fettleber keinen Arzt aufgesucht oder diese wurde nicht erkannt.“ Im weiteren Krankheitsverlauf verdrängen Bindegewebs- oder/und Krebszellen oftmals die Hepatozyten, stellte Mittal klar; dies zeigen unter anderem Fallkontrollstudien.
Kein Diagnoseproblem, sondern eine pathophysiologische Besonderheit ist das Fehlen der Zirrhose, und dies kommt gar nicht so selten vor: „40 bis 50 Prozent der Menschen, die ein HCC infolge einer NASH bekommen, zeigen keinerlei Anzeichen von Leberzirrhose“, betonte Prof. Dr. Ali E. Canbay, Stellvertretender Direktor der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsklinikum Essen, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Bei ihnen ist allenfalls eine leichte Fibrose feststellbar.“
Zirrhosefreie Variante von Leberzellkrebs – bei Diabetikern häufiger?
Den Nachweis dafür hat er in einer eigenen Studie erbracht, die beim ADA-Kongress von Mittal zitiert wurde: Canbay und Kollegen haben 162 Patienten mit NAFLD-assoziiertem Leberzellkarzinom untersucht; bei 41,7% von ihnen wurde keine Leberzirrhose gefunden. Dafür war das HCC bei diesen Patienten stark assoziiert mit Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und koronarer Herzerkrankung.
Eine kleine französische Studie untermauert die These, dass Zucker- und Fettstoffwechselstörungen ohne den „Umweg“ der Zirrhose direkt zum Leberkrebs führen können: 31 Patienten mit HCC und metabolischem Syndrom, aber ohne Alkohol-, Tabletten-, Hepatitis- oder Genbelastung wurden hier genauer untersucht. Zwei Drittel dieser HCC-Patienten waren zirrhosefrei.
Mittal und Kollegen analysierten von 2005 bis 2011 in einer Kohortenstudie die Daten von 1.500 US-amerikanischen Veteranen mit HCC. In dieser großen Stichprobe hatten etwa 40% der Patienten mit Fettlebererkrankung oder ohne klare Krebsätiologie keine Zirrhose. Und auch bei etwa 20% bis 25% der Patienten mit hepatitis- oder alkoholbedingtem Leberzellkrebs wurde keine Zirrhose gesehen. HCC-Patienten ohne Zirrhose waren im Durchschnitt älter, waren häufiger kaukasischer Abstammung und hatten eine weniger ausgeprägte Leberdysfunktion als die HCC-Patienten mit Zirrhose.
Tumorsuppressorgene bilden den Link
Welches sind aber die treibenden Faktoren des NASH-assoziierten HCC in Abwesenheit von Zirrhose? Canbay meint: „Hier spielen Tumorsuppressorgene wie Kruppel-like factor 6 (KLF6) und Phosphatase and tensin homolog (PTEN) eine Rolle, die auch mit dem Glukose- und Lipidstoffwechsel assoziiert sind.“
Deshalb seien Menschen mit Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie und Metabolischem Syndrom möglicherweise besonders gefährdet, diesen Typ Leberzellkrebs zu entwickeln. Die genauen Zusammenhänge und insbesondere die Frage, ob NASH oder Diabetes zuerst auftreten und welche der beiden Erkrankungen den größeren Einfluss auf die Entstehung eines HCC hat, sind noch offen. Auch Labormarker für die frühe Identifizierung der Risikopatienten gibt es noch nicht. „Wir werden dazu noch weitere Studien durchführen“, kündigte Canbay gegenüber Medscape Deutschland an.
Insgesamt mehr NASH-bedingter Krebs als gedacht
Dass dieses Problem allein schon wegen der großen Patientenzahl hohe Beachtung verdient, zeigt sich in einer großen US-amerikanischen Fallkontrollstudie. Hier wurde nicht nur festgehalten, welche einschlägigen Risikofaktoren die fast 7.000 eingeschlossenen HCC-Patienten aufwiesen, sondern mit der Methode der „population-attributable fractions“ auch ermittelt, mit welcher Wahrscheinlichkeit welcher dieser Risikofaktoren den Leberzellkrebs der einzelnen Patienten maßgeblich verursacht hatte.
Mittal berichtete: „Bei 23,5% der HCC-Patienten kam am ehesten der Alkohol als Krebsursache in Frage, bei 22,4% Hepatitis C, bei 6,3% Hepatitis B und bei 3,2% seltene genetische Störungen. Bei 36,6% war aller Wahrscheinlichkeit nach keiner dieser Risikofaktoren Auslöser des HCC; sie litten aber alle an Adipositas und/oder Typ-2-Diabetes.“ Bei diesen letzteren sei davon auszugehen, dass das HCC auf dem Boden einer NAFLD bzw. NASH entstanden war; damit war NAFLD/NASH für die meisten Fälle an HCC verantwortlich.
Die Forderun: Ultraschallscreening ausweiten!
Da inzwischen etwa 20% der Allgemeinbevölkerung in den Industrienationen an NAFLD leiden, stellt sich die Frage nach HCC-Screeningmaßnahmen. „Bislang werden nur Zirrhosepatienten auf Leberzellkrebs gescreent“, gab Mittal zu bedenken. „Bei diesem Vorgehen übersehen wir alle Patienten, die keine Zirrhose entwickeln, und verwehren ihnen die Chance auf eine Chemoprävention.“
Auch Canbay empfiehlt, das Screening zu erweitern: „Eine Ultraschalluntersuchung auf hepatozelluläre Tumoren sollte unabhängig vom Vorliegen einer Zirrhose bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie, Adipositas und/oder NAFLD bzw. NASH mindestens jährlich erfolgen“, forderte er im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Die Bestimmung einzelner Tumormarker hilft nicht weiter, die Aussagekraft dieser Laboruntersuchungen wird aber erhöht, wenn mehrere Marker kombiniert erfasst werden, etwa AFP, DCP und AFP-L3.“
Andernfalls könnten Adipositas und ihre Komorbiditäten wie NASH schon bald dem Tabakkonsum als größter lebensstilbedingter Risikofaktor den Rang ablaufen, warnte Mittal. Bereits heute sei Leberzellkrebs nach Lungen- und Magenkrebs weltweit die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache, und während diese Zahl in den Entwicklungsländern zurückgehe, sei sie in den Industrienationen weiter im Ansteigen.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Screening bei Diabetes und Adipositas lohnt – die nicht-alkoholische Fettleber ist häufigste Ursache des hepatozellulären Karzinoms - Medscape - 17. Jun 2015.
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