Statine und Fibrate zur Schlaganfallprophylaxe: Das Prinzip funktioniert auch bei Älteren

Andrea Wille / Gerda Kneifel

Interessenkonflikte

17. Juni 2015

Statine oder Fibrate sind laut einer kürzlich in Britisch Medical Journal veröffentlichten Beobachtungsstudie wirksam in der Primärprävention von Schlaganfällen. Sie senken bei älteren gesunden Menschen das Risiko für einen Schlaganfall um rund 30%. Auf das Herzinfarktrisiko haben sie demnach aber keinen signifikanten Effekt [1].

Prof. Dr. Christoph Bode

Die Wissenschaftler um Dr. Annick Alpérovitch vom INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) in Bordeaux folgern, dass – sollten die Ergebnisse in Interventionsstudien reproduzierbar sein – Lipidsenker zur Primärprävention von Schlaganfällen bei älteren Menschen eingesetzt werden könnten.

„Es ist nicht überraschend, dass eine Senkung der Serumlipide auch bei älteren Menschen zu einer Reduktion zerebrovaskulärer Ereignisse führt. Interessant an der vorliegenden Studie ist der Nachweis, dass dies auch auf gesunde, ältere Menschen zutrifft und somit das Prinzip der Lipidsenkung auch im Alter primärprophylaktisch wirksam ist“, erklärt Prof. Dr. Christoph Bode, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitäts-Herzzentrums Freiburg – Bad Krozingen gegenüber Medscape Deutschland.

 
Interessant ist, dass ... das Prinzip der Lipidsenkung auch im Alter primärprophylaktisch wirksam ist. Prof. Dr. Christoph Bode
 

Die Studienautoren betonen, dass die meisten Studien zu Lipidsenkern Patienten über 70 Jahren ausgeschlossen haben, so dass generell nur wenig über den Einfluss dieser Medikamente bei älteren Menschen bekannt ist.

Sie nutzten nun für ihre Analyse die Daten der prospektiven „Three-City“-Studie. Diese Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und dem Risiko, an Demenz zu erkranken. Dazu wurden zufällig Bürger der Städte Bordeaux, Dijon und Montpellier ab 65 Jahren für die Studie ausgewählt. Insgesamt wurden 9.294 Personen erfasst.

Geringeres Schlaganfallrisiko unter Statinen und Fibraten

Die nun veröffentlichten Ergebnisse schließen 7.484 Probanden davon ein, bei denen in der Vergangenheit keine vaskulären Ereignisse aufgetreten waren. Das Durchschnittsalter lag bei rund 74 Jahren und 63% waren Frauen. Der Beobachtungszeitraum betrug insgesamt 9 Jahre, alle 2 Jahre fanden physische und kognitive Untersuchungen statt.

Dabei wurden auch jeweils die eingenommenen Medikamente erfasst: 2.048 Probanden (27,4%) nahmen Lipidsenker ein: jeweils etwa die Hälfte Statine und Fibrate. Erwartungsgemäß waren bei diesen Probanden der Gesamt-Cholesterin, der LDL- und der Triglyzerid-Spiegel niedriger als bei den Probanden, die keine Lipidsenker nahmen.

Das wichtigste Resultat der Auswertung: Probanden, die Lipidsenker nahmen, hatten ein um ein Drittel geringeres Risiko für einen Schlaganfall (Hazard Ratio: 0,66; 95%-Konfidenzintervall: 0,49-0,9). Dabei zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Einnahme von Statinen und Fibraten (HR: 0,68 (0,45-1,01) vs 0,66 (0,44-0,98). Dagegen war das KHK-Risiko unter der Lipidsenker-Einnahme nicht verringert (Hazard Ratio: 1,12; 0,9-1,4). 

Schwäche im Design der Studie

„Ich hätte erwartet, dass Statine sich auch in dieser Studie als besser wirksam erweisen würden als Fibrate. Und es ist natürlich verwunderlich, dass kein Einfluss der Lipidsenkung auf die koronare Herzerkrankung gesehen wurde. Hierzu gibt es jedoch so viele randomisierte, kontrollierte Studien, dass eine relativ kleine Beobachtungsstudie, wie die vorliegende, diese Erkenntnisse nicht in Frage stellt“, kommentiert Bode. Für ihn liegt die fehlende Abnahme an KHK in der Methodik der Studie begründet.

 
Wir haben sehr verlässliche Daten, die belegen, dass die Gesamtsterblichkeit unter der Einnahme von Statinen abnimmt, selbst wenn der Mensch nicht krank ist und auch wenn er keiner Risikogruppe angehört. Prof. Dr. Christoph Bode
 

Damit stimmt er mit Dr. Graeme Hankey, Professor für Neurologie an der University of Western in Perth, Australien, überein. Der schreibt im dazugehörigen Editorial: „Die Studie von Alpérovitch und ihrem Team wird aufgrund ihres Designs einer Beobachtungsstudie und der darin angelegten möglichen systematischen Fehlern nicht die Richtlinien ändern.“ [2] Dennoch hält Hankey die Ergebnisse für so überzeugend, dass er weiterführende Forschung für gerechtfertigt erachtet.

„Der Punkt ist, dass wir sehr verlässliche Daten haben, die belegen, dass die Gesamtsterblichkeit unter der Einnahme von Statinen abnimmt, selbst wenn der Mensch nicht krank ist und auch wenn er keiner Risikogruppe angehört, also Blutdruck, Blutzucker, Gewicht, Rauchverhalten und so weiter im gesunden Bereich liegen“, so Bode.

Zudem gibt es Bode zufolge keinen LDL-Cholesterinwert, der zu niedrig sei, vielmehr gelte: „Umso niedriger dieser Wert, desto weniger Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle treten auf. Dennoch wird es derzeit nicht empfohlen, gesunden Menschen mit geringem Risiko Lipidsenker zu verabreichen, da bei jahrzehntelanger Einnahme sowohl Nebenwirkungen als auch die Kosten zu berücksichtigen sind.“

„Den Ergebnissen traue ich nicht so ganz“

Dr. Ulrich Thiem, Oberarzt an der Universitätsklinik Marien Hospital Herne, Bochum, und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), im Gespräch mit Medscape- Deutschland-Autorin Gerda Kneifel über die Studie:

„Die Studie fokussiert die Bevölkerung über 65 Jahre, eine Gruppe, bei der sehr viele Forschungsfragen offen sind. Und sie ist aufwändig gemacht und atmet den Geist des handwerklich Guten. Aber ihren Ergebnissen traue ich trotzdem nicht so ganz. Zum einen ist die Effektivität einer Therapie nicht durch Beobachtung zu belegen, denn die Gruppen der Nutzer und Nicht-Nutzer von Lipidsenkern sind nicht miteinander vergleichbar.

Zum Zweiten nimmt die Hälfte der beobachteten Patienten Fibrate. Für die gibt es in der Primärprävention, um die es hier ja geht, keinerlei Evidenz. Offensichtlich werden in Frankreich Fibrate noch häufiger verschrieben als in Deutschland, denn von den Teilnehmern erhielten 1.036 Patienten Fibrate und 1.007 Statine – also etwas mehr als die Hälfte. Ich schätze, dass in Deutschland ein deutlich geringerer Teil der Patienten diese veralteten Lipidsenker verschrieben bekommt.

Was mich zudem wundert, ist, dass die Medikamente der Studie zufolge so unterschiedlich auf die verschiedenen Gefäßgebiete wirken. Warum gerade das Risiko für Herzinfarkte bei Einnahme von Statinen nicht sinkt, wo doch Statine zur Primär- und Sekundärprävention von Herz-Kreislauferkrankungen indiziert sind, ist mir nicht klar. Dass sie mit ihren Ergebnissen darüber hinaus früheren randomisierten Studien widersprechen, geben ja auch die Autoren selbst zu bedenken.

Problematisch sind auch mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten. Auch wenn Alpérovitch und Kollegen potentielle Interaktionen mit Blutdrucksenkern und Medikamenten gegen Diabetes mellitus statistisch herausgerechnet haben: Hundertprozentige Sicherheit, dass alle Störgrößen egalisiert wurden, gibt es nicht.

Also zusammengefasst: Die Ergebnisse der Studie haben nur eine neue Hypothese aufgestellt, aber nicht die Wirksamkeit der einen oder anderen Therapie bewiesen.“

 

REFERENZEN:

1. Alpérovitch A, et al: BMJ 2015;350:h2335

2. Hankey GJ: BMJ 2015;350:h2568

 

Kommentar

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