IQWiG bescheinigt: Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten hat Zusatznutzen für Insulinbehandelte

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

10. Juni 2015

Patienten mit insulinpflichtigem  Diabetes können mit einer Kombination aus Blutglukoseselbstmessung (BGSM) und  kontinuierlicher interstitieller Glukosemessung (CGM) durch ein  Real-Time-Messgerät (rt-CGM) ihren HbA1c-Wert besser einstellen als mit einer  reinen BGSM, ohne dass schwere Hypoglykämien häufiger auftreten. Zu diesem  Ergebnis kommt der jüngst veröffentlichte Abschlussbericht des Instituts für Qualität  und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) [1].

Der Bericht wird nun an den  Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) weitergeleitet, der letztlich entscheidet,  in welchen Fällen eine Kostenerstattung bei rt-CGM in Deutschland erfolgen  kann. Zurzeit werden die Kosten eines Real-Time-Mesgeräts nur im Einzelfall von  den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Kritik am mangelhaften praxisbezogenen Vorgehen des IQWiG

           

Prof. Dr. Lutz Heinemann

           

„Die anhand von strengen wissenschaftlichen Kriterien  ermittelten Ergebnisse der Nutzenbewertung sind eine wichtige Erkenntnis und  werden international Beachtung finden“, sagt Prof. Dr. Lutz Heinemann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft  Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)  gegenüber Medscape Deutschland. Er bemängelt an dem Bericht jedoch den limitierten  klinischen Blickwinkel.

So sei beispielsweise die  häufige Messfrequenz bei der Glukoseselbstmessung gerade für Kleinkinder und  die Sorge vor nächtlichen Hypoglykämien auch für deren Eltern sehr belastend.  Umstände, die durch die kontinuierliche Glukosemessung erleichtert werden, so  Heinemann. Laut IQWiG-Bericht ließ sich bei der gesundheitsbezogenen  Lebensqualität jedoch kein Anhaltspunkt für einen Vor- oder Nachteil ableiten.

Zurückzuführen sei dies u.a.  auf die unterschiedlichen Fragebögen, die in den Studien verwendet wurden,  meint der DDG-Experte. Wegen der fehlenden Verblindung bescheinigte das IQWiG  den Studien zur Lebensqualität aber auch ein hohes Verzerrungspotential. Die  Forderung nach Doppelblindstudien – wie bei der Überprüfung eines neuen  Medikaments üblich – ist mit der Methode aber gar nicht vereinbar.

„Bei einem  diagnostisch-therapeutischen Hilfsmittel wie Real-Time-CGM gelten daher andere  Kriterien als bei einem Medikament, um eine langfristige und positive  Krankheitsbewältigung zu bewirken, insbesondere vor dem Hintergrund einer chronischen  Erkrankung mit potenziell sich verschlimmernden Folgeerkrankungen“, betont auch Prof. Dr. Thomas Danne,  Vorstandsvorsitzender von diabetesDE und Chefarzt am Kinderkrankenhaus Auf der  Bult in Hannover, in einer Pressemitteilung.

Real-Time-Messgeräte liefern wesentlich mehr Informationen als die  Selbstmessung

Bei der Anwendung eines CGM-Messgeräts  wird einmalig ein dünner Nadelsensor durch die Haut ins Unterhautfettgewebe  gestochen, wodurch eine kontinuierliche Messung des Glukosegehalts in der  Gewebeflüssigkeit ermöglicht wird. Über einen kleinen Verstärker- und eine auf  die Haut geklebte Datenübertragungseinheit empfängt das externe Speicher- und  Anzeigegerät die Daten. In der Regel wird so alle 5 Minuten ein Wert generiert.

 
Die anhand von strengen wissenschaftlichen Kriterien ermittelten Ergebnisse der Nutzenbewertung sind eine wichtige Erkenntnis und werden international Beachtung finden. Prof. Dr. Lutz Heinemann
 

Im Vergleich zu den  punktförmigen Informationen, die ein Patient durch das Selbstmonitoring der  Blutglukose erhält, liefert das rt-CGM wesentlich mehr Informationen über den  Glukoseverlauf über den Tag hinweg. Besonders praxisrelevant ist dabei die  Trendangabe zum Glukoseverlauf, dargestellt durch Trendpfeile und  Verlaufsgrafiken, die ein rechtzeitiges therapeutisches Einschreiten  ermöglichen, wenn die Werte zu schnell steigen oder fallen.

Auf die konventionelle  kapilläre Blutglukosemessung kann trotzdem nicht vollständig verzichtet werden.  Sie bleibt zur Gerätekalibrierung notwendig, die während der Tragedauer von CGM-Systemen  (einige Tagen bis zu einer Woche) mehrfach wiederholt werden muss.

15 Studien mit knapp 2.000 Patienten wurden analysiert

Für die Nutzenbewertung des  IQWiG wurden 15 randomisierte kontrollierte Studien mit zusammen 1.952  Patienten (fast alle mit Typ-1-Diabetes) u.a. hinsichtlich der Gesamtmortalität,  terminaler Niereninsuffizienz, Erblindung, Hypoglykämie, HbA1c-Wert und  Lebensqualität untersucht. Für Kinder und Jugendliche wurden zusätzlich  körperliche und psychosoziale Entwicklungsstörungen als patientenrelevante  Endpunkte verwendet. Die Mindestdauer der analysierten Studien betrug 24  Wochen.

Analysiert wurden 3  Vergleiche:

  • • rt-CGM plus BGSM versus BGSM (n = 13)

  • • Varianten der rt-CGM plus BGSM versus BGSM (n = 2)

  • • rt-CGM plus LGS-Funktion (hierbei unterbricht die  Pumpe die Insulinabgabe atomatisch, wenn der Glukosewert eine bestimmte  Schwelle unterschreitet) plus BGSM versus BGSM (n = 1).

Bessere HbA1c-Werte ohne Anstieg schwerer Hypoglykämien

Statistisch signifikante  Unterschiede zwischen den Behandlungsoptionen fanden sich ausschließlich für  den Vergleich rt-CGM plus BGSM versus BGSM. Hier führte das CGM-System zu einer  Verbesserung der HbA1c-Werte, ohne dass schwere Hypoglykämien häufiger  auftraten als in der Kontrollgruppe. Die Aussagesicherheit reichte dabei je  nach Altersgruppe und Schwere der Hypoglykämie von einem Anhaltspunkt (schwache  Evidenz) bis zu einem Beleg (eindeutige Evidenz).

Eine eindeutige Evidenz wurde dabei  nur bei Erwachsenen (> 18 Jahre) hinsichtlich der gemeinsamen Betrachtung  der schweren Hypoglykämien und des HbA1c-Werts festgestellt. Die Betrachtung  der schweren Hypoglykämien und des HbA1c-Werts bei Kindern (< 18 Jahre) lieferte  immerhin Hinweise bzw. Anhaltspunkte für einen Nutzen.

Keine Vorteile bei weiteren Endpunkten – aber Langzeitstudien fehlen

Abgesehen von Hautreaktionen  durch die Verwendung des Nadelsensors lieferten die Studienergebnisse bei  keinem weiteren Endpunkt ein einheitliches Bild. Weitere deutliche Vor- oder  Nachteile ließen sich dementsprechend nicht ableiten.

Dass sich keine weiteren  Belege für die Überlegenheit der rt-CGN fanden, hängt laut Heinemann wieder mit  den Bewertungsmethoden des IQWiG zusammen. „Bisher wurden schlicht keine  Studien durchgeführt, die länger als zwölf Monate dauerten“, erklärt er. D.h.  es gibt erst gar keine Untersuchungen, die Aussagen zu harten Endpunkten wie  Gesamtmortalität, kardialer und zerebraler Morbidität und Mortalität oder  diabetischen Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie)  ermöglichen würden.

Zudem könne man davon  ausgehen, dass die rt-CGM-Ergebnisse zur Lebensqualität gerade bei Kindern  besser gewesen wären, wenn in den Studien neuere, heute bereits erhältliche  Systeme mit einer einfacheren Bedienung und einem wesentlich höheren Tragekomfort  verwendet worden wären.

Letztlich erachtet Heinemann den  IQWiG-Bericht trotzdem als ausgesprochen positiv, liefere er doch die Basis für  eine Kostenübernahme für die rt-CGM-Systeme. Der G-BA sollte bei seiner  Entscheidung allerdings den diabetologischen Versorgungsalltag und besonders  vulnerable Patientengruppen wie Kinder, Schwangere und Patienten mit einer  Wahrnehmungsproblematik für Hypoglykämien berücksichtigen, mahnt er.

 

REFERENZEN

1. IQWiG:  Kontinuierliche interstitielle Glukosemessung (CGM) mit Real-Time-Messgeräten  bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....