Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes können mit einer Kombination aus Blutglukoseselbstmessung (BGSM) und kontinuierlicher interstitieller Glukosemessung (CGM) durch ein Real-Time-Messgerät (rt-CGM) ihren HbA1c-Wert besser einstellen als mit einer reinen BGSM, ohne dass schwere Hypoglykämien häufiger auftreten. Zu diesem Ergebnis kommt der jüngst veröffentlichte Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) [1].
Der Bericht wird nun an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) weitergeleitet, der letztlich entscheidet, in welchen Fällen eine Kostenerstattung bei rt-CGM in Deutschland erfolgen kann. Zurzeit werden die Kosten eines Real-Time-Mesgeräts nur im Einzelfall von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Kritik am mangelhaften praxisbezogenen Vorgehen des IQWiG

Prof. Dr. Lutz Heinemann
„Die anhand von strengen wissenschaftlichen Kriterien ermittelten Ergebnisse der Nutzenbewertung sind eine wichtige Erkenntnis und werden international Beachtung finden“, sagt Prof. Dr. Lutz Heinemann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gegenüber Medscape Deutschland. Er bemängelt an dem Bericht jedoch den limitierten klinischen Blickwinkel.
So sei beispielsweise die häufige Messfrequenz bei der Glukoseselbstmessung gerade für Kleinkinder und die Sorge vor nächtlichen Hypoglykämien auch für deren Eltern sehr belastend. Umstände, die durch die kontinuierliche Glukosemessung erleichtert werden, so Heinemann. Laut IQWiG-Bericht ließ sich bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität jedoch kein Anhaltspunkt für einen Vor- oder Nachteil ableiten.
Zurückzuführen sei dies u.a. auf die unterschiedlichen Fragebögen, die in den Studien verwendet wurden, meint der DDG-Experte. Wegen der fehlenden Verblindung bescheinigte das IQWiG den Studien zur Lebensqualität aber auch ein hohes Verzerrungspotential. Die Forderung nach Doppelblindstudien – wie bei der Überprüfung eines neuen Medikaments üblich – ist mit der Methode aber gar nicht vereinbar.
„Bei einem diagnostisch-therapeutischen Hilfsmittel wie Real-Time-CGM gelten daher andere Kriterien als bei einem Medikament, um eine langfristige und positive Krankheitsbewältigung zu bewirken, insbesondere vor dem Hintergrund einer chronischen Erkrankung mit potenziell sich verschlimmernden Folgeerkrankungen“, betont auch Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE und Chefarzt am Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover, in einer Pressemitteilung.
Real-Time-Messgeräte liefern wesentlich mehr Informationen als die Selbstmessung
Bei der Anwendung eines CGM-Messgeräts wird einmalig ein dünner Nadelsensor durch die Haut ins Unterhautfettgewebe gestochen, wodurch eine kontinuierliche Messung des Glukosegehalts in der Gewebeflüssigkeit ermöglicht wird. Über einen kleinen Verstärker- und eine auf die Haut geklebte Datenübertragungseinheit empfängt das externe Speicher- und Anzeigegerät die Daten. In der Regel wird so alle 5 Minuten ein Wert generiert.
Im Vergleich zu den punktförmigen Informationen, die ein Patient durch das Selbstmonitoring der Blutglukose erhält, liefert das rt-CGM wesentlich mehr Informationen über den Glukoseverlauf über den Tag hinweg. Besonders praxisrelevant ist dabei die Trendangabe zum Glukoseverlauf, dargestellt durch Trendpfeile und Verlaufsgrafiken, die ein rechtzeitiges therapeutisches Einschreiten ermöglichen, wenn die Werte zu schnell steigen oder fallen.
Auf die konventionelle kapilläre Blutglukosemessung kann trotzdem nicht vollständig verzichtet werden. Sie bleibt zur Gerätekalibrierung notwendig, die während der Tragedauer von CGM-Systemen (einige Tagen bis zu einer Woche) mehrfach wiederholt werden muss.
15 Studien mit knapp 2.000 Patienten wurden analysiert
Für die Nutzenbewertung des IQWiG wurden 15 randomisierte kontrollierte Studien mit zusammen 1.952 Patienten (fast alle mit Typ-1-Diabetes) u.a. hinsichtlich der Gesamtmortalität, terminaler Niereninsuffizienz, Erblindung, Hypoglykämie, HbA1c-Wert und Lebensqualität untersucht. Für Kinder und Jugendliche wurden zusätzlich körperliche und psychosoziale Entwicklungsstörungen als patientenrelevante Endpunkte verwendet. Die Mindestdauer der analysierten Studien betrug 24 Wochen.
Analysiert wurden 3 Vergleiche:
• rt-CGM plus BGSM versus BGSM (n = 13)
• Varianten der rt-CGM plus BGSM versus BGSM (n = 2)
• rt-CGM plus LGS-Funktion (hierbei unterbricht die Pumpe die Insulinabgabe atomatisch, wenn der Glukosewert eine bestimmte Schwelle unterschreitet) plus BGSM versus BGSM (n = 1).
Bessere HbA1c-Werte ohne Anstieg schwerer Hypoglykämien
Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsoptionen fanden sich ausschließlich für den Vergleich rt-CGM plus BGSM versus BGSM. Hier führte das CGM-System zu einer Verbesserung der HbA1c-Werte, ohne dass schwere Hypoglykämien häufiger auftraten als in der Kontrollgruppe. Die Aussagesicherheit reichte dabei je nach Altersgruppe und Schwere der Hypoglykämie von einem Anhaltspunkt (schwache Evidenz) bis zu einem Beleg (eindeutige Evidenz).
Eine eindeutige Evidenz wurde dabei nur bei Erwachsenen (> 18 Jahre) hinsichtlich der gemeinsamen Betrachtung der schweren Hypoglykämien und des HbA1c-Werts festgestellt. Die Betrachtung der schweren Hypoglykämien und des HbA1c-Werts bei Kindern (< 18 Jahre) lieferte immerhin Hinweise bzw. Anhaltspunkte für einen Nutzen.
Keine Vorteile bei weiteren Endpunkten – aber Langzeitstudien fehlen
Abgesehen von Hautreaktionen durch die Verwendung des Nadelsensors lieferten die Studienergebnisse bei keinem weiteren Endpunkt ein einheitliches Bild. Weitere deutliche Vor- oder Nachteile ließen sich dementsprechend nicht ableiten.
Dass sich keine weiteren Belege für die Überlegenheit der rt-CGN fanden, hängt laut Heinemann wieder mit den Bewertungsmethoden des IQWiG zusammen. „Bisher wurden schlicht keine Studien durchgeführt, die länger als zwölf Monate dauerten“, erklärt er. D.h. es gibt erst gar keine Untersuchungen, die Aussagen zu harten Endpunkten wie Gesamtmortalität, kardialer und zerebraler Morbidität und Mortalität oder diabetischen Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie) ermöglichen würden.
Zudem könne man davon ausgehen, dass die rt-CGM-Ergebnisse zur Lebensqualität gerade bei Kindern besser gewesen wären, wenn in den Studien neuere, heute bereits erhältliche Systeme mit einer einfacheren Bedienung und einem wesentlich höheren Tragekomfort verwendet worden wären.
Letztlich erachtet Heinemann den IQWiG-Bericht trotzdem als ausgesprochen positiv, liefere er doch die Basis für eine Kostenübernahme für die rt-CGM-Systeme. Der G-BA sollte bei seiner Entscheidung allerdings den diabetologischen Versorgungsalltag und besonders vulnerable Patientengruppen wie Kinder, Schwangere und Patienten mit einer Wahrnehmungsproblematik für Hypoglykämien berücksichtigen, mahnt er.
REFERENZEN
Diesen Artikel so zitieren: IQWiG bescheinigt: Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten hat Zusatznutzen für Insulinbehandelte - Medscape - 10. Jun 2015.
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