
Dr. Maya Leventer-Roberts
Andere Länder, andere Gesundheitssysteme – doch der Innovationsbedarf bleibt überall gleich. Mit einer zunehmenden Anzahl von älteren Patienten mit chronischen Krankheiten kommt es auch zu zunehmenden Problemen bei der Versorgung. Und vielerorts ist man überzeugt, dass die Verschmelzung von Gesundheit und Digitalem dabei helfen kann, diese Probleme zu lösen. Dr. Maya Leventer-Roberts spricht auf der Fachtagung „Vernetzte Gesundheit“ des Bundesverbandes für Managed Care darüber, wie Israel mit Hilfe von digitaler Gesundheit Versorgungslücken zu schließen und wie das Gesundheitssystem künftig aussehen könnte [1].
Medscape Deutschland: Was verstehen wir unter dem Begriff „Connected Healthcare”?
Dr. Leventer-Roberts: Das Zeitalter der „Connected Healthcare” wird uns die schon seit Langem benötigte Transition von der traditionellen zur personalisierten Medizin ermöglichen. Während bei ersterer der Arzt als einziger Gesundheitsdienstleister im Vordergrund steht, rückt bei der personalisierten Medizin der Patient in den Mittelpunkt, der über verschiedene Arten von Medien und Quellen – darunter Pflegekräfte, Familienmitglieder und Schulungspersonal – versorgt wird. Die Qualität und Quantität der Interaktionen zwischen allen Beteiligten (Patienten, Versorger und Kostenträger) ist entscheidend für den Erfolg dieser Transition.
Medscape Deutschland: Warum ist diese Transition auch oder gerade in Israel wichtig?
Dr. Leventer-Roberts: Wie überall auf der Welt muss das israelische Gesundheitssystem eine immer bessere Versorgung mit immer weniger Ressourcen leisten. Israel verwendet ungefähr 7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes auf das Gesundheitssystem – deutlich weniger als der OECD-Durchschnitt von 9 Prozent. Darüber hinaus gibt es durchschnittlich nur 4,8 Pflegekräfte und 3,1 Krankenhausbetten für 1000 Einwohner, womit Israel auch unter dem OECD-Durchschnittliegt [2]. Dennoch liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Israel mit über 81 Jahren unter den höchsten weltweit.
Diese Art der Ressourcen-Knappheit verlangt dringend nach weiterer Innovation. Obwohl Israel sowohl in Hinsicht auf die Größe als auch die Einwohnerzahl ein relativ kleines Land ist, werden hier urbane und ländliche Regionen mit einem großen Spektrum ethnischer und kultureller Hintergründe versorgt. Und selbst die Kreiskrankenhäuser liefern dabei den höchsten Versorgungsstandard.
Medscape Deutschland: Was funktioniert Ihrer Ansicht nach in Israel besser als in anderen Ländern – und was nicht?
Dr. Leventer-Roberts: Israel hat ein einmaliges Gesundheitssystem geschaffen, in dem Qualitätsmessung standardisiert worden ist, und mit dem Interventionen und Outcomes zuverlässig gemessen werden können. Erreicht wurde dies einerseits durch das nationale Krankenkassengesetz, mit dem allen Bürgern Israels das Recht auf eine Basis-Versorgung zugesprochen wird, und andererseits durch die damit verbundenen Anreize der vier Krankheitsfonds, die diese Versorgung vornehmen. Allerdings wird die Entscheidung über die Leistungen, die in diese Grundversorgung miteingeschlossen werden sollten, zunehmend schwieriger und komplizierter. Letztlich muss eine zunehmend älter werdende Bevölkerung mit unterschiedlichsten Bedürfnissen versorgt werden, darunter viele multimorbide Patienten mit chronischen Erkrankungen.
Medscape Deutschland: Drastisch steigende Gesundheitskosten sind mit Sicherheit eins der Hauptprobleme beim Entscheidungsprozess. Personalisierte Krebs-Medikamente können bereits jetzt mehrere 10.000 Euro kosten – allein für einen Behandlungszyklus. Werden wir auch in Zukunft jedem Patienten die gleiche Versorgung anbieten können?
Dr. Leventer-Roberts: Unsere Fähigkeit die richtige Versorgung dem richtigen Patienten zur richtigen Zeit zukommen zu lassen wird sich zunehmend verbessern. Das wird uns auch dabei helfen, die nötigen Ressourcen richtige zu verteilen und verteidigen.
Medscape Deutschland: Welche Verantwortung übernimmt der Patient selbst?
Dr. Leventer-Roberts: Da sich alle Einwohner Israels zwischen vier verschiedenen Krankheitsfond entscheiden können, haben diese ein Eigeninteresse daran ihre Mitglieder so gesund wie möglich zu halten. Diese einzigartige Kombination eines Systems von Zahlenden und Versorgern bedeutet, dass Patienten eine kritische Stimme bei der Verteidigung ihrer Bedürfnisse haben, Versorgungsservices eingeschlossen.
Medscape Deutschland: Welche Bedürfnisse werden Patienten in den kommenden Jahren zunehmend äußern? Wie wird sich das Gesundheitssystem in naher Zukunft verändern?
Dr. Leventer-Roberts: Bedenken hinsichtlich Gerechtigkeit, Privatsphäre und Zugang werden zunehmend offensichtlich werden, wenn der Patienten-orientierte Versorgungsansatz zum Standard wird. Zudem bewegen wir uns von einem Zeitalter, in dem die Mehrheit der Erkrankungen einmalige Ereignisse sind (z.B. Infektionen), zu einem Zustand in dem die Mehrheit eine oder mehr Krankheiten auf Dauer hat, und welche einen entscheidenden Einfluss auf das Langzeit-Risiko für zusätzliche Krankheiten haben (wie Diabetes oder Herzerkrankungen). Deshalb müssen wir unser Verständnis von Gesundheit und Gesundheitsversorgung fundamental ändern. Versorger und Infrastrukturen werden sich wandeln müssen, um diese neuen und komplizierten Bedürfnisse managen zu können. Zahlungsbeauftragte werden verschiedene Finanzierungs-Methoden ersuchen müssen, um so die zunehmende Last mittels Innovation und Integration zu bekämpfen.
Medscape Deutschland: Können Sie ein paar Beispiele für diese Art der Innovation nennen?
Dr. Leventer-Roberts: Mit einer steigendenden Anzahl und Arten von Technologien, die Patienten dabei unterstützen, ihre eigene Gesundheit zu überwachen und sich selbst zu versorgen, werden wir zu einem Gesundheitssystem gelangen, das Patienten-zentriert und –orientiert ist. Das – in Kombination mit einer zunehmenden zielgerichteten Therapie durch Ärzte – wird wahre Exzellenz in die medizinische Versorgung bringen.
REFERENZEN
Diesen Artikel so zitieren: Digitale Gesundheit: „Bedenken hinsichtlich Gerechtigkeit, Privatsphäre und Zugang werden zunehmend offensichtlich werden“ - Medscape - 10. Jun 2015.
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