MEINUNG

Digitale Gesundheit: „Bedenken hinsichtlich Gerechtigkeit, Privatsphäre und Zugang werden zunehmend offensichtlich werden“

Shari Langemak

Interessenkonflikte

10. Juni 2015

Dr. Maya Leventer-Roberts

Andere Länder, andere Gesundheitssysteme – doch der  Innovationsbedarf bleibt überall gleich. Mit einer zunehmenden Anzahl von  älteren Patienten mit chronischen Krankheiten kommt es auch zu zunehmenden  Problemen bei der Versorgung. Und vielerorts ist man überzeugt, dass die Verschmelzung  von Gesundheit und Digitalem dabei helfen kann, diese Probleme zu lösen. Dr. Maya Leventer-Roberts spricht auf der Fachtagung „Vernetzte Gesundheit“ des Bundesverbandes für Managed Care darüber,  wie Israel mit Hilfe von digitaler Gesundheit Versorgungslücken zu schließen  und wie das Gesundheitssystem künftig aussehen könnte [1].

Medscape  Deutschland: Was verstehen wir unter dem Begriff „Connected  Healthcare”?

Dr.  Leventer-Roberts: Das Zeitalter der „Connected Healthcare” wird uns die  schon seit Langem benötigte Transition von der traditionellen zur personalisierten  Medizin ermöglichen. Während bei ersterer der Arzt als einziger  Gesundheitsdienstleister im Vordergrund steht, rückt bei der personalisierten  Medizin der Patient in den Mittelpunkt, der über verschiedene Arten von Medien  und Quellen – darunter Pflegekräfte, Familienmitglieder und Schulungspersonal –  versorgt wird. Die  Qualität und Quantität der Interaktionen zwischen allen Beteiligten (Patienten,  Versorger und Kostenträger) ist entscheidend für den Erfolg dieser Transition.

Medscape  Deutschland: Warum ist diese Transition auch oder gerade in  Israel wichtig?

Dr.  Leventer-Roberts: Wie überall auf der Welt muss das israelische  Gesundheitssystem eine immer bessere Versorgung mit immer weniger Ressourcen  leisten. Israel verwendet ungefähr 7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes auf  das Gesundheitssystem – deutlich weniger als der OECD-Durchschnitt von 9 Prozent.  Darüber hinaus gibt es durchschnittlich nur 4,8 Pflegekräfte und 3,1  Krankenhausbetten für 1000 Einwohner, womit Israel auch unter dem OECD-Durchschnittliegt [2]. Dennoch liegt die  durchschnittliche Lebenserwartung in Israel mit über 81 Jahren unter den  höchsten weltweit.

Die Qualität und Quantität der Interaktionen zwischen allen Beteiligten ist entscheidend für den Erfolg. Dr. Maya Leventer-Roberts

Diese Art der Ressourcen-Knappheit verlangt dringend nach  weiterer Innovation. Obwohl Israel sowohl in Hinsicht auf die Größe als auch  die Einwohnerzahl ein relativ kleines Land ist, werden hier urbane und  ländliche Regionen mit einem großen Spektrum ethnischer und kultureller  Hintergründe versorgt. Und selbst die Kreiskrankenhäuser liefern dabei den  höchsten Versorgungsstandard.

Medscape  Deutschland: Was funktioniert Ihrer Ansicht nach in Israel besser als  in anderen Ländern – und was nicht?

Dr.  Leventer-Roberts: Israel hat ein einmaliges Gesundheitssystem geschaffen,  in dem Qualitätsmessung standardisiert worden ist, und mit dem Interventionen  und Outcomes zuverlässig gemessen werden können. Erreicht wurde dies einerseits  durch das nationale Krankenkassengesetz, mit dem allen Bürgern Israels das  Recht auf eine Basis-Versorgung zugesprochen wird, und andererseits durch die damit  verbundenen Anreize der vier Krankheitsfonds, die diese Versorgung vornehmen.  Allerdings wird die Entscheidung über die Leistungen, die in diese  Grundversorgung miteingeschlossen werden sollten, zunehmend schwieriger und  komplizierter. Letztlich muss eine zunehmend älter werdende Bevölkerung mit  unterschiedlichsten Bedürfnissen versorgt werden, darunter viele multimorbide  Patienten mit chronischen Erkrankungen.

Medscape  Deutschland: Drastisch steigende Gesundheitskosten sind mit  Sicherheit eins der Hauptprobleme beim Entscheidungsprozess. Personalisierte  Krebs-Medikamente können bereits jetzt mehrere 10.000 Euro kosten – allein für  einen Behandlungszyklus. Werden wir auch in Zukunft jedem Patienten die gleiche  Versorgung anbieten können?

Dr. Leventer-Roberts: Unsere Fähigkeit die richtige  Versorgung dem richtigen Patienten zur richtigen Zeit zukommen zu lassen wird  sich zunehmend verbessern. Das wird uns auch dabei helfen, die nötigen Ressourcen  richtige zu verteilen und verteidigen.

Medscape  Deutschland: Welche Verantwortung übernimmt der Patient selbst?

Unsere Fähigkeit die richtige Versorgung dem richtigen Patienten zur richtigen Zeit zukommen zu lassen wird sich zunehmend verbessern. Dr. Maya Leventer-Roberts

Dr. Leventer-Roberts: Da sich alle  Einwohner Israels zwischen vier verschiedenen Krankheitsfond entscheiden  können, haben diese ein Eigeninteresse daran ihre Mitglieder so gesund wie  möglich zu halten. Diese einzigartige Kombination eines Systems von Zahlenden  und Versorgern bedeutet, dass Patienten eine kritische Stimme bei der  Verteidigung ihrer Bedürfnisse haben, Versorgungsservices eingeschlossen.

Medscape  Deutschland: Welche Bedürfnisse werden Patienten in den kommenden  Jahren zunehmend äußern? Wie wird sich das Gesundheitssystem in naher Zukunft  verändern?

Dr.  Leventer-Roberts: Bedenken hinsichtlich Gerechtigkeit, Privatsphäre und  Zugang werden zunehmend offensichtlich werden, wenn der Patienten-orientierte  Versorgungsansatz zum Standard wird. Zudem bewegen wir uns von einem Zeitalter,  in dem die Mehrheit der Erkrankungen einmalige Ereignisse sind (z.B.  Infektionen), zu einem Zustand in dem die Mehrheit eine oder mehr Krankheiten  auf Dauer hat, und welche einen entscheidenden Einfluss auf das Langzeit-Risiko  für zusätzliche Krankheiten haben (wie Diabetes oder Herzerkrankungen). Deshalb  müssen wir unser Verständnis von Gesundheit und Gesundheitsversorgung  fundamental ändern. Versorger und Infrastrukturen werden sich wandeln müssen,  um diese neuen und komplizierten Bedürfnisse managen zu können.  Zahlungsbeauftragte werden verschiedene Finanzierungs-Methoden ersuchen müssen,  um so die zunehmende Last mittels Innovation und Integration zu bekämpfen.

Medscape  Deutschland: Können Sie ein paar Beispiele für diese Art der  Innovation nennen? 

Dr.  Leventer-Roberts: Mit einer steigendenden Anzahl und Arten von  Technologien, die Patienten dabei unterstützen, ihre eigene Gesundheit zu  überwachen und sich selbst zu versorgen, werden wir zu einem Gesundheitssystem  gelangen, das Patienten-zentriert und –orientiert ist. Das – in Kombination mit  einer zunehmenden zielgerichteten Therapie durch Ärzte – wird wahre Exzellenz  in die medizinische Versorgung bringen.

REFERENZEN

1. Fachtagung „Vernetzte Versorgung: Welche Lücken kann Digital Health wirklich schließen?", 9. Juni 2015

2. OECD  Health Statistics 2014: How does Israel compare?

Kommentar

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