
Dr. Jan-Christoph Galle
London – Einfache Messungen der Nierenfunktion und -schädigung, sprich die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und der Albuminurie, könnten genauso gute Prädiktoren für das kardiovaskuläre Risiko sein wie die traditionellen Marker Cholesterin und Blutdruck. Zu diesem Fazit kommt eine Metaanalyse von 24 Studien mit mehr als 637.000 Teilnehmern, die beim ERA-EDTA-Kongress in London vorgestellt und zeitgleich in Lancet Diabetes&Endocrinology erschienen ist [1,2].
„Die Erkenntnis, dass mit eingeschränkter GFR das kardiovaskuläre Risiko steigt und dass die prädiktive Kraft der GFR noch weiter gesteigert wird, wenn man sie um den Faktor Albuminurie ergänzt, ist nicht neu“, kommentiert Prof. Dr. Jan-Christoph Galle, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), die Ergebnisse im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Die Metaanalyse von Matsushita bestätigt den prädiktiven Wert dieser beiden Messungen aber an einer großen Patientenzahl.“
Cholesterin und Blutdruck sind gut, GFR und Albuminurie aber besser
„Cholesterinspiegel und Blutdruck sind gute Indikatoren für das kardiovaskuläre Risiko, aber sie sind nicht perfekt. Mit der GFR und der Albuminurie können wir das Risiko noch viel besser einschätzen“, wird Erstautor Dr. Kunihiro Matsushita von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore in einer Mitteilung der Einrichtung zitiert. Und der große Vorteil sei, dass die Informationen zu GFR und Albuminurie für viele Patienten bereits vorlägen, speziell bei Patienten mit Diabetes, Hypertonie und Nierenerkrankung.
„Wenn dem Mediziner Daten zu Nierenschädigung und Nierenfunktion zur Verfügung stehen – was oft der Fall ist – sollten sie diese Daten nutzen, um das Risiko des Patienten für kardiovaskuläre Erkrankungen besser einzuschätzen“, betonte Matsushita.
Kranke Gefäße schaden Herz und Nieren
In der Metaanalyse der 24 Kohorten, alle Teil des Chronic Kidney Disease Prognosis Consortium, verbesserte das Wissen um die Höhe von GFR und Albuminurie die Vorhersage kardiovaskulärer Erkrankungen im Allgemeinen und speziell von Herzinsuffizienz und Tod durch Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Albuminurie war dabei der stärkste Prädiktor. Sie übertraf neben Cholesterinspiegel und Blutdruck selbst den Raucherstatus als Risikofaktor für Herzinsuffizienz und Tod durch Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Menschen mit chronischer Nierenerkrankung entwickeln doppelt so häufig kardiovaskuläre Erkrankungen wie diejenigen mit gesunden Nieren. Und etwa die Hälfte von ihnen stirbt an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, bevor die Nieren versagen. „Es wird vermutet, dass ein Zusammenhang mit der allgemeinen Gefäßerkrankung besteht. Es ist also nicht primär die Nierenerkrankung, die das Herz krank macht, sondern es ist die Gefäßerkrankung, die sowohl Herz als auch Niere krankt macht“, erklärt Galle, der am Klinikum Lüdenscheid die Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren leitet.
Nierenmessungen gehören in die allgemeine Gesundheitsvorsorge
Verschiedene klinische Leitlinien empfehlen bereits, dass bei Patienten mit Verdacht auf Nierenerkrankung, Diabetes oder Hypertonie Kreatinin und Urineiweiß untersucht werden sollten. Laut Matsushita zeigen die analysierten Daten aber, dass auch andere Personen, die bislang in den Richtlinien nicht genannt werden, davon profitieren könnten, dass ihre Nieren untersucht werden. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, die GFR- und Albuminuriemessung in die Untersuchung des kardiovaskulären Risikos der Allgemeinbevölkerung aufzunehmen.“
Galle betonte: „Die DGfN fordert seit Jahren, bei Menschen in der Hausarztpraxis regelmäßig den Kreatininwert und das Urinweiweiß zu bestimmen. Denn anhand der GFR, die sich aus dem Kreatin ergibt, und der Albuminurie, lassen sich diejenigen identifizieren, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben“, erklärt Galle. „Ab dem Gesundheits-Check-up 35+ sollten die beiden Werte alle paar Jahre erhoben werden.“
Bislang ist die Messung der Albuminurie in den Vorsorgeuntersuchungen nur bei Diabetikern vorgesehen. „Die neue Metaanalyse wird hoffentlich eine stärkere argumentative Basis liefern, um die Kostenträger davon zu überzeugen, die Messung von Eiweiß im Urin auch in die Vorsorgeuntersuchungen der Allgemeinbevölkerung aufzunehmen“, betont Galle.
REFERENZEN
1. Matsushita K, et al: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 29. Mai 2015
2. ERA-EDTA-Kongress, 8. bis 31. Mai 2015, London
Diesen Artikel so zitieren: Mit zwei Nierenwerten die kardiovaskuläre Risikoprognose perfektionieren - Medscape - 10. Jun 2015.
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