IMPROVE-IT-Studie publiziert: Der endgültige Beweis für die LDL-Hypothese „Je niedriger, umso besser – egal wie“?

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

8. Juni 2015

Die IMPROVE-IT-Studie, erstmals vorgestellt bei der Tagung der American Heart Association (AHA) im November vergangenen Jahres (wie Medscape Deutschland berichtete), ist nun im New England Journal of Medicine publiziert worden [1]. In einem begleitenden Editorial betonen Prof. Dr. John A. Jarcho und Prof. Dr. John F. Keaney Jr. von der University of Massachusetts Medical School, Worcester, warum die Studie in ihren Augen für die ärztliche Praxis so große Bedeutung hat: „IMPROVE-IT versorgt uns mit wichtigen Informationen zur Bedeutung der LDL-Cholesterinsenkung – unabhängig davon, mit welchem Wirkstoff dies geschieht.“ 

 
IMPROVE-IT versorgt uns mit wichtigen Informationen zur Bedeutung der LDL-Cholesterinsenkung – unabhängig davon, mit welchem Wirkstoff dies geschieht. Prof. Dr. John A. Jarcho und Prof. Dr. John F. Keaney Jr.
 

In der IMPROVE-IT-Studie (Improved Reduction of Outcomes: Vytorin Efficacy International Trial) war randomisiert bei der Hälfte von mehr als 18.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) durch die Verwendung von Ezetimib (Ezetrol®, MSD/Essex, 10 mg/Tag) in Kombination mit Simvastatin (40 mg/Tag) das LDL-Cholesterin auf historisch tiefe Werte von im Schnitt 53,2 mg/dl gesenkt worden. Dadurch konnte im Vergleich zur Placebo/Simvastatin-Gruppe, die im Schnitt ein LDL-Cholesterin von 69,9 mg/dl hatte und damit immer noch unterhalb des niedrigsten bisher empfohlenen Grenzwertes lag, der primäre Studienendpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod oder schweres kardiovaskuläres Ereignis) um absolut weitere 2%-Punkte (von 34,7 auf 32,7% nach 7 Jahren) gesenkt werden.

Eine Number needed to treat von 50 über sieben Jahre

Diese Reduktion entspricht einer Number needed to treat (NNT) von 50 über den Studienzeitraum von 7 Jahren oder von 350 auf 1 Jahr gerechnet. Dies erscheint relativ hoch, um nun allen ACS-Patienten Ezetimib zusätzlich zu empfehlen. Doch Jarcho und Keaney sehen die Bedeutung der Studie auch in einem ganz anderen Bereich: „Diese Daten tragen dazu bei, den Vorrang des LDL-Cholesterins als Strategie zur KHK-Prävention zu betonen“, schreiben sie. Was bislang als „LDL-Hypothese“ diskutiert wurde, könnte nun nach IMPROVE-IT zum „LDL-Prinzip“ werden.

Was sie damit meinen: Die „LDL-Hypothese“ postuliert, dass das kardiovaskuläre Risiko in direktem Zusammenhang mit der Höhe der LDL-Spiegel steht. Sie basiert unter anderem auf einer Metaanalyse von 90.000 Teilnehmern aus 14 randomisierten Statin-Studien. Die Autoren, die Cholesterol Treatment Trialists‘ (CTT) Collaborators, errechneten damals, dass eine Reduktion des LDL-Cholesterins um 1 mmol/l (38,7 mg/dl) das 5-Jahresrisiko für ein schweres kardiovaskuläres Ereignis um 23% verringert.

 
Diese Daten tragen dazu bei, den Vorrang des LDL-Cholesterins als Strategie zur KHK-Prävention zu betonen. Prof. Dr. John A. Jarcho und Prof. Dr. John F. Keaney Jr.
 

Doch die LDL-Hypothese hatte auch immer zahlreiche Kritiker. Diese waren der Ansicht, die LDL-Cholesterinsenkung allein reiche als Erklärung für die positiven Wirkungen der Statine nicht aus. Es seien vielmehr die sogenannten „pleiotropen Effekte“, günstige Effekte etwa auf die Endothelfunktion oder Entzündungsparameter wie das hs-CRP, die zumindest mit entscheidend für den Schutz vor kardiovaskulären Ereignissen durch die Statine seien.

Zielwert oder „Fire and Forget“?

Welche Theorie bevorzugt wird, hat entscheidende Auswirkungen auf die Behandlung: Während es für die Befürworter der LDL-Hypothese vor allem auf darauf ankommt, das LDL-Cholesterin so weit wie möglich zu senken – egal mit welchen Mitteln, sind LDL-Zielwerte für diejenigen, die an die pleiotropen Wirkungen glauben, kein Thema – die Hauptsache ist, überhaupt ein Statin zu geben (auch als „Fire- and Forget“-Strategie bezeichnet).

Die verschiedenen Ansichten fanden auch in den unterschiedlichen Leitlinien in den USA und Europa Niederschlag: So hatten sich die US-Fachgesellschaften in ihren im November 2013 veröffentlichten Guidelines erstmals von den Zielwerten verabschiedet. Es gebe für die Empfehlung von LDL-Cholesterinzielen keine ausreichende Studienevidenz, argumentierten sie. Statt eines Zielwertes empfahlen die neuen US-Leitlinien eine prozentuale LDL-Reduktion sowie eine hochdosierte Statintherapie für eine Vielzahl von Patientengruppen.

In Europa und speziell in Deutschland fand dieser Kurswechsel damals keine Unterstützung. Hier sprachen sich die Fachgesellschaften weiterhin für die Zielwert-orientierte LDL-Cholesterinsenkung aus. Nun unterstützt die IMPROVE-IT-Studie den europäischen Ansatz, wie auch die beiden US-Editorialisten einräumen. Die IMPROVE-IT-Autoren betonen in ihrer Publikation, dass die in ihrer Studie beobachtete Risikoreduktion genau in die von dem CTT-Autorenteam vorhergesagte Größenordnung passt.

Jarcho und Keaney bezeichnen IMPROVE-IT auch deswegen als „Meilenstein“-Studie, weil sie zum ersten Mal nachgewiesen hat, dass die zusätzliche Gabe eines „Nicht-Statins“ zur Lipidsenkung einen gesundheitlichen Vorteil hat. Sie warnen aber: „IMPROVE-IT sollte nicht so interpretiert werden, dass Ezetimib irgendeinen einzigartigen günstigen Effekt in dieser Studie gezeigt hat. Ganz im Gegenteil impliziert die Studie, dass jede LDL-Senkung – unabhängig vom Mechanismus – sich ähnlich günstig auswirkt.“

Was bedeutet dies für die PCSK9-Hemmer, die demnächst kommen?

Dies mache vor allem die neuen PCSK9-Hemmer, die nun allmählich in den Markt kommen, interessant, erlauben diese Wirkstoffe doch LDL-Senkungen um bis zu 60%. Die Erwartungen an die derzeit laufenden Endpunktstudien mit diesen neuen Lipidsenkern werden damit hochgeschraubt.

 
Die Studie impliziert, dass jede LDL-Senkung – unabhängig vom Mechanismus – sich ähnlich günstig auswirkt. Prof. Dr. John A. Jarcho und Prof. Dr. John F. Keaney Jr.
 

Noch einen weiteren praxisrelevanten Aspekt sprechen die beiden Lipidexperten in diesem Zusammenhang an: die Compliance. Ist es ein Vorteil oder Nachteil der PCSK9-Hemmer, dass sie subkutan alle 2 bis 4 Wochen injiziert werden? In der IMPROVE-IT-Studie hatte sich erwiesen – wie in früheren Statin-Studien übrigens auch – dass die Therapietreue bei dieser Behandlung oft zu wünschen übrig lässt. Obwohl sie alle ein akutes Koronarsyndrom hinter sich hatten, beendeten 42% der Teilnehmer – unabhängig davon, zu welcher Gruppe sie randomisiert worden waren – die lipidsenkende Medikation vorzeitig vor dem Ende der Studie.

Gerade der Erfolg der LDL-Senkung in IMPROVE-IT zeige aber, so Jarcho und Keaney: „Die Behandlungsadhärenz der lipidsenkenden Therapie muss weiter im Fokus der behandelnden Ärzte stehen!“ Die Studie eröffne Patienten, die aufgrund von Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten die Statine nicht oder nicht hochdosiert nehmen können, mögliche Alternativen. Denn sie unterstützte auf jeden Fall die Empfehlung, dann ein Nicht-Statin zur Lipidsenkung zu nehmen.

IMPROVE-IT: Bislang gültige LDL-Ziele unterboten – mit zusätzlichem Benefit für die Patienten 

In der internationalen IMPROVE-IT Studie erhielten 18.144 Patienten, die in den vergangenen 19 Tagen wegen eines akuten Koronarereignisses (ACS) hospitalisiert worden waren, randomisiert entweder Simvastatin plus Placebo oder Simvastatin (40 mg; bei 27% unter Monotherapie aber nur 6% unter der Kombination auftitriert auf 80 mg) kombiniert mit Ezetimib (10 mg pro Tag). Die Ausgangs-LDL-Spiegel lagen bereits unter 125 mg/dl. Die Teilnehmer waren im Schnitt 64 Jahre alt, 40% kamen aus Westeuropa, weitere etwa 40% aus Nordamerika. 

Ziel der Studie war zu prüfen, ob das Nicht-Statin Ezetimib, das die intestinale Cholesterinabsorption reduziert und so zu einer weiteren Senkung der LDL-Spiegel im Blut beiträgt, auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse über den durch das Statin allein erzielten Benefit hinaus noch weiter reduzieren kann. Primärer Endpunkt war eine Kombination von kardiovaskulär bedingtem Tod, Herzinfarkt, instabile Angina pectoris mit Hospitalisierung, koronare Revaskularisierung oder Schlaganfall. Das mediane Follow-up betrug 6 Jahre. 

Der durchschnittliche erreichte LDL-Cholesterinwert betrug 53,7 mg/dl in der Ezetimib/Simvastatin-Gruppe und 69,5 mg/dl unter Simvastatin/Placebo (p > 0,001). Nach 7 Jahren waren die Kaplan-Meier-Ereignisraten absolut um 2% niedriger in der Ezetimib-Gruppe (34,9 vs 32,9%; Hazard Ratio: 0,936; 95%_Konfidenzintervall: 0,89–0,99; p = 0,016).

Ganz besonders zu profitieren schienen die Subgruppen der über 75-Jährigen und die Patienten mit Diabetes. Unter den einzelnen Endpunkten waren Herzinfarkte und ischämische Schlaganfälle unter der Kombination signifikant seltener, hämorrhagische Schlaganfälle numerisch, aber nicht signifikant häufiger.

Gleichzeitig unterschieden sich beide Gruppen nicht in der Rate an Nebenwirkungen bzw. toxischen Effekten der Therapie: Unerwünschte Wirkungen auf Muskulatur, Gallenblase oder Leber sowie Krebshäufigkeit waren in beiden Therapiegruppen ähnlich – und auch die Abbruchraten wegen Nebenwirkungen unterschieden sich mit 10,1 und 10,6% nicht.

Die absolute Risikoreduktion entspricht einer NNT von 50 über 7 Jahre oder 350 über 1 Jahr, um 1 Ereignis des primären Endpunktes zu verhindern. Als Fazit formulieren die Studienautoren unter Leitung von Prof Dr. Christopher Cannon, TIMI-Studiengruppe, Brigham und Women’s Hospital und Harvard Medical School, Boston: „Die Senkung der LDL-Cholesterinspiegel auf Werte unterhalb der bislang propagierten Ziele bringt noch zusätzliche Vorteile.“

 

REFERENZEN

1. Cannon CP, et al: NEJM (online) 3. Juni 2015

2. Jarcho JA, et al: NEJM (online) 3. Juni 2015

 

Kommentar

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