VERAH und ihre Kolleginnen übernehmen schon jetzt auf dem Land eine Vielzahl medizinischer Versorgungstätigkeiten, die Koalition überlegt, ob künftig die Patienten ohne Rezept vom Physiotherapeuten behandelt werden könnten und in den Kliniken sollen nicht-ärztliche Assisten immer öfter die Ärzte entlasten. Arzt-Ersatzleistungen boomen also, allerdings setzt der Arztvorbehalt dem Grenzen: Bestimmte medizinische Leistungen anordnen, vornehmen und abrechnen darf nur ein approbierter Arzt. Daher stellt sich immer öfter die Frage, wo die Delegation endet und wann es sich womöglich um eine nicht mehr erlaubte Übertragung ärztlicher Leistungen handelt.
Fallstricke lauern zuhauf, nicht zuletzt in Sachen Haftung. Wie man richtig delegiert, erklären Dr. Oliver Pramann, Fachanwalt für Medizinrecht aus Hannover, und Dr. Anke Erdmann, Rechtsanwältin für Medizinrecht aus München.
Laut Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) darf der Arzt alle selbstständigen ärztlichen Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder als delegierbare Leistungen durch Mitarbeiter hat erbringen lassen, die seiner Aufsicht und fachlichen Weisung unterstehen. An nichtärztliche Mitarbeiter dürfen Ärzte allerdings nur delegieren, wenn sie diesen Mitarbeitern gegenüber weisungsbefugt sind.
„Diese Weisungsbefugnis ist für die Sicherheit der Abläufe wichtig und sollte deshalb immer schriftlich fixiert sein, am besten im Arbeitsvertrag“, erklärt Pramann im Gespräch mit Medscape Deutschland. Ein Nachbessern im Arbeitsvertrag ist problemlos möglich – etwa mit einer entsprechenden Ergänzungsvereinbarung. „Existiert keine klare Regelung, dann kann das zu Haftungsproblemen führen“, sagt Anke Erdmann gegenüber Medscape Deutschland.
Sei nicht klar auf wessen Anweisung hin die medizinische Fachangestellte gehandelt habe, ob sie womöglich eigenmächtig gehandelt habe, stehe die Fachangestellte am Ende selbst in der Haftung. Am besten sei deshalb, wenn aus dem Arbeitsvertrag eine generelle Einordnung in die „Hierarchie“ hervorgehe, erklärt Erdmann
Anamese, OPs und Aufklärung sind nicht delegierbar – Hausbesuche je nachdem
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat mit dem GKV-Spitzenverband als Anlage zum Bundesmanteltarifvertrag-Ärzte (BMV-Ä) am 1. Oktober 2013 eine Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung geschlossen (§ 28 Abs 1 Satz 3 SGB V).
Daraus und aus den gesetzlichen Vorschriften ergeben sich die Leistungen, die der Arzt selbst erbringen muss und die nicht delegierbar sind: Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Diagnosestellung, Aufklärung und Beratung des Patienten, Entscheidungen über die Therapie und Durchführung invasiver Therapien und operativer Eingriffe.
Allgemein delegationsfähig sind dagegen:
• orale oder anale Applikation von Arzneimitteln
• Verbände anlegen und wechseln
• Laborleistungen (Ausnahme: Speziallabor)
• physikalisch-medizinische Leistungen
• (Dauer-)Katheterwechsel
• einfache Messverfahren (z.B. Ton- und Sprachaudiometrie)
• radiologische Leistungen
Direkte oder unmittelbare Arztpräsenz erforderlich
Bei delegierbaren Tätigkeiten unterscheidet man, ob eine direkte und unmittelbare Arztpräsenz zusätzlich erforderlich ist – oder ob der Arzt dabei abwesend sein kann. Im Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) Anlage 24 ist ausgeführt, dass nicht-ärztliches Personal auch in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung nach Delegation tätig sein darf – also auch Hausbesuche machen kann – eben unter den dort genannten Voraussetzungen und im Rahmen der möglichen Delegation. Aufgaben, die dann in den Bereich der Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) fallen können.
Zu den im Einzelfall delegierbaren ärztlichen Leistungen gehören Injektionen und Infusionen, wobei intravenöse Injektionen, Kontrastmittelinjektionen und Punktionen zur Materialentnahme grundsätzlich Sache des Arztes sind. „Subkutane und intramuskuläre Injektionen beispielsweise können auf qualifiziertes nichtärztliches Hilfspersonal übertragen werden“, erklärt Pramann. „Die Entscheidung liegt immer beim Arzt – kann ich es verantworten, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter Hausbesuche macht und dabei beispielsweise subkutan eine Spritze setzt?“
VERAH im Einsatz: Die Haftung ist noch nicht geklärt
Bei der Delegation bleibt die Endverantwortung beim Arzt – er entscheidet, ob eine Leistung erbracht wird. Wie diese Leistung erbracht wird, ist Sache des Assistenzpersonals. Der Arzt delegiert also nur die Verantwortung für die eigentliche Maßnahme. Damit handelt es sich bei einer Delegation um eine vorübergehende Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten.
Bei einer Substitution dagegen liegen die Verantwortung für die Durchführung und die Entscheidung über das „ob“ einer Leistung nicht beim Arzt. Substitution ist eine dauerhafte Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Personal.
Im Rettungsdienst findet bereits eine Substitution statt: Notfallsanitäter haben nach dem neuen Notfallsanitätergesetz (1. Januar 2014) einen eigenen Kompetenzbereich und dürfen zur Lebensrettung auch invasive Maßnahmen anwenden.
Eine Substitution wie bei den Notfallsänitätern gibt es in der ärztlichen Regelversorgung zwar noch nicht, doch das Modellvorhaben VERAH geht ebenfalls in diese Richtung. Laut BMV-Ä kann auch nicht-ärztliches Personal Hausbesuche durchführen – in einem solchen Fall ist die konkrete Überwachungspflicht des Arztes nicht gewährleistet. „Zu Haftungsfragen gibt es noch keine Rechtsprechung“, so Erdmann.
Diesen Artikel so zitieren: Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliche Assistenten – worauf ist zu achten? - Medscape - 8. Jun 2015.
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