Schallschutz = Schutz vor Diabetes = Schutz für Diabetiker

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

29. Mai 2015

Berlin Dass der Umweltfaktor Lärm neben Schlafstörungen auch die Entstehung einer Hypertonie begünstigen kann, ist bekannt. Doch auch die Entstehung eines Typ-2-Diabetes? Und sind – umgekehrt – Diabetiker empfindlicher für eine übermäßige Lärmbelastung und deren Folgen?

Ein direkter Zusammenhang zwischen Lärm und Diabetes wurde bisher nicht nachgewiesen, es gibt allerdings Hinweise auf eine indirekte Assoziation – über den Link einer verringerten Herzfrequenzvariabilität. Sie ist beispielsweise mit der diabetischen Neuropathie und mit der koronaren Herzkrankheit assoziiert.

Beim Diabeteskongress in Berlin stellte die Epidemiologin Ute Kraus vom Institut für Epidemiologie II des Helmholtz-Zentrums München eigene Forschungsergebnisse und weitere Daten dazu vor [1].

Werden Lärmbelastete häufiger zu Diabetikern?

In einer dänischen Kohortenstudie wurde analysiert, ob Menschen, die hohen Lärmpegeln ausgesetzt sind, häufiger an Diabetes erkranken. Dies hat sich zumindest im Trend bestätigt: In einer altersadjustierten Auswertung zeigte sich bei Menschen aus lärmbelasteten Wohngegenden eine um 14% höhere Diabetesinzidenz als bei Vergleichspersonen in ruhiger Wohngegend. Dieser Zusammenhang war sogar etwas stärker, wenn ein längerer Zeitraum der Lärmbelastung betrachtet wurde.

 
Die epidemiologischen Studien liefern Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Diabetes. Ute Kraus
 

Medscape Deutschland fragte Kraus, ob diese retrospektiv gewonnenen epidemiologischen Daten hinreichend sind, um daraus allgemeingültige Folgerungen in Sachen Lärm und Diabetes zu ziehen. Sie erklärte: „Die epidemiologischen Studien liefern Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Diabetes beziehungsweise chronischer Lärmexposition und Diabetesinzidenz.“

Deshalb sei es „sicherlich sinnvoll, vor allem nachts für Ruhe zu sorgen, etwa durch das Schließen der Fenster, den Einbau von Schallschutzfenstern und/oder individuellen Gehörschutz“, meint Kraus, denn: „Ein verkürzter Schlaf oder ein gestörter Schlaf, in dem die einzelnen Schlafphasen verschoben sind und der NON-REM-Schlaf reduziert ist, scheint ungünstig mit der Blutglukose-Regulierung bzw. der Appetitregulierung zusammenzuhängen, dies zeigen weitere Studien.“

Jeder dritte Europäer ist durch Lärm gefährdet

 
Verkehrslärm gefährdet die Gesundheit jedes dritten Europäers. Ute Kraus
 

„Verkehrslärm gefährdet die Gesundheit jedes dritten Europäers, und jeder Fünfte ist in Europa in der Nacht einer gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigung ausgesetzt. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass in Westeuropa jährlich eine Million gesunder Lebensjahre durch Umweltlärm verlorengehen.“ Mit diesen Worten umriss Kraus das Ausmaß des Problems.

In einem europäischen Konsensuspapier wurde Lärm kürzlich als das zweitwichtigste umweltbezogene Gesundheitsrisiko eingestuft, direkt nach Feinstaub – er steht damit in einer Reihe mit Passivrauchen und Radon und ist wegen seiner ubiquitären Verbreitung noch schädlicher als Dioxin, Benzol und Ozon.

Lärm-Stress-Modell

 
Der lärmbedingt gestörte Schlaf ist mit Veränderungen der Glukoseregulation und mit einer Verringerung der Insulinsensitivität … verbunden. Ute Kraus
 

Nach dem von Kraus vorgestellten Lärm-Stress-Modell aktiviert Lärm sowohl das autonome Nervensystem als auch das endokrine System; dies führt zur verstärkten Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und insbesondere von Cortisol. „Es gibt Hinweise darauf, dass bei hohen Cortisolspiegeln die Betazellfunktion gestört und die Insulinaufnahme verringert ist“, erklärte Kraus.

„Darüber hinaus ist der lärmbedingt gestörte Schlaf mit Veränderungen der Glukoseregulation, mit einer Verringerung der Insulinsensitivität sowie mit reduzierten Leptin- und erhöhten Ghrelinspiegeln verbunden. Letzteres führt zu einer Appetitsteigerung, die ihrerseits den Diabetes fördert“, so Kraus.

Um die Ecke gedacht: Zusammenhang von Lärm und Herzfrequenzvariabilität

In einer eigenen prospektiven Studie, dem Augsburger Umweltsurvey, hat Kraus gemeinsam mit Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe „Environmental Risks“ 110 Personen aus dem Kollektiv des KORA-Follow-up-Survey 2000 untersucht. Die Studienteilnehmer hatten entweder einen manifesten Typ-2-Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz, die Personen in der Kontrollgruppe waren stoffwechselgesund.

Bis zu viermal wurde die akustische Belastung der Probanden jeweils über 6 Stunden während ihrer alltäglichen Routine mit einem „Lärmdosimeter“ gemessen und parallel dazu ein Dauer-EKG geschrieben. Bei der Auswertung wurde darauf geachtet, welchen Einfluss der aufgetretene Lärm sofort sowie in den folgenden 0 bis 5 Minuten, 5 bis 10 Minuten und 10 bis 15 Minuten auf die Herzfrequenzvariabilität hatte.

„Die Herzfrequenzvariabilität ist ein Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse, und da sie über das autonome Nervensystem reguliert wird, war eine Beeinflussbarkeit durch Reize wie Lärm wahrscheinlich“, erklärte Kraus die Rationale für die Studie. „Es sollte nun untersucht werden, ob Diabetiker auf eine solche Belastung eher ansprechen als Menschen mit gesundem Glukosestoffwechsel.“

Die Auswertung der aufwändigen Messungen zeigte, dass Diabetiker und Menschen mit gestörter Glukosetoleranz in manchem Umfeld tatsächlich stärker auf einen Anstieg des Geräuschpegels reagieren als dies Stoffwechselgesunde tun: Die Herzfrequenzvariabilität der Diabetiker und Prädiabetiker wurde in einer zuvor einigermaßen ruhigen Umgebung (< 65 dBA) schon durch einen Anstieg um 5 Dezibel verschlechtert, fasste Kraus die Ergebnisse zusammen.

Die Unterschiede waren allerdings nicht signifikant, und es wurde auch nicht zwischen Diabetikern mit oder ohne Neuropathie unterschieden. Ebenso wurden keine kurzfristigen Änderungen im Blutglukosespiegel erfasst, erklärte Kraus auf Nachfrage von Medscape Deutschland. Deshalb sollen weitere Studien folgen, in denen auch die Rolle von Alter, Geschlecht, Neuropathie und weiteren Einflussfaktoren geklärt wird.

Gefährdet Nachtlärm Diabetiker?

Kraus stellte darüber hinaus mehrere epidemiologische Studien vor. So wurde in einer Studie untersucht, wie sich eine verstärkte Lärmbelastung über den Tag oder in der Nacht nicht nur auf Laborparameter, sondern sogar auf das Überleben von Diabetikern auswirkt. Dazu wurde der Zusammenhang der kurzfristigen Lärmexposition in den Wohngebieten der Diabetiker mit der Anzahl der täglichen diabetesbedingten Sterbefälle analysiert.

Ergebnis: Der Lärm am Tage hatte keinen Einfluss auf die diabetesbezogene Sterblichkeit. Aber, so Kraus: „Bei hoher nächtlicher Lärmbelastung stieg jeweils in den darauffolgenden beiden Tagen die diabetesbezogene Mortalität über das sonst übliche Maß hinaus an.“

 

REFERENZEN:

  1. Diabetes Kongress 2015, 13. bis 16. Mai 2015, Berlin; Symposium „Gen-Umwelt-Interaktion“, Vortrag „Umweltfaktor Lärm - ein neuer Risikofaktor für Diabetes“ (14. Mai 2015)

 

Kommentar

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