Jetzt prüft auch die EMA das Ketoazidose-Risiko unter SGLT2-Hemmern

Nadine Eckert, Sonja Böhm

Interessenkonflikte

12. Juni 2015

Aktualisiert am 15. Juni 2015

Die European Medicines Agency (EMA) hat laut einer Mitteilung vom 15. Juni 2015 einen Review zur Sicherheit von Canagliflozin (Invokana®, Janssen Cilag), Dapagliflozin (Forxiga®, BMS/Astra Zeneca) und Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim) eingeleitet [1]. Der Grund sind Berichte über Ketoazidosen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, die mit den SGLT2-Inhibitoren behandelt wurden. Ketoazidosen treten eigentlich vor allem bei Typ-1-Diabetespatienten auf, deren Insulinspiegel zu niedrig sind.

Bei den berichteten Fällen habe es sich um ernste Stoffwechselentgleisungen gehandelt, die zum Teil eine Hospitalisierung erforderten, berichtet die EMA. Der Review war von der Europäischen Kommission beantragt worden. Auch bei den von der EMA zitierten Fällen war es eine Besonderheit, dass einige der betroffenen Typ-2-Diabetespatienten – für die Ketoazidose untypisch – nur leicht erhöhte Blutzuckerspiegel aufwiesen. Dieser Umstand könne Diagnose und Behandlung verzögern, warnt die Arzneimittelbehörde.

Die EMA will nun die verfügbaren Daten zum Risiko von Ketoazidosen unter den SGLT2-Hemmern sichten und dann entscheiden, ob Änderungen in der Anwendung dieser Antidiabetika notwendig sind. Die Ärzte sollen nochmals schriftlich über das Risiko von Ketoazidosen und das Management dieser Komplikation informiert werden, teilt die Behörde mit. Patienten sollten sich für weitere Informationen an ihre Ärzte bzw. Apotheker wenden.

Prof. Dr. Harald Klein

Schon Ende Mai hat die US-Arzneimittelbehörde FDA darauf hingewiesen, dass SGLT2-Hemmer zur Entstehung von Ketoazidosen führen können. 20 Fälle von diabetischer Ketoazidose bei Typ-2-Diabetes-Patienten, die mit SGLT2-Hemmern behandelt worden waren, seien zwischen März 2013 und Juni 2014 über das FDA Adverse Event Reporting System (FAERS) gemeldet worden, heißt es in der Mitteilung [2].

„Es hat bereits vorher Hinweise gegeben, dass SGLT2-Hemmer die Ketonkörper ansteigen lassen“, kommentiert Prof. Dr. Harald Klein vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Doch dass diese Medikamente zumindest in sehr seltenen Fällen offenbar sogar klinisch relevante Ketoazidosen auslösen können, ist überraschend.“

Auf Anfrage von Medscape Deutschland teilte das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit (BfArM) mit, dass in Deutschland bislang 3 Ketoazidose-Verdachtsmeldungen für den SGLT2-Hemmer Dapagliflozin als Monopräparat vorliegen, wobei allerdings in 2 Fällen die nicht zugelassene Anwendung bei Typ-1-Diabetes erfolgt sei.

Die Warnung der FDA bezieht sich auf die SGLT2-Hemmer Canagliflozin (Invokana® in Deutschland nicht erhältlich), Dapagliflozin (Forxiga®) und Empagliflozin (Jardiance®) sowie 3 Kombipräparate, die einen SGLT2-Hemmer enthalten: Canagliflozin plus Metformin (Invokamet®, in Deutschland nicht erhältlich), Dapagliflozin plus Metformin mit verzögerter Freisetzung (Xigduo® XR) und Empagliflozin plus Linagliptin (Glyxambi®).

Diabetische Ketoazidose auch bei relativ niedrigem Blutzucker

Ketoazidosen treten meistens bei Patienten mit Typ-1-Diabetes auf und gehen mit hohen Blutzuckerspiegeln einher“, erklärt Klein. „Für die Praxis ist es nun wichtig zu wissen, dass bei Patienten mit Typ 2-Diabetes unter SGLT2-Hemmer-Therapie offenbar – zumindest in sehr seltenen Fällen – bedrohliche Ketoazidosen auftreten können und dass diese größtenteils mit atypisch niedrigen Blutzuckerspiegeln einhergehen.“ 

Die Typ-2-Diabetes-Patienten mit Ketoazidose unter SGLT2-Hemmer-Therapie, die an das FAERS gemeldet wurden, hatten allesamt nur leicht erhöhte Blutzuckerspiegel, teils unter 200 mg/dl – anders als bei typischen Fällen von diabetischer Ketoazidose, bei denen der Blutzucker auf über 250 mg/dl ansteigt.

Hälfte der Fälle ohne zusätzlichen Auslöser

„Auf welchem Weg SGLT2-Hemmer zur Entstehung von Ketoazidosen beitragen könnten, ist momentan noch unklar, ebenso wenig wissen wir, welche Faktoren das Risiko erhöhen.“ Laut Sicherheitshinweis der FDA wiesen etwa die Hälfte der Patienten weitere Auslöser für eine Ketoazidose auf – akute Infektionen, Urosepsis, Traumata, verringerte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme oder reduzierte Insulindosis –, „doch bei etwa gleich vielen Patienten fanden sich keine solchen zusätzlichen Faktoren“, so Klein.

Anzeichen einer Ketoazidose sind Atemprobleme, Übelkeit, Abdominalschmerzen, Verwirrung und ungewöhnlich starke Ermattung und Schläfrigkeit. „Wenn mit SGLT2-Hemmern behandelte Patienten diese Symptome zeigen, sollten sie auf Ketoazidose untersucht werden, die Therapie mit SGLT2-Hemmern abgesetzt werden, wenn die Ketoazidose bestätigt wird, und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Ketoazidose zu korrigieren und die Blutzuckerwerte zu überwachen“, rät die FDA den Ärzten und dem medizinischen Fachpersonal.

In allen Fällen von Ketoazidose unter SGLT2-Hemmer-Therapie, die an die FDA gemeldet wurden, war ein Krankenhausaufenthalt notwendig, um die Episode zu behandeln. Von Beginn der SGLT2-Hemmer-Therapie bis zum Ausbruch der Symptome dauerte es median 2 Wochen, die Spanne reichte aber von einem bis zu 175 Tagen.

Mechanismen und Effekte noch weitgehend unbekannt

 
Die Warnung der FDA muss … zum Anlass genommen werden herauszufinden, wie hoch das Ketoazidose-Risiko unter SGLT2-Hemmern tatsächlich ist. Prof. Dr. Harald Klein
 

Seit Juni 2014 erhält die FDA weiter FAERS-Berichte über Ketoazidosen bei mit SGLT2-Hemmern behandelten Patienten. Man werde dieses Sicherheitsproblem weiter untersuchen, um zu ermitteln, ob die Verschreibungsinformationen dieser Medikamente möglicherweise geändert werden müssen, so die Behörde.

„Die Warnung der FDA muss trotz der eher geringen Zahl der Verdachtsfälle zum Anlass genommen werden herauszufinden, wie hoch das Ketoazidose-Risiko unter SGLT2-Hemmern tatsächlich ist und welche Mechanismen dem zugrunde liegen könnten“, sagte Klein.

Tatsächlich mehren sich die Hinweise, dass SGLT2-Hemmer nicht nur an den Nieren wirken. Erst kürzlich wurde berichtet, dass Dapagliflozin die Glukagon-Ausschüttung in den Alphazellen der Bauchspeicheldrüse – die ebenfalls SGLT2-Rezeptoren haben – verstärkt [2].

„Glukagon fördert insbesondere bei niedrigen Insulinspiegeln die Lipolyse und damit die Entstehung von Ketonkörpern, erklärt Klein. „Es ist natürlich rein spekulativ, ob dies ein Mechanismus sein könnte, der zu den beobachteten Ketoazidosen beigetragen hat, es ist aber zweifellos wichtig zu untersuchen, welche Effekte die SGLT2-Hemmer über die Inhibition des Glukoserücktransports in der Niere hinaus noch haben.“

 

REFERENZEN

1. Mitteilung der EMA vom 15. Juni 2015

2. Sicherheitshinweis der FDA

3. Bonner C, et al: Nature Medicine2015; 21: 512–517

 

Kommentar

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