
Katja Beck-Doßler
Soll man einen Kollegen melden, der mit Fahne zum Dienst kommt? Laut einer aktuellen Medscape Umfrage meinen 38 Prozent der Ärzte in Deutschland: Nein. Suchtexperten empfehlen aber genau das – auch im Interesse des betroffenen Kollegen. Medscape Deutschland sprach mit Katja Beck-Doßler, Psychologin und Suchtberaterin an der Universität und am Universitätsklinikum Würzburg, über die richtige Gesprächsführung, die Folgen zu langen Wartens und die besondere Verantwortung von Oberärzten.
Medscape Deutschland: Was kann ich tun, wenn ein Kollege immer wieder alkoholisiert zum Dienst kommt?
Beck-Doßler: Die angemessene Verhaltensweise ist bei allen Suchtmitteln ähnlich, egal ob Alkohol oder Medikamente. Grundsätzlich sollte ich eigene Beobachtungen immer ernst nehmen und so schnell wie möglich reagieren. Also nicht abwarten, bis ich einen Beweis habe, sondern schon nachfragen, wenn jemand fahrig oder unkonzentriert ist. Oft sind die Symptome einer Sucht gerade am Anfang sehr unspezifisch. Wenn man wartet, bis man sicher weiß, dass jemand hat ein Alkoholproblem, ist es oft zu spät. Die Betroffenen sind darauf angewiesen, eine frühe Rückmeldung zu bekommen.
Medscape Deutschland: Man tut dem Kollegen einen Gefallen, wenn man es anspricht?
Beck-Doßler: Unbedingt. Wobei Sie trotzdem damit rechnen müssen, dass es die Beziehung in den allermeisten Fällen dramatisch belastet. Das ist ja auch der Grund, warum viele so lange warten. Aber man sollte sich immer bewusst sein, dass man demjenigen mit einer Reaktion nicht schadet. Es gibt Untersuchungen, dass es durchschnittlich 10 bis 15 Jahre dauert, bis Betriebe auf eine Suchterkrankung reagieren. In diesen Jahren verfestigt und verschlimmert sich die Sucht.
Medscape Deutschland: Hinter der Zurückhaltung gerade bei Ärzten steht auch oft die Angst, dass der Kollege seine Approbation verliert.
Beck-Doßler: Das spielt eine große Rolle. Aber es muss eben nicht gleich die Approbation entzogen werden. Kliniken mit einem guten Konzept stellen zunächst die Hilfe für den Mitarbeiter in den Vordergrund. Das erleichtert es allen, aktiv zu werden. Erst wenn Hilfemaßnahmen keine Verbesserungen bringen, sollten Sanktionen in Frage kommen.
Medscape Deutschland: Was sind in Deutschland die häufigsten Suchtprobleme bei Ärzten?
Beck-Doßler: Wirklich verlässliche Daten gibt es dazu nicht, weil es immer noch ein großes Tabuthema ist. Ich gehe aber davon aus, dass Alkohol die größte Problematik darstellt. Bei Ärzten und Pflegekräften kommt die Verfügbarkeit von Medikamenten hinzu. Wir wissen aus Ländervergleichen, dass die Verfügbarkeit der wichtigste Prädiktor für Probleme mit einem Suchtmittel ist. Daher muss man davon ausgehen, dass Medikamente im Krankenhaus eine große Rolle spielen.
Medscape Deutschland: Geht es auch darum, den großen Stress als Arzt auszuhalten?
Beck-Doßler: Sowohl berufliche wie private Gründe können eine Rolle spielen. Die Belastung von Ärzten ist sehr hoch. Daher muss man annehmen, dass es eine Rolle spielt. Man nimmt zum Beispiel Medikamente, um zu funktionieren. Oder trinkt Alkohol, weil man Schwierigkeiten hat, sich zu entspannen.
Medscape Deutschland: Angenommen, ich fasse mir als Kollege ein Herz und möchte etwas unternehmen. Wie gehe ich am besten vor?
Beck-Doßler: Ich rate dazu, denjenigen möglichst zunächst selbst anzusprechen. Dabei helfen die Grundregeln der allgemeinen Gesprächsführung, zum Beispiel Ich-Botschaften: Ich mache mir Sorgen, mir ist aufgefallen, ich habe gehört. Und wir haben doch ein gutes Verhältnis, du bist mir wichtig, deshalb sage ich es dir jetzt.
Medscape Deutschland: Was, wenn der Betroffene ablehnend reagiert?
Beck-Doßler: Dann sollte man auch Konsequenzen ansprechen. Vor allem, wenn es um die Patientensicherheit geht. Man kann sagen, wenn mir nochmal etwas auffällt, fühle ich mich verpflichtet, Vorgesetzte zu informieren, weil ich da auch eine Verantwortung spüre.
Medscape Deutschland: Bin ich bei fachlichen Fehlern des Kollegen verpflichtet, zu reagieren?
Beck-Doßler: Kollegen sind berechtigt, die Schweigepflicht zu brechen. Rechtlich verpflichtet zu reagieren sind nur die Vorgesetzten. Es gab durchaus Gerichtsverfahren, in denen Vorgesetze sich deshalb verantworten mussten.
Medscape Deutschland: Dann müsste das Thema bei Oberärzten eine hohe Priorität haben.
Beck-Doßler: Wir müssen als Suchtberater immer wieder dafür werben. Es ist ja auch kein Thema, mit dem man sich schmücken kann, und keine Klinik möchte mit Suchtproblemen in der Presse stehen. Aber Offenheit ist die beste Voraussetzung dafür, dass es eben nicht zu Fehlern in der Patientenversorgung kommt – weil Kollegen und Vorgesetzte rechtzeitig reagieren.
Diesen Artikel so zitieren: „Man tut dem Kollegen letztlich einen Gefallen“: Warum es besser, ist, Suchtprobleme in der Klinik früh anzusprechen - Medscape - 26. Mai 2015.
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