
Dr. Günther Jonitz
Patienten untersuchen, Erkrankungen diagnostizieren, beraten – das können nicht-ärztliche Praxisassistenten (Medizin- oder Arztassistenten, Physician Associates, Physician Assistants, PAs) so gut wie Allgemeinmediziner. Das gilt zumindest für hausärztliche Gemeinschaftspraxen und Patienten mit leichteren akuten Beschwerden, legt eine soeben im British Journal of General Practice publizierte Studie nahe [1].
Daten und Meinungen von 2.086 Patienten gingen in die Untersuchung von Prof. Dr. Vari M. Drennan und ihrem Team ein. Drennan, Professorin für Health Care and Policy Research der Kingston University London und St. George’s, University of London, kommt zu dem Schluss: „Der Einsatz von Physician Associates, die – im Rahmen ihrer Fähigkeiten – Patienten behandeln, könnte Allgemeinmedizinern Zeit schenken, um sich auf die komplexeren Fälle zu konzentrieren.“

Prof. Dr. Achim Jockwig
„Eine außerordentlich wichtige Studie, die in ihren Kernaussagen auch für Deutschland relevante Hinweise liefert“, sagt der Präsident der Ärztekammer Berlin, Dr. Günther Jonitz, Vorstandsmitglied beim Marburger Bund, Landesverband Berlin/Brandenburg. „Wir sehen gerade einen Paradigmenwechsel weg vom Arzt, der alles alleine macht, hin zu Teams unter ärztlicher Führung“, ergänzt er. Der verstärkte Einsatz von PAs, aber auch medizinischen Fachangestellten innerhalb von Teams könne eine „Riesenchance“ für das Gesundheitssystem sein.
Die britische Studie ist nur begrenzt auf Deutschland übertragbar, weil die Studiengänge und Versorgungsstrukturen der beiden Länder sich erheblich unterscheiden, merkt dagegen Prof. Dr. Achim Jockwig, Dekan des Fachbereichs Gesundheit & Soziales der Hochschule Fresenius, an. Dort werden seit September 2014 Studierende binnen 8 Semestern zu Physician Assistants ausgebildet. Dennoch lasse sich aus Drennans Analyse Wichtiges auch für Deutschland ableiten: „Die zielsetzende Aussage, dass PAs die Patientenversorgung verbessern können, wird in den Studienergebnissen eindeutig dargestellt.“
Fast 90 Prozent würden wieder den Arztassistenten wählen
In die britische Studie gingen Daten aus 12 hausärztlichen Gemeinschaftspraxen und aus 4 Wochen in den Jahren 2011 und 2012 ein. Jede der Praxen betreute in diesem Zeitraum zwischen 4.300 und 15.000 Patienten (Median: 9.637) und beschäftigte 2 bis 9 Allgemeinmediziner (Median: 4,9). 6 dieser Praxen setzten je 1 bis 2 PAs ein.
In 5 der Praxen hatte der leitende Arzt Kriterien festgelegt, anhand derer die Sprechstundenhilfen festlegen sollten, wer den Patienten untersucht – ein PA oder Arzt. Chronisch Kranke und Ältere wurden eher den Ärzten zugeteilt, die PAs kümmerten sich häufiger um Patienten mit nur leichten Beschwerden.
In die Studie gingen so Daten von 1.154 Patienten ein, die von Allgemeinärzten betreut wurden, und von 932 Patienten, um die sich PAs kümmerten. Primär fragten Drennan und ihr Team danach, wie viele der Patienten jeweils binnen 14 Tagen erneut in die Praxis gekommen waren – sei es wegen derselben Erkrankung, sei es wegen deren Folgen. 514 (24,6%) der Patienten nahmen binnen 2 Wochen einen Folgetermin wahr – die Rate unterschied sich nicht signifikant zwischen den Patienten, die zunächst vom PA betreut worden waren, und denen, die ein Arzt untersucht und behandelt hatte.
Sekundäre Endpunkte der Studie waren die Anzahl von Diagnosetests, Überweisungen an Fachärzte oder Kliniken sowie Verschreibungen. Außerdem ermittelten die Studienautoren die Behandlungsdauer pro Patient, die Patientenzufriedenheit und die Qualität der Patientenakten.
Diagnosetests, Überweisungen und Verschreibungen – bei den Pas meist in Absprache mit dem Arzt – gab es in beiden Gruppen zu gleichen Anteilen. Allerdings erteilten die PAs signifikant mehr allgemeine Verhaltensratschläge und vermittelten deutlich mehr Informationen zur Medikamenteneinnahme. Eine Ursache dafür zeigt die Studie auf: Die PAs hatten mehr Zeit pro Patient. In 5 Praxen wurde pro PA-Termin von vornherein ein längerer Termin veranschlagt oder aber es gab Extra-Minuten, die für Absprachen zwischen PA und Arzt reserviert waren. Die durchschnittliche Dauer pro Konsultation betrug, um Störfaktoren bereinigt, schlussendlich 17 Minuten beim PA und 11 Minuten beim Arzt.
Das erklärt laut Drennan teilweise, weshalb die Qualität der Patientenakten bei den PAs als signifikant besser bewertet wurde als bei den Ärzten. Die Reviewer erhielten – verblindet – 475 Akten von Patienten, die sich binnen 14 Tagen 2-mal in der Praxis vorgestellt hatten. Die Reviewer selbst waren Allgemeinärzte und wussten nicht, welche Akte von einem Kollegen, welche von einem PA stammte. So erhielten 182 (81,6%) der 223 Akten von PAs die Bewertung „insgesamt angemessen“, jedoch nur 128 von 252 (50,8%) der Akten von Allgemeinärzten.
Die Patientenzufriedenheit war dagegen mit beiden Berufsgruppen gleich hoch: 75,9% der von PAs Untersuchten sagten, sie seien sehr zufrieden, 18,5% waren zufrieden. Kein Einziger äußerte sich unzufrieden. Mit der Leistung der Allgemeinärzte zeigten sich 76,5% der Patienten sehr zufrieden, 19,4% zufrieden, 0,9% (3 Patienten) bezeichneten sich als unzufrieden. „Die meisten, die einen PA konsultiert hatten, antworteten, dass sie gerne wieder einen PA konsultieren würden (87,3%, 192/220), während 4,1% (9/220) definitiv einen Hausarzt favorisierten“, berichtet Drennan abschließend.
Wie es klappen kann: Delegation und ärztliche Führungsqualitäten
In Großbritannien können PAs keine Medikamente verschreiben, sie bereiten die Rezepte allerdings vor, die Ärzte stellen sie dann aus. In den USA, wo Menschen mit den entsprechenden Qualifikationen und Aufgaben Physician Assistants heißen und der Beruf seit 50 Jahren existiert, dürfen die PAs verschreiben. Drennan und ihr Team fordern nun für ihr Land: „Streitpunkte wie die Berechtigung, Rezepte auszustellen, müssen auf den Prüfstand, falls das Potenzial der Einsatzmöglichkeiten von PAs in der Grundversorgung voll ausgeschöpft werden soll.“

Daniela Hog
Jonitz geht nicht davon aus, dass PAs hierzulande Rezepte oder Krankenscheine ausstellen werden. „In Deutschland gilt mit gutem Recht der Anspruch auf Facharztstandard. Davon dürfen wir im Sinne der Patientensicherheit auch nicht abrücken. Und wenn plötzlich für bestimmte Personengruppen nur noch Arztassistenten statt Ärzte erreichbar wären, wäre das hochproblematisch“, merkt er an. Sparmöglichkeiten durch die geringeren Verdienste der PAs dürften nicht den Ausschlag geben, ergänzt Jonitz, in der Medizin müsse die Qualität und nicht der Preis die wichtigste Rolle spielen.
Deutschland hat, wie Großbritannien, erst seit einem Jahrzehnt Studienprogramme, die Menschen mit Hochschulreife und/oder Erfahrung in einem Pflegeberuf für den Beruf PA qualifizieren. Darum steht dieser noch auf dem Prüfstand. Gegenüber Medscape Deutschland betont Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Wir suchen die Zusammenarbeit mit den nichtärztlichen Professionen. Eine sinnvolle Delegation nutzt allen Beteiligten, es kann aber keinesfalls um die Substitution ärztlicher Leistungen gehen. Es darf keinen Arzt light geben. Zudem kann man die Verhältnisse des englischen Gesundheitssystems nicht einfach auf Deutschland übertragen.“
PAs sollen Ärzte keinesfalls ersetzen, sondern vielmehr die Reichweite derselben erhöhen, verdeutlicht Jockwig. „Der PA stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Sicherstellung der Versorgung und Fachkräftesicherung dar und könnte sich als attraktive Berufsperspektive für medizininteressierte junge Menschen entwickeln“, merkt er an. Laut Daniela Hog, Referentin der Hochschule Fresenius, sehen sich PAs keinesfalls als Allzweckwaffe gegen den Ärztemangel – es seien vielmehr motivierte Akademiker, die an der Nahtstelle zwischen Pflege und Medizin wirken wollen. Aktuell, informiert sie, gibt es bundesweit etwa 300 fertig ausgebildete oder noch studierende PAs.
In hausärztlichen Gemeinschaftspraxen könnten sich PAs und andere besonders qualifizierte Mitarbeiter, die den Arzt entlasten, durchaus ähnlich wie im Rahmen der britischen Studie bewähren, merkt Jonitz an. Dabei gelte es zu bedenken: „Die Aufgabe des Arztes ändert sich natürlich, er muss delegieren und Führungsqualitäten beweisen.“ Alle Teammitglieder sollten ihre Grenzen kennen, die Verantwortung für Diagnosen und Therapieentscheidungen müsse weiterhin beim Arzt liegen. „Doch wo das gelingt, können wir eine Entlastung der Ärzte bei sehr guter Versorgungsqualität der Patienten erreichen“, erwartet Jonitz. Genau dazu liefere die neue Studie aus Großbritannien erstmals belastbare Daten.
REFERENZEN:
1. Drennan VM, et al: BrJ Gen Pract (online) 1. Mai 2015
Diesen Artikel so zitieren: Kein „Arzt light“, dafür effizient und beliebt: Britische Studie zu Physician Associates in Hausarztpraxen - Medscape - 19. Mai 2015.
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