
Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner
Bei zwei Drittel der Patienten mit Rheumatoider Arthritis konnte in einer Studie die Dosis der Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-Inhibitoren Adalimumab oder Etanercept erfolgreich reduziert oder diese konnten sogar ganz abgesetzt werden [1]. Nach der Dosisreduktion waren schwere Entzündungsschübe nicht häufiger als bei den Patienten, die auf der Standarddosis blieben.
„Es handelt sich um eine herausragende Studie, die einen großen Einfluss haben wird“, kommentiert Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, diese Ergebnisse im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Biologika sind bei rheumatoider Arthritis (RA) sehr effektiv, aber auch teuer und können immunsuppressive und andere Nebenwirkungen verursachen. Ob bei Patienten mit niedriger Krankheitsaktivität tatsächlich die volle Dosis der TNF-Inhibitoren notwendig ist, hat diese im British Medical Journal erschienene Studie nun erstmals getestet.
„Dem Problem der Dosisreduktion von Biologika begegnen wir Ärzte ständig in der täglichen Praxis. Dies nun mit wissenschaftlichen Daten zu untermauern, war wirklich notwendig“, so Müller-Ladner, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) ist.
Dosisreduktion bis zum akuten Schub oder Abbruch der Behandlung
In die randomisierte kontrollierte Studie eingeschlossen waren 180 RA-Patienten mit niedriger Krankheitsaktivität unter Monotherapie mit Adalimumab (Humira®) oder Etanercept (Enbrel®), die zwischen Dezember 2011 und Mai 2014 an 2 ambulanten Rheuma-Kliniken in den Niederlanden behandelt worden waren.
Das Forscherteam um Dr. Noortje van Herwaarden von der Abteilung Rheumatologie der Sint Maartenskliniek, Nijmegen, verglich eine von der Krankheitsaktivität abhängige Dosisreduktion der TNF-Inhibitoren Adalimumab und Etanercept mit der Standard-Behandlung ohne Dosisreduktion.
Den 121 Patienten der Dosisreduktionsgruppe wurde geraten, alle 3 Monate schrittweise das Injektionsintervall zu erhöhen, bis zum Wiederauftreten akuter Schübe oder dem Abbruch der Behandlung. 59 Patienten erhielten eine Standard-Behandlung ohne Dosisreduktion.
Die Krankheitsaktivität wurde anhand des Disease Activity Score 28 (DAS28)-CRP gemessen, einem validierten System zur quantitativen Bewertung der Krankheitsaktivität, bei dem zusätzlich die Konzentration des C-reaktiven Proteins (CRP) berücksichtigt wird. DAS28-CRP-Werte liegen in einen Wertebereich von 0 bis 10; je höher der Wert desto größer die Krankheitsaktivität.
Es wurde pro Patient nur je ein Versuch einer Dosisreduktion unternommen. Beim Wiederauftreten akuter Symptome wurde die Behandlung mit den TNF-Hemmern wieder begonnen oder die Dosis erhöht; die Dosis wurde nicht ein zweites Mal reduziert.
Dosisreduktion oder Absetzen der TNF-Hemmer bei zwei Drittel der Patienten erfolgreich
Nach 18 Monaten ermittelten die Autoren den Anteil der Patienten mit schweren Rheuma-Schüben, bei denen der DAS28-CRP länger als 3 Monate erhöht war. Die Nicht-Unterlegenheits-Marge betrug 20%.
Das Ergebnis: Die Dosisreduktion schnitt nicht schlechter ab als die Weiterbehandlung mit Standarddosis. Ähnlich viele Patienten in beiden Gruppen litten nach 18 Monaten unter schweren Schüben: 12% bei Dosisreduktion und 10% in der Kontrollgruppe – der Unterschied war nicht signifikant. In der Dosisreduktionsgruppe konnten die Forscher die anti-TNF-Therapie bei 20% erfolgreich absetzen und bei 43% das Injektionsintervall erhöhen. Bei 37% der Patienten war keine Dosisreduktion möglich.
Unterschiede zwischen den Gruppen gab es jedoch bei den vorübergehenden Schüben (27% vs 73%) und der minimalen radiologischen Progression (15% vs 32%) – jeweils zugunsten der Standarddosierung. Bei körperlicher Funktionsfähigkeit, der Lebensqualität, der praxisrelevanten radiologischen Progression und unerwünschten Ereignissen ergaben sich keine Unterschiede.
Paradoxe Situation: Biologika nur in Standarddosierung zugelassen
TNF–Blocker wie Adalimumab und Etanercept greifen in die Entzündungsreaktion des Körpers ein und unterbinden dadurch die Zerstörung der Gelenkstrukturen. „Adalimumab und Etanercept sind mit Abstand die am häufigsten verordneten und umsatzstärksten TNF-Hemmer“, berichtet Müller-Ladner: „Prinzipiell sind alle Biologika auf eine Dauertherapie zugelassen – ohne Kumulativdosis, ohne Höchstdosis und ohne Laufzeitdosis. Einige Patienten sind seit Beginn der Zulassung vor über 10 Jahren auf dem Medikament.“
In der Regel würden die Biologika weiter gegeben, solange die Krankheit akut ist, und die Basistherapie allein nicht ausreichend wirksam ist, so Müller-Ladner. Sobald der Patient in Remission gelangt, sei es möglich, die Biologika wegzulassen.
„Diese Situation haben die niederländischen Forscher in der Studie getestet. Man reduziert die Dosis oder verlängert das Intervall und schaut, ob Schübe kommen oder die Aktivitätsparameter zunehmen“, erklärt der Rheumatologe. Er weist aber auch darauf hin: „In Deutschland sind die Medikamente nur in Standarddosierung zugelassen. Wenn der Arzt das Intervall verlängert oder die Dosis reduziert, befindet er sich im Off-label Bereich.“
Die Dosisreduktion sei jedoch in der Praxis Gang und Gäbe. Ein deutscher Kassenarzt könne aber prinzipiell in Regress genommen werden, wenn er weniger Medikament und damit außerhalb des Labels verordne. „Das ist eine völlig paradoxe Situation, auch von Gesetzesseite her. Deswegen ist diese Studie so wichtig“, erklärt Müller-Ladner.
Patienten bevorzugen es, die Tabletten wegzulassen und das Biologikum zu spritzen
Etwa 30% aller Patienten erhielten eine Monotherapie mit Biologika. „Die meisten Patienten bevorzugen es, die Tabletten wegzulassen und das Biologikum zu spritzen, das zeigen unsere Erfahrungen im Rahmen der Patient-Physician Partnership“, sagt Müller-Ladner. Die „Patient-Physician Partnership“ wird vor allem bei chronischen Krankheiten eingesetzt. Arzt und Patient arbeiten beim Management der Krankheit eng zusammen. Der Patient bestimmt mit, welche kurzfristigen oder langfristigen Ziele erreicht werden sollen.
Medikationen auf den Patienten maßschneidern
Da es sich bei den Biologika um Proteine handelt, ist die direkte Organtoxizität laut Müller-Ladner deutlich geringer als bei Tablettentherapien. Jedoch kann es Infektionen, Allergien oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geben, wie bei anderen medikamentösen Rheumatherapien auch. „Das ist die Kunst des internistischen Rheumatologen, die Medikationen maßzuschneidern auf den Patienten bei möglichst viel Wirkung und möglichst wenig Nebenwirkung“, so Müller-Ladner.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Biologika bei Rheumatoider Arthritis: Dosisreduktion ist oft möglich, bestätigt Studie - Medscape - 12. Mai 2015.
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