Mannheim – Bei Darmbeschwerden, die ohne offensichtliche Ursache länger als 3 Monate andauern und die Lebensqualität der Patienten stark einschränken, spricht man laut S3-Leitlinie der DGVS von einem Reizdarmsyndrom (RDS). Die Zahl der Menschen, die unter solchen funktionellen gastrointestinalen Beschwerden leidet, scheint in der Bevölkerung zuzunehmen, hieß es beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim [1].
Ein relativ neuer Therapieansatz ist eine Low-FODMAP-Diät. Die Ernährungsumstellung helfe, die oft sehr belastenden Symptome zu lindern, bedeute allerdings auch den Verzicht auf viele Lebensmittel, so das Fazit von Experten auf dem Kongress. „Unseren Erfahrungen nach hilft die FODMAP-arme Diät bei etwa 70 Prozent der RDS-Patienten“, sagt Prof. Dr. Johannes Ockenga vom Klinikum Bremen Mitte. Sie sei jedoch im Alltag nur schwer umsetzbar und daher vor allem für Menschen mit hohem Leidensdruck geeignet.
Rund 800.000 Reizdarm-Patienten in Deutschland
Ein Viertel aller Deutschen klagt regelmäßig über Darmbeschwerden wie Verstopfung, Durchfall oder Blähungen. Bei 800.000 lautet die Diagnose Reizdarmsyndrom. Die überwiegende Anzahl der Patienten sind Frauen.
Bei 20 bis 30% der RDS-Patienten finde sich schließlich eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, so Ockenga. Auch die Zahl derjenigen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten habe zugenommen, sagte der Gastroenterologe und Ernährungsmediziner. Mögliche Gründe: Die Menschen verzehren insgesamt mehr Kohlenhydrate und essen öfters auswärts, so dass sie die Nahrung weniger kontrollieren können. Inzwischen werde 35% der Nahrung nicht mehr zuhause verzehrt und rund 50% der täglichen Energie stamme aus Snacks.
„Außerdem werden mehr Salz, mehr Pasta, gesüßte Getränke und insgesamt mehr Zucker verzehrt“, kritisierte Ockenga. Die Folge: Immer mehr Menschen können die großen Mengen an Glukose und Fruktose, die sie verzehren, nicht absorbieren. Generell werden Kohlenhydrate im Dünndarm schlecht resorbiert und erzeugen Flüssigkeitsbildung, was wiederum zu Beschwerden und Durchfall führen kann.
Low-FODMAP: 70 Prozent haben weniger Beschwerden
FODMAP, seit 2005 bekannt, sind allgemein schwer absorbierbare Kohlenhydrate. Die Abkürzung steht für Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole und beschreibt eine Gruppe von Kohlenhydraten und mehrwertigen Alkoholen. Es handelt sich dabei um von Darmbakterien vergärbare Mehrfachzucker, Doppelzucker, etwa Laktose, Einfachzucker, etwa Fruktose, und Zuckeralkohole, also Süßstoffe. FODMAPs wirken osmotisch und vergären, das heißt, sie produzieren Gas im Darmlumen. Dies kann (kombiniert) Symptome auslösen bzw. verstärken.
Studien, vor allem in Australien, zeigen, dass eine FODMAP-arme Diät Symptome funktioneller Darmerkrankungen bessern kann. Dr. Emma Halmos von der Monash University in Melbourne hat die FODMAP-Diät in einigen Studien geprüft. In einer von ihr geleiteten kleinen kontrollierten Cross-over-Studie mit 30 Patienten mit RDS konnte die Häufigkeit der gastrointestinalen Symptome unter einer Low-FODMAP-Diät innerhalb von 3 Wochen in etwa halbiert werden im Vergleich zur „normalen“ australischen Ernährung.
„Das ist schlüssig und nachvollziehbar“, kommentierte Ockenga die Ergebnisse der Studie. Untersuchungen zufolge könnten 70% der Patienten mit RDS ihre Beschwerden – Flatulenz, Blähungen und Diarrhöe – durch eine solche Umstellung der Ernährung reduzieren, sagte er.
Bei einer Low-FODMAP-Ernährung sollten die Patienten in den ersten 4 bis 6 Wochen auf FODMAP möglichst ganz verzichten. Das bedeutet: Verzicht auf Lebensmittel mit viel Fruktose etwa Äpfel, Birnen oder Trockenobst sowie auf Eiskrem, Kondensmilch oder Schmelzkäse, die einen hohen Laktosegehalt haben.
„Das ist im Alltag schwierig, wenn man den Speiseplan trotzdem attraktiv und abwechslungsreich gestalten will“, räumte Ockenga ein. Die Compliance der Patienten lasse dementsprechend oft zu wünschen üpig. Er empfiehlt daher nach der Startphase einzelne Lebensmittel wieder allmählich hinzuzunehmen und diese 3 bis 4 Tage lang auf ihre Verträglichkeit zu testen.
„Ziel ist es, mit möglichst wenigen Einschränkungen möglichst wenige Beschwerden hervorzurufen und so die bestmögliche Lebensqualität zu erzielen“, erklärte er. Allerdings sind auch die Langzeiteffekte einer solchen Ernährung noch weitgehend unklar. „Wichtig ist es, den Patienten mitzunehmen – denn auf seiner subjektiven Wahrnehmung baut die Therapie auf.“ Dieses individuelle Empfinden der Patienten, auf das die Ärzte bei der Diagnose und Therapie des RDS angewiesen seien, mache die Erkrankung so schwierig steuerbar.
Wenn Brot Probleme macht
Eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, die ebenfalls zu einer Reizdarm-Symptomatik führen kann, aber noch wenig erforscht ist, ist die Weizensensitivität. „Manche denken, diese Krankheit sei ein Hype, eine Modeerscheinung – ich bin aber davon überzeugt, dass es sie wirklich gibt“, sagte Prof. Dr. Andreas Stallmach vom Universitätsklinikum Jena auf dem Kongress.
Abzugrenzen sei die Erkrankung, die durch weizenhaltige Nahrungsmittel ausgelöst wird, von der Zöliakie sowie der Weizenallergie. Daher wird sie auch als Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität bezeichnet.
Eine mögliche Ursache dafür, warum in den letzten Jahren immer mehr Menschen Brot, Nudeln oder Kuchen nicht mehr vertragen, könnte die Züchtung neuer resistenterer Weizensorten sein. Diese, erklärt Stallmach, enthalten mehr Amylase-Tryptin-Inhibitoren (ATI), die beim Menschen die Immunabwehr aktivieren und Symptome im gastrointestinalen Trakt verursachen können. „In Ur-Weizen-Sorten sind ATI in wesentlich niedrigeren Konzentrationen enthalten.“
Bei der Diagnose der Unverträglichkeit müsse zunächst eine Zöliakie ausgeschlossen werden, betont Stallmach. Und zwar mit „mindestens sechs Biopsien aus verschiedenen Darmabschnitten, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können“, empfiehlt er.
Frauen leiden häufiger an der Unverträglichkeit als Männer, etwa im Verhältnis von 5 oder 6 zu 1, wie eine prospektive Multicenter-Erhebung in Italien gezeigt hat. Die 486 Patienten, bei denen Weizensensitivität vermutet wurde, berichteten über ihre Symptomatik vor und nach dem Verzehr von Weizen in einem Fragebogen.
Die Patienten mit Verdacht auf Weizensensitivität klagten wenige Stunden bis einen Tag nach dem Verzehr weizenhaltiger Lebensmittel z.B. über Bauchschmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Übelkeit sowie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Angstgefühle und Depression. Bei 3,2% der Teilnehmer wurde schließlich eine Weizensensitivität; bei 2,8% eine Zöliakie neu diagnostiziert.
Stallmach: „In mehr als 50 Prozent der Fälle vermutet der Patient die Erkrankung als erster. Je unprofessioneller die Diagnose, desto wahrscheinlicher ist, dass Zöliakie noch nicht ausgeschlossen wurde.“ Voraussetzung für eine sichere Diagnose einer Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität sei vor allem die Besserung der Symptome nach Verzicht auf Weizen. „Nur einer von vier Patienten, die eine Weizensensitivität vermuten, hat die Erkrankung tatsächlich“, bemerkte Stallmach.
Mythen zum Reizdarmsyndrom – und was (vielleicht) noch hilft Mit einigen klassischen Mythen zum Reizdarmsyndrom (RDS) räumte Dr. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg, Mitautorin der S-3-Leitlinie, beim Internistenkongress auf. Das erste Mythos betrifft bereits die Diagnose: Bei „Reizdarm“-Patienten haben rund 90% tatsächlich ein RDS oder eine harmlose Ursache der Beschwerden wie eine Laktoseintoleranz. Jedoch bei rund 10% liegt trotz fehlender „Alarmsymptome“ eine schwere oder sogar lebensbedrohliche Erkrankung zugrunde. Wichtige Differentialdiagnosen sind dabei laut Andresen gastrointestinale und gynäkologische Tumore, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Sprue/Zöliakie. Abzuklären seien zudem unter anderem: Laktose- bzw. Fruktose-Malabsorption, bakterielle Fehlbesiedlungen, Gallensäurenmalabsorption, Divertikelkrankheit, intestinale Ischämie und Motilitätsstörungen. Steht die Diagnose RDS sollte allerdings keine Wiederholungsdiagnostik mehr erfolgen. Studien belegen, dass dies zu 97% zu keiner Änderung der Diagnose mehr führt. Ein weiterer Mythos betrifft die Pathophysiologie. Es handele sich beim RDS eben nicht um ein typisches problem der westlichen Zivilisation – es ist sogar in vielen Ländern mit schlechteren hygienischen Standards häufiger als bei uns, erklärte Andresen. Der Grund sei, dass sich das RDS oft auf Basis eines gastrointestinalen Infektes als „post-infektiöses Reizdarmsyndrom“ entwickle. Nach einer Salmonelleninfektion ist etwa das Risiko für ein RDS um das 8-Fache erhöht. Nach der EHEC-Epidemie vor einigen Jahren sei bei rund 25% der Infizierten ein Reizdarmsyndrom zurückgeblieben, berichtete die Expertin. Die derzeitige pathophysiologische Vorstellung ist, dass es durch Infektionen, Antibiotika oder Nahrungsmittel zu einer Immunaktivierung kommt, die die neuronale Regulation des Darms beeinträchtigt und die gastrointestinale Barrierefunktion, das Mikrobiom sowie die Darm-Motilität und -Sekretion verändert. Gleichzeitig komme es auch zu einer veränderten zerebralen Verarbeitung der abdominellen Reize, die Wahrnehmung der Darmsymptome im Gehirn ändere sich. Die Therapie sei immer individuell: „Was hilft ist richtig.“ Entsprechend der Komplexität des Krankheitsbildes gehe es vor allem darum, die Leitsymptome zu lindern. Dies kann mit Phyto- bzw. Probiotika in Einzelfällen gelingen. Vor Ballaststoffen warnte sie, da sie oft zu mehr Blähungen und Schmerzen führen. Spasmolytika bringen für rund ein Drittel der Patienten Linderung, topische Antibiotika nur bei rund 10%. 5-HT3-Agonisten hemmen nach Studiendaten bei Diarrhoe-Reizdarm Motilität, Sekretion und Schmerzübertragung – ihr Einsatz erfolgt aber „off-Label“. Beim Obstipations-Reizdarm gebe es eine positive Studie mit dem Guanylatzyklase-Aktivator Linaclotid, der in Deutschland nicht vertrieben wird. Der 5-HT4-Agonist Prucaloprid wirkt prokinetisch und sei bei einer Untergruppe von Patienten gut wirksam, so die Expertin. |
REFERENZEN:
1. 121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 18. bis 21. April 2015, Mannheim
Diesen Artikel so zitieren: Low-FODMAP-Diät – eine Option bei stark belastender Reizdarm-Symptomatik - Medscape - 7. Mai 2015.
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