Mannheim – Wenn bei der chronischen Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF, diastolische Herzinsuffizienz) gefordert wird, zunächst alle Komorbiditäten effektiv zu behandeln, so ist das nicht unbedingt ein Zeichen von Hilflosigkeit angesichts der fehlenden medikamentösen Therapien gegen die HFpEF als solche – es kann ebenso gut als ein fortschrittlicher Ansatz gedeutet werden.
Denn: Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass HFpEF nicht eine einheitliche Erkrankung ist, sondern ein Sammelsurium unterschiedlichster pathophysiologischer Störungen, die nur eines gemeinsam haben: Sie bewirken eine Herzinsuffizienz, reichen aber nicht aus, um auch noch die Pumpfunktion des Herzens außer Kraft zu setzen.
Zuerst Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, COPD und Eisenmangel behandeln!
Prof. Dr. Christiane E. Angermann, Oberärztin am Universitätsklinikum Würzbug, Leiterin der Kardiologie-Poliklinik und der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz, verwies beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim auf vielfältige bidirektionale Interaktionen zwischen HFpEF und nicht-kardialen Komorbiditäten wie Adipositas, Diabetes, chronischen Lungenerkrankungen einschließlich COPD und Schlaf-Apnoe, Nierenfunktionsstörungen, Eisenmangel und Anämie [1]. Dass diese Zusammenhänge klinisch bedeutsam sind, belegen nach ihrer Ansicht Studien, in denen die Behandlung der Komorbiditäten jeweils auch zu einer Besserung der HFpEF beitrug.
Ein Beispiel: In einer kleinen Studie konnten 30 adipöse Personen ihre linksventrikuläre Masse, enddiastolische Füllung, diastolische Dysfunktion und Aortensteifigkeit signifikant verbessern, indem sie an Gewicht verloren – ob nun durch bariatrische Chirurgie oder ausschließlich durch Diät.
Ein anderes Beispiel: In der HYVET-Studie wurden bei hochbetagten Patienten ab 80 Jahren durch Blutdrucksenkung (Zielblutdruck < 150/80 mmHg) nicht nur die Zahl der Schlaganfälle und Todesfälle signifikant reduziert, sondern vor allem die Zahl der Herzinsuffizienz-assoziierten Ereignisse. Zwar wurde in dieser Studie die Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) versus reduzierter Pumpfunktion (HFrEF, systolische Herzinsuffizienz) nicht einzeln dokumentiert, aber: „HFpEF ist häufiger bei sehr alten Patienten und so können wir bei diesen über 80-jährigen Studienteilnehmern davon ausgehen, dass sie ganz überwiegend an HFpEF und eher selten an HFrEF litten“, so Angermann.
Die Expertin führte ein weiteres Beispiel an: „Statine sind bei HFpEF unabhängig von der Cholesterinsenkung auf molekularer Ebene wirksam; sie verringern die Größe und Wandspannung der Myozyten.“ Auch dies konnte in einer Studie nachgewiesen werden. Die Lipidtherapie mit Statinen kann also „nebenbei“ die HFpEF verbessern.
Als weitere Beispiele nannte Angermann Zusammenhänge zwischen HFpEF, funktionellem Eisenmangel und Niereninsuffizienz. Auch hier gelte: „Behandeln wir die eine Komorbidität, so beeinflussen wir die andere gleich mit.“
Sind ACE-Hemmer, Sartane & Co bei HFpEF besser als ihr Ruf?
PD Dr. Gerhard Pölzl,Innsbruck, Österreich, bestätigte, dass „der Erkrankung“ HFpEF verschiedene Pathophysiologien zugrunde liegen, die beim einzelnen Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein können. Diese Heterogenität der Krankheit sei einer von 3 Gründen, warum vermutlich die Modulation der neurohumoralen Systeme durch ACE-Hemmer, Sartane und Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten, aber auch Betablocker bei HFpEF nicht wirkten – Medikamente, mit denen die HFrEF seit Jahrzehnten erfolgreich behandelt wird.
Die anderen beiden Gründe könnten in den Studien selbst liegen: „Die klinischen Studien zu HFpEF haben uneinheitliche Einschlusskriterien und in einigen größeren Studien finden sich erhebliche methodische Fehler“, kritisierte Pölzl. „Dagegen sind in Untersuchungen an Kollektiven, die denen in unserer täglichen Praxis ähneln, durchaus Effekte der RAAS-Blockade und der Betablocker zu sehen. Möglicherweise wird die Wirkung der neurohumoralen Modulation bei HFpEF wegen solcher Mängel in den randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) bis heute unterschätzt.“
Prof. Dr. Carsten Tschöpe, Stellvertretender Direktor der Klinik für Kardiologie an der Charité Berlin, bestätigte im Gespräch mit Medscape Deutschland: „In einigen Studien waren die Einschlusskriterien für die Patienten zu unscharf.“ So wurden oftmals Patienten in die Studien aufgenommen, die zwar an Dyspnoe litten, deren Symptome aber wahrscheinlich auf nicht-kardialen Ursachen beruhten, erklärte er.
Die European Society of Cardiology (ESC) hat sich des Problems inzwischen angenommen: „Auf dem ESC-Kongress im August/September 2015 sollen neue, spezifischere Diagnosekriterien für HFpEF vorgestellt werden“, so Tschöpe.
Neue Therapieansätze bei HFpEF
Pölzl nannte als ein neues Medikament am Horizont für die HFpEF-Therapie beispielsweise den Herzfrequenzsenker Ivabradin: „Es erhöhte in einer kleinen Studie bei HFpEF-Patienten die maximale Sauerstoffaufnahme und die Belastbarkeit.“
Aber auch der Signalpfad um das zyklische Guanosinmonophosphat (cGMP) bietet mehrere therapeutische Ziele. So stimuliert der Wirkstoff Vericiguat die lösliche Guanylcyclase (sGC), Sildenafil beeinflusst bekanntlich die Phosphodiesterase-5 und der neue Wirkstoff Neprilysin hemmt den Abbau der natriuretischen Peptide wie BNP – alles ebenfalls Ansatzpunkte, bei denen es eine cGMP-Beteiligung gibt.
Die Kombination aus Neprilysin und einem Sartan – etwa mit Valsartan in der Kombination LCZ606 – wurde bereits als neues duales Wirkprinzip der Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Inhibition (ARNI) erfolgreich in klinischen Studien bei HFrEF untersucht, wie Medscape Deutschland berichtete. „Es gibt auch erste Hinweise für eine positive Wirkung von LCZ696 auf die natriuretischen Peptide bei HFpEF-Patienten“, so Pölzl. „Außerdem wurden bei HFpEF-Patienten in einer Studie positive kardiale Umbauprozesse beobachtet, etwa eine Umkehr der linksventrikulären Hyperplasie.“ Die noch laufende PARAGON-Studie soll hier in einigen Jahren Klarheit bringen.
Neben diesen und weiteren Medikamenten könne auch eine Druckentlastung durch einen interatrialen Shunt eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Patienten bringen – gewissermaßen ein künstlich angelegtes offenes Foramen ovale, so Pölzl. „Dieses Verfahren ist derzeit noch experimentell. Es ist aber in der Zukunft denkbar, dass einige Patienten mit schwerer, therapieresistenter HFpEF davon profitieren können“, schränkte Tschöpe auf Nachfrage von Medscape Deutschland ein.
Des Weiteren ist laut Pölzl die Stimulation der Barorezeptoren ein erfolgversprechender Therapieansatz. Nicht zu vergessen sei schließlich körperliche Aktivität als Lebensstilmaßnahme, die sich mit vielen anderen Behandlungsansätzen kombinieren lässt.
Maßgeschneiderte Strategien benötigt
„Es ist nicht zu erwarten, dass eine einzige Substanz oder Maßnahme allen Patienten hilft“, betonte der österreichische Experte. So könnten Patienten, bei denen eher die Belastungsdyspnoe im Vordergrund steht, von einer If-Kanal-Blockade mit Ivabradin profitieren. Wer eher unter der Volumenüberlastung leidet, benötigt wohl eher ein Diuretikum und/oder eine RAAS-Blockade oder künftig einen ARNI. Und wo die sekundäre pulmonale Hypertension das Hauptproblem ist, wirkt eine Intervention am cGMP mit Sildenafil womöglich am besten.
„Die HFpEF bleibt ein sehr heterogenes Krankheitsbild und wir benötigen individuell maßgeschneiderte Therapien je nach Pathophysiologie und Phänotyp des Patienten“, schloss Pölzl den Kreis.
REFERENZEN:
1. 81. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 8. bis 11. April 2015, Mannheim
Diesen Artikel so zitieren: Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion: Ein pathophysiologisches Sammelsurium, das verschiedene Therapien benötigt - Medscape - 24. Feb 2020.
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