Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung blockiert: Will die AOK in Bayern Zeit schinden?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

4. Mai 2015

Die AOK Bayern scheint zur großen Konfrontation entschlossen. Im Streit um den zweiten Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Bayern liegt die Kasse im Clinch mit dem Hausärzteverband Bayern und nun auch mit der Bayerischen Staatsregierung, beziehungsweise mit der Gesundheitsministerin, Melanie Huml (CSU).

In den verschiedenen Bundesländern schließen immer mehr Krankenkassen Vereinbarungen mit dem Deutschen Hausärzteverband ab, die auf seiner Homepage veröffentlichte Liste der Hausarztverträge wird laufend länger. Laut § 73b SGB V sind sie dazu verpflichtet. Nicht überall aber gehen die Verhandlungen einvernehmlich über die Bühne. Besonders die Verträge mit den großen Kassen werden oft zäh verhandelt, weil hier auch viel Geld fließt. Nach Angaben des Deutschen Hausärzteverbandes existieren derzeit bundesweit mehr als 600 Verträge zur HzV.

Seit Dezember 2014 liegt in Bayern der Schiedsspruch zur neuen HzV vor, vom Ministerium bestätigt. Aber die Krankenkasse will ihn aus formalen und finanziellen Gründen nicht anerkennen und klagt gegen den Vertrag vor dem Sozialgericht München. Huml schickte darauf eine sofort vollziehbare Anweisung, den Vertrag zu erfüllen. Bis zum 8. Mai muss die AOK sich dazu verhalten.

Verband gegen Kasse

 
Nach dem Schiedsspruch ist der Vertrag in Stein gemeißelt Thorsten Fricke
 

Der Hausärzteverband verlangt von der AOK, die Einschreibeunterlagen des verhandelten und durch das Schiedsamt bestätigten zweiten Vertrages unverzüglich freizugeben, wie der Schiedsvertrag es vorsieht. „Nach dem Schiedsspruch ist der Vertrag  in Stein gemeißelt“, sagt der Sprecher des Bayerischen Hausärzteverbandes, Thorsten Fricke, zu Medscape Deutschland. „Der Vertrag ist seit dem 15. März in Kraft und seit dem 1. April finanzwirksam. Die AOK hätte längst die Einschreibeunterlagen verschicken müssen. Aber sie weigert sich und missachtet damit Recht und Gesetz.“

„Im Prinzip sind wir ein Anhänger der HzV, vorausgesetzt, die Versorgung verbessert sich und auch chronisch Kranke werden durch die Lotsenfunktion des Hausarztes besser versorgt“, sagt dagegen Helga Leirich, Referentin der Pressestelle der Bayerischen AOK. Aber gegen die formalen Argumente des Verbandes setzt die  AOK finanzielle Argumente.

Das Problem der Krankenkasse: Zwar zog man im Vertrag eine Vergütungsobergrenze für die HzV ein, sie liegt bei 85 Euro pro Patient. Mit steigender Zahl der eingeschriebenen Patienten würde der Vertrag für die AOK allerdings erheblich ins Geld gehen. Die Kasse will deshalb die Gesamtausgabensumme deckeln.

Der Verdacht der Kostenexplosion liegt allerdings nahe. Im bisher gültigen ersten Vertrag waren zuletzt rund 525.000 Patienten eingeschrieben. Das Potenzial beträgt aber 4,3 Millionen Patienten, sagt Leirich. Würden sie alle eingeschrieben, müsste die AOK eine Menge Geld auf den Tisch legen.

„In anderen Bundesländern fällt die Vergütung weit geringer aus. So liegt die vergleichbare Vergütung für die hausarztzentrierte Versorgung in Nordrhein-Westfalen nach einem Schiedsspruch bei lediglich 65 Euro“ (und nicht bei 85 Euro, wie in Bayern), argumentiert die Kasse in einer Pressemitteilung. Tatsächlich werden die Verträge meistens auf Länderebene mit zum Teil sehr unterschiedlichem Ergebnis,was Leistungen und Honorare angeht, verhandelt. In Bayern habe die AOK ohnedies schon eine Menge Geld an die Hausärzte überwiesen, betont nun die AOK. Seit 2008 habe sie den bayerischen Hausärzten im Rahmen der ersten HzV bereits zusätzliche Vergütungen in Höhe von annähernd 1,2 Milliarden Euro gezahlt.

Leirich verweist in diesem Zusammenhang auf eine Hochrechnung aus dem Vorstand der AOK Bayern: Auch bei geringeren Einschreibenzahlen gehe der Vertrag für die AOK ins Geld. Der Hausärzteverband lege ihn einseitig aus, deshalb kämen bei 1,4 Millionen eingeschriebenen Versicherten zusätzliche Ausgaben in Höhe von jährlich 200 Millionen Euro allein für die hausarztzentrierte Versorgung zusammen. Die Kasse sei nun zwar bereit, für den zweiten HzV-Vertrag 10% mehr als im ersten zu zahlen. Aber nur, wenn eine Gesamtobergrenze eingezogen wird. Andernfalls würden die Ausgaben für die HzV vermutlich explodieren, fürchtet die AOK.

Abgesehen von der Honorarfrage führt die Kasse juristische Argumente an: Der Schiedsspruch ist nach Auffassung der AOK unter anderem deshalb rechtswidrig, weil zum Beispiel die Anlage zur Vergütung unvollständig sei und offen lasse, welche Leistungen der Hausärzte von der Vergütung erfasst sein sollen. „Ein Vertrag, der zwar eine unbestimmte Zahlungspflicht vorsieht, aber nicht regelt, wofür diese Zahlung erfolgen soll, ist nicht umsetzbar“, so die AOK. Der Schiedsspruch sei also rechtswidrig, weshalb die Kasse klagt.

Alte Streithähne

 
Die AOK will nur Zeit gewinnen. Jeder Tag, an dem die Kasse nicht unterschreibt, spart ihr bares Geld. Thorsten Fricke
 

Der in Streit stehende Vertrag ist nicht der erste im Süden. Schon seit 2009 hatten die AOK und der Hausärzteverband Bayerns einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Die Kasse wollte den Vertrag seinerzeit kündigen unter anderem deshalb, weil der Verband den Gesamtausstieg der Hausärzte Bayerns aus dem GKV-System plante.

Allerdings stimmten die Hausärzte am Schluss dagegen, die Absicht scheiterte, der Vertrag wurde fortgeführt und von der AOK dann fristgerecht gekündigt. Und gerne hätte es die Kassen wohl dabei belassen. Aber mit dem § 73b  SGB V zwingt der Gesetzeber die Krankenkassen dazu, HzV anzubieten. Also verhandelten die Partner erneut und stehen nun in jener Sackgasse.

Wie dem auch sei, jetzt pocht auch die Ministerin auf die Erfüllung des Vertrages. Auf dem Bayerischen Hausärztetag in Würzburg schaltete sich Huml offensiv ein. „Ich bin auch bereit, die rechtsaufsichtlichen Schritte zu gehen, weil ich der Auffassung bin, Recht muss auch umgesetzt werden“, so Huml in ihrer Rede vor den Delegierten in Würzburg.

Bis zum 8. Mai muss die AOK reagieren. Dass sie einlenken wird, ist nach den jüngsten Äußerungen Platzers nicht zu vermuten. Gegen Humls Anordnung stehe grundsätzlich der Rechtsweg offen, heißt es vom Vorstand der AOK. Ob der Vorwurf, die AOK handle rechtswidrig, zutrifft, wird dann vor Gericht entschieden werden.

Unterdessen schmoren die Hausärzte weiter. Thorsten Fricke, Sprecher des Hausärzteverbandes meint: „Die AOK will nur Zeit gewinnen. Jeder Tag, an dem die Kasse nicht unterschreibt, spart ihr bares Geld.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....