Exo-Skelette für Querschnittgelähmte: Neue Entwicklungen und erste positive Studiendaten

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

29. April 2015

München – Ist der Rollstuhl bald passé? Für Querschnittgelähmte sind so genannte Exo-Skelette eine der spektakulärsten Neuentwicklungen. Die Geh-Roboter werden ständig weiterentwickelt. Seit kurzem gibt es auch ein Exo-Skelett, das nach Ansicht von Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil in Bochum zukunftsweisend ist: „HAL (das Kürzel steht für Hybrid Assistive Limb) ist das erste Exo-Skelett mit neuronaler Steuerung.“

Prof. Dr. Peter M. Vogt

Bei der Eröffnungspressekonferenz des 132. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) in München diskutierten die Teilnehmer, welche Möglichkeiten diese Neuentwicklungen bieten [1]. Neben HAL gibt es noch 3 weitere Exo-Skelette mit CE-Zertifikat (wie Medscape Deutschland berichtete), informierte DGCH-Präsident Prof. Dr. Peter M. Vogt, Direktor der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover. Diese heißen Rex, Ekso und ReWalk. Keine der Entwicklungen kommt aus Deutschland. Japan und die USA sind in dieser Technologie führend.

Prof. Dr. Michael Nerlich

Bislang noch keine Alternative zum Rollstuhl

Im Moment sind die Geh-Roboter jedoch noch weit davon entfernt, eine Alternative zum Rollstuhl für viele der rund 1,5 Millionen Querschnittgelähmten in Deutschland zu sein, berichtete Prof. Dr. Michael Nerlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie aus Regensburg, auf der Pressekonferenz. Denn: Sie sind schwer – Rex wiegt knapp 40 Kilogramm, Ekso und Re-Walk immerhin noch 23 und 20 Kilogramm. Die Akkus halten nur wenige Stunden, Bewegungen sind bislang nur geradeaus möglich, oft sehr schwerfällig und die Geh-Geschwindigkeit ist gering.

Dr. Mirko Aach

Die Modelle bestehen aus einem extern an den Körper des Trägers montierten Rahmen mit beweglichen Segmenten in Höhe der großen Gelenke sowie einem Antriebsaggregat. Die Bewegungen werden von den Patienten per Joystick gesteuert. „Mit diesen Modellen wird man gegangen“, beschreibt es Dr. Mirko Aach. Der junge Chirurg sitzt selbst seit einem Snowboard-Unfall im Rollstuhl. Er betreut am Klinikum in Bochum die Studien mit den Geh-Robotern und stellte erste Ergebnisse beim Kongress in München vor.

Eindeutig ist: In punkto Mobilität können die Exo-Skelette bislang nicht mit einem Rollstuhl konkurrieren. Trotzdem sind sie Hoffnungsträger – und den ersten Schritt in die Zukunft haben die Entwickler mit HAL gemacht. Denn das in USA (Firma Cyberdyne) entwickelte Exo-Skelett ist nicht nur eine Art Anzug mit Motoren, die die Gelenke von außen bewegen. Es hat auch Sensoren, die auf die Haut aufgeklebt werden und die die schwachen, bei vielen Gelähmten noch vorhandenen elektrischen Impulse der Nerven- und Muskelfasern per EMG registrieren, verstärken und in die vom Patienten beabsichtigte Bewegung umsetzen.

HAL nutzt die Restmuskelaktivität der Patienten

 
Hierdurch ist es auch erstmals möglich, ein willkürliches Überschreiten von Hindernissen oder auch ein Rückwärtsgehen zu realisieren. Prof. Dr. Michael Nerlich
 

„So kann die Restmuskelinnervation des Patienten vom Exo-Skelett erkannt und synchron in eine Roboterbewegung über die angesteuerten Elektromotoren umgesetzt werden“, erläuterte Nerlich. „Hierdurch ist es auch erstmals möglich, im so genannten Closed-loop-biofeedback-System ein willkürliches Überschreiten von Hindernissen oder auch ein Rückwärtsgehen zu realisieren“, so der Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg.

Schildhauers Klinik in Bochum verfügt derzeit in Deutschland über die wohl größte Erfahrung mit den Exo-Skeletten. Sie werden dort bereits seit längerem bei einer Reihe von Querschnittsgelähmten eingesetzt – insgesamt 40 Patienten mit chronischer und 20 mit akuter Rückenmarksverletzung (SCI = Spinal Cord Injury) hätten bislang an Studien teilgenommen, bei denen das funktionelle und neurologische Outcome erhoben worden seien, berichtete Aach.

Indikation bislang ist vor allem die Rehabilitation z.B. in der Akutbehandlung Rückenmarksverletzter zum Lokomotionstraining. „Der Patient wird durch das Exoskelett passiv bewegt, man möchte damit die funktionelle Mobilität des Patienten unterstützen, neuropathische Schmerzen und vorhandene Spastiken reduzieren sowie einen positiven Einfluss auf Knochendichte, Blasen- und Mastdarmfunktion und Durchblutung erreichen“, erläuterte Nerlich. 

Um das neurologisch kontrollierte Exo-Skelett HAL zu verwenden, sei natürlich ebenfalls eine „wesentliche Voraussetzung, dass die Patienten noch eine Restaktivität in der Muskulatur zurückbehalten haben“. Die Patienten üben regelmäßig mit den Geräten und können so auch die verbliebene Muskulatur stärken.

Pilotstudie: Messbarer Kraftzuwachs durch das Training mit HAL

Aach hat HAL in einer kleinen Pilotstudie mit zunächst 8 Teilnehmern getestet. Die Ergebnisse hat er in München vorgestellt, sie sollen demnächst publiziert werden. Das Kollektiv der Studienteilnehmer war sehr heterogen: Sie waren 36 bis 63 Jahre alt, das Trauma lag zwischen einem und 19 Jahre zurück, der ASIA-Grad zur Klassifikation des neurologischen Schadens lag zwischen A/L3 und D. Die Patienten trainierten 3 Monate lang jeweils an 5 Tagen pro Woche – dies meist auf dem Laufband, aber auch im freien Raum.

 
Wir wissen nicht, ob der Einsatz solcher Exo-Skelette außerhalb der Rehabilitation sinnvoll ist. Dr. Mirko Aach
 

Die Ergebnisse: Nach 3 Monaten konnten sie mit HAL eine signifikant längere Gehstrecke zurücklegen (statt anfangs knapp 200 am Ende rund 1.000 Meter im Schnitt) und waren schneller geworden. Weitere Erfahrungen mit 32 Patienten mit chronischer Rückenmarksschädigung bestätigen diese Resultate, so Aach. Die Probanden hatten einen messbaren Kraftzuwachs – und zwar unabhängig davon, wie alt sie waren oder wie lange die Querschnittlähmung schon bestand.

Außerdem nahm die subjektive Schmerzempfindung, berichtete Aach. 2 Patienten konnten Schmerzmittel reduzieren. Ein Patient berichtete über eine Zunahme der Sensitivität im Oberschenkel, die aber nicht objektiv verifizierbar war. Zudem berichteten manche Patienten über Verbesserungen der Blasen- und Mastdarmfunktion, zum Teil konnten sie auf den Katheter verzichten. Bei einem Patienten hätte sich die Muskelaktivität sogar so weit verbessern lassen, dass er eine Gehstrecke von mehreren hundert Metern frei zurücklegen konnte, so Aach.

Einsatz außerhalb der Rehabilitation bislang nicht zu empfehlen

Gehtraining eines querschnittsgelähmten Patienten im Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum

Bildrecht: Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum

Er warnte jedoch vor verfrühter Euphorie: „Es gibt bislang keine Studie, die eindeutige Vorteile für den Patienten, etwa in Bezug auf die Knochendichte oder die Blasen-Mastdarmfunktion belegt.“ Auch wenn in den USA eine Patientin in einer spektakulären Aktion mithilfe des Re-Walk bereits einen Marathon gelaufen ist – Aach: „In einer Zeit von immerhin 17 Tagen“ – seien die bisher verfügbaren Exo-Skelette mit Sicherheit kein Ersatz für den Rollstuhl – „sie bieten keinen Mobilitätsvorteil“.

Es seien weitere Studien und technische Weiterentwicklungen notwendig – die mit Sicherheit kommen werden. Bislang, so der Bochumer Chirurg, sei auf jeden Fall die Verordnung von Exo-Skeletten als Hilfsmittel nicht zu empfehlen – wegen der fehlenden Evidenz, aber auch wegen der hohen Kosten von in der Regel über 50.000 Euro. „Wir wissen nicht, ob der Einsatz solcher Exo-Skelette außerhalb der Rehabilitation sinnvoll ist.“

Nerlich zumindest ist optimistisch: Auch wenn sich die bisherigen Exo-Skelett-Modelle noch nicht als permanentes tägliches Hilfsmittel für querschnittgelähmte Menschen eigneten, sei mit der neuen Generation von Biofeedback-basierten Modellen eine Grenze gefallen, meint er. Denn das Ziel damit sei, ein höheres Funktionsniveau auch ohne Gerät zu erreichen. „Die Fortschritte, die durch technologische Innovationen in den letzten Jahren erreicht wurden, zeigen auf, dass bei einer Vielzahl von gelähmten Patienten auch im Alltagsleben in Zukunft eine Gehfähigkeit erreicht werden kann.“

 

REFERENZEN:

1. 132. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), 28. April bis 1. Mai 2015, München

 

Kommentar

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