Mannheim – Patienten mit Vorhofflimmern erwarten von einer Ablation in aller Regel, dass anschließend die Beschwerden verschwunden sind und sie keine Medikamente mehr dauerhaft nehmen müssen. Zu Recht?
Zumindest ein Teil der Patienten erhält weiterhin Antiarrhythmika, obwohl sie keine Symptome mehr haben. Dies zeigen Registerdaten, die beim Kardiologenkongress in Mannheim vorgestellt worden sind [1]. Und die Frage, ob nach der Ablation weiter eine Antikoagulation notwendig ist? Sie wird derzeit noch völlig unabhängig von der Pulmonalvenen-Isolation (PVI) entschieden – nämlich aufgrund des CHA2DS2-VASc-Scores, der eine erfolgreiche Prozedur gar nicht berücksichtigt.
Der derzeit übliche Score hat seine Nachteile

Dr. Patrik Leitz
Die derzeit gültigen Leitlinien empfehlen für alle Vorhofflimmer-Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score größer gleich 1 die Fortführung der Antikoagulation – ganz unabhängig davon, welches Ergebnis die Ablation erbracht hat. Der Score berücksichtigt das Schlaganfallrisiko, linksventrikuläre Auswurffraktion, Hypertonie, Alter, Geschlecht, Diabetes mellitus, Schlaganfall oder thromboembolisches Ereignis sowie vaskuläre Vorerkrankung.
„Leitlinien für die Medikation post ablationem fehlen“, merkte Dr. Patrik Leitz von der Abteilung für Rhythmologie der Universität Münster bei einem Symposium zur Antikoagulation bei Vorhofflimmerablation in Mannheim an. Die übliche Praxis bisher: Die meisten Kliniken empfehlen den Patienten, die nach einer Ablation kein Vorhofflimmern mehr haben, eine Weiterbehandlung mit Antiarrhythmika für einen Zeitraum von 3 Monaten nach der Intervention. Danach könne abgesetzt werden.
Welche Medikation wird nach einem Jahr genommen?
Für die Registerdaten werden die Patienten 1 Jahr nach Ablation telefonisch befragt. Die spannende Frage, die das Register beantworten sollte, war: Wie sieht die Behandlung der Patienten nach diesem Jahr aus?
In dem Klinik-Register mit 200 konsekutiven Vorhofflimmer-Patienten nach Ablation aus den Jahren 2012 und 2013 zeigte sich: Der mittlere CHA2DS2-VASc lag bei 1,9 (Sore 0: 16,5%, Score 1: 31%, Score 2: 22%, Score 3: 20,5%, Score 4 und größer: jeweils unter 5%) im Moment der Aufnahme ins Register. Nach einem Jahr hatten 79% der Patienten keine Symptome von Vorhofflimmern mehr – dies nach im Durchschnitt 1,7 Ablationen.
Der CHA2DS2-VASc war im Schnitt auf 2,2 angestiegen. 141 (70,5%) Patienten wurden antikoaguliert (davon 70,5% mit Vitamin-K-Antagonisten und 29,5% mit neuen oralen Antikoagulantien – NOAC). Bei den übrigen bestand keine Antikoagulation mehr. Bei 32 Patienten war dies ohne Rücksicht auf den Score erfolgt. Dies sei „vermutlich eine Reaktion auf ihren klinischen Status“, meinte Leitz.
Von den Patienten mit Score 0 erhielten 7 unnötigerweise eine Antikoagulation. In der gesamten Gruppe bekamen 45% der Patienten nach einem Jahr Antiarrhythmika, viele davon, obwohl sie symptomfrei waren.
Leitz kommentierte dies so, dass Frührezidive nach Ablation für die Patienten psychisch sehr belastend seien. Hier führe vermutlich „ein Sicherheitsbedürfnis zur Weiterführung der antiarrhythmischen Medikation“. In seiner Klinik wurde nach 3 Monaten erstmals evaluiert, ob noch Palpitationen bestehen. Bei Beschwerdefreiheit wurde die antiarrhythmische Medikation abgesetzt. Alternativ kam eine erneute Pulmonalvenen-Isolation in Frage.

Prof. Dr. Thorsten Lewalter
Schwächen des Registers liegen in der Methodik
Die Steigerung des CHA2DS2-VASc-Scores nach Jahresfrist führte Leitz vor allem auf den Altersanstieg zurück. 2 Patienten hatten während dieser Zeit einen Schlaganfall unter bestehender Antikoagulation mit Marcumar®. Nach seiner Einschätzung waren zu viele Patienten nach einem Jahr nicht durch Antikoagulantien geschützt, obwohl sie dies nötig gehabt hätten. Gleichzeitig nahmen einige Antikoagulantien, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre. Außerdem nahmen einige Patienten Antiarrhythmika, obwohl sie beschwerdefrei waren.
Nach Angaben von Leitz sei nicht zu klären, ob die Antikoagulantien aus einem falschen Sicherheitsbedürfnis tatsächlich ein Jahr lang weitergenommen wurden oder ob dies nur zum Zeitpunkt des Telefoninterviews der Fall war.
Nach Einschätzung von Prof. Dr. Thorsten Lewalter von den Isarkliniken in München überraschte in diesem Register der Umstand, dass sich der CHA2DS2-VASc-Score in einigen Fällen verringert hatte. Dies sei nur dann möglich, wenn sich bei diesen Patienten eine vorübergehende Herzinsuffizienz wieder gebessert hat, was nach Angaben von Leitz auch der Fall war.
Weitere Ein-Jahres-Daten vom Institut für Herzinfarkt-Forschung
Weitere Ein-Jahres-Daten zum neurologischen Status von Vorhofflimmer-Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score größer gleich 2 nach Katheterablation präsentierte Dr. Julia Moser vom Universitären Herzzentrum Hamburg. Die Daten stammten aus dem German Ablation Registry des Instituts für Herzinfarktforschung in Ludwigshafen.
Da in bisherigen Studien kein günstiger Effekt einer Vorhofflimmer-Ablation auf die Reduktion von klinischen Ereignissen wie Schlaganfällen oder TIA nachgewiesen werden konnte, sei davon auszugehen, dass ein Risiko für neurologische Ereignisse entsprechend den gültigen Scores bestehe, so die Referentin. Das Risiko sei aber in dieser Patientengruppe generell als niedrig anzusehen. In der Literatur werde die Rate für ischämische Schlaganfälle bei Patienten mit Vorhofflimmern mit bis zu 0,8 pro Jahr nach Vorhofflimmer-Ablation angegeben.
Um herauszufinden, wie viele neurologische Ereignisse nach Ablation hierzulande vorkommen, wurden die Daten von 4.433 Patienten unter Antikoagulation bei Entlassung ausgewertet, im Schnitt mit einem Follow-up von 472 Tagen. Ausgewertet wurden 2 Gruppen: solche mit oraler Antikoagulation (674) und solche ohne (626). Gesucht wurde nach neurologischen Ereignissen, symptomatischen AF-Episoden, Hospitalisierung und Komplikationen.
Resultat: Wer nicht antikoaguliert wurde, hatte häufiger paroxysmales, die antikoagulierten Patienten häufiger persistierendes und langanhaltend persistierendes Vorhofflimmern. Insgesamt waren 51,8% der Patienten mit CHA2DS2-VASc-Score größer gleich 2 ein Jahr nach der Ablation unter oraler Antikoagulation.
Überraschendstes Ergebnis des Registers: Es gab insgesamt 32 neurologische Ereignisse (TIA, Blutung, Schlaganfall). Das bedeutet eine Schlaganfallrate pro Jahr von 0,65%. Zwischen den Gruppen mit oder ohne Antikoagulation gab es dabei keine signifikanten Unterschiede – mit numerisch sogar weniger Ereignissen ohne Antikoagulation. In der antikoagulierten Gruppe betrug die Schlaganfallrate 0,9 vs 0,3% (p = 0,19). Bei den TIA waren es 0,9 vs 0,7% (p = 0,22) und bei den Blutungen 1,2 vs 1,0% (p = 0,69).
Keine Notwendigkeit für Antikoagulation wegen neurologischer Ereignisse
Der in dem Register nicht nachweisbare Anstieg von neurologischen Ereignissen in der Gruppe ohne Antikoagulation fordere die Empfehlungen in den Leitlinien heraus, kommentierte Lewalter. Oder es könne auch so gesehen werden: Die Antikoagulation war bei dem gegebenen Risiko und dem untersuchten Zeitraum wirkungslos. Damit sei aus diesem Register keine Notwendigkeit für eine Antikoagulation bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 und kleiner herauszulesen. An dieser Stelle müsse nachgedacht werden, so Lewalter. Trotzdem sei ohne eine prospektiv-randomisierte Studie vermutlich keine Klarheit zu erhalten.
Moser wies auf die Limitationen der Studie hin: Es handele sich um Registerdaten und der Antikoagulationsstatus wurde nur zum Zeitpunkt des Follow-up ermittelt. Und: Die Zentren wurden vor Einführung der NOAC in das Register aufgenommen. Erstaunlich war aus ihrer Sicht vor allem, dass die Hälfte der Patienten nach einem Jahr nicht mehr antikoaguliert wurde. Leider gebe das Register keine Auskunft darüber, wie die Antikoagulationssituation zum Zeitpunkt des neurologischen Ereignisses war.
Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska von den St.-Vincentius-Kliniken in Karlsruhe kommentierte, dass die Resultate der in den Leitlinien bereits erwähnten, aber noch laufenden CABANA-Studie abgewartet werden müssten. Dann sei mit Sicherheit zu sagen, ob die fehlende Unterschiede bei Behandlung und Nicht-Behandlung ein Problem der Registerdaten seien.
HAS-BLED-Score macht manchmal Verzicht auf Antikoagulation möglich
Aus dem Auditorium wies ein Hausarzt aus Potsdam darauf hin, dass es sinnvoller sein könnte, nach Ablation den HAS-BLED-Score statt des CHA2DS2-VASc zu verwenden. HAS-BLED gibt einen Anhalt für das Blutungsrisiko von Patienten mit Vorhofflimmern. Die maximale Punktzahl ist dabei 9. Berücksichtigt werden: Hypertonie, abnorme Leber- und Nierenfunktion , Schlaganfall, Blutung , labile INR, Alter über 65, Drogen- oder Alkoholkonsum. Hiermit bestehe für einige Patienten der Ausweg, leitliniengerecht auf eine Antikoagulation verzichten zu können.
REFERENZEN:
1. 81. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 8. bis 11. April 2015, Mannheim; Freie Vortragssitzung „Antikoagulation bei Vorhofflimmer-Ablation“ (9.4.2015)
Diesen Artikel so zitieren: Nach Ablationstherapie von Vorhofflimmern: Viele erhalten weiter Medikamente – doch profitieren sie davon auch? - Medscape - 23. Apr 2015.
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