Die Kunst des Weglassens – DGIM-Initiative zur Vermeidung unnötiger medizinischer Leistungen

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

20. April 2015

Gastroenterologie: Protonenpumpenhemmer oft zu großzügig eingesetzt

Für die Gastroenterologie hatte Prof. Dr. Hans-Michael Steffen, Uniklinik Köln, vor allem ein prominentes Beispiel: die viel zu häufige Verordnung von Protonenpumpenhemmern (PPI). Die Verordnungszahlen seien von 2001 bis 2012 z.B. um das 7-Fache gestiegen. Im Jahr 2009 haben laut Steffen PPI in Deutschland Arzneimittelkosten von rund einer Milliarde Euro verursacht.

Steffens Appell: Auch die PPI haben Nebenwirkungen! Sie führen z.B. bei Patienten mit Leberzirrhose zu einer Übersterblichkeit und erhöhen in den Kliniken das Risiko für Chlostridium difficile bedingte Diarrhoen. Daher sollten PPI nur bei gesicherter Indikation eingesetzt werden. In einer kanadischen Studie hatte z.B. nur die Hälfte der Patienten, die einen PPI bekamen, auch eine gesicherte Indikation.

Eine eindeutige klinische Wirkung hätten PPI bei der Hp-Eradikation, bei Ulcera inklusive Blutungen und bei der Refluxerkrankung, betonte der Gastroenterologe. Dagegen sei die nicht-ulzeröse Dyspepsie zwar der wahrscheinlich häufigste Verordnungsgrund aber keine primäre Indikation für die PPI. Hier seien Antazida und H2-Blocker ebenso gut. PPI zur Ulkusprophylaxe sollten nur Risikopatienten gegeben werden – etwa bei einem Alter über 60, einer Glukokortikoid-Komedikation, schweren Begleiterkrankungen, bei positiver Ulkusanamnese, gleichzeitiger Antikoagulation oder SSRI-Gabe. Und schließlich, so machte er deutlich, ist die Evidenzlage für die Stressulkus-Prophylaxe bei Intensivpatienten mit den PPI ebenfalls nicht so eindeutig.

Steffen sprach vor allem die Klinikkollegen an: „Die Empfehlung für einen Protonenpumpenhemmer im Entlassbrief ist oft der erste Schritt in die Dauertherapie.“ Er warnte in der Diskussion aber auch vor dem Rebound-Effekt, über den – wie er ironisch sagte – Gastroenterologen sich ihre eigenen Patienten schaffen: „Geben Sie einem Patienten vier Wochen einen PPI und setzen ihn dann ab – so kommt er mit Sicherheit wieder mit einer Dyspepsie in Ihre Praxis!“

Infektiologie: Die alte Klage – zu viele Antibiotika, etwa bei akuten Atemwegsinfekten

Oft sind es die Patienten, die die Antibiotika einfordern, es ist daher wichtig, sie einzubinden! Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Schließlich steuerte auch noch für die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer von der Universitätsklinik Köln die Sammlung dieser Fachgesellschaft von Fällen der Überversorgung bei. Ganz oben auf der Liste: die Gabe von Antibiotika bei Patienten mit akuter Bronchitis. Fätkenheuer: „Es ist eindeutig: Antibiotika haben bei diese Indikation überhaupt keinen Effekt. Eine akute Bronchitis dauert mit Antibiotika zwei Wochen und ohne 14 Tage!“ Auch ein gelblich gefärbtes Sputum allein reiche nicht als Indikation für die Antibiotika-Gabe, betonte er.

Doch die Botschaft komme in der Praxis einfach nicht an, beklagte der Infektiologe – und dies gilt nicht nur für Deutschland. Eine in JAMA veröffentlichte Arbeit aus 2014 etwa zeige, dass in den USA zwischen 1996 und 2010 gleichbleibend bei 60 bis 80% der Arzt- oder Klinikkonsultationen aufgrund von Bronchitis eine Antibiotika-Verordnung erfolgt sei. Fätkenheuer: „Ich habe selten eine so frustrierte Diskussion der Autoren in einer Arbeit gelesen wie in dieser.“ Er räumte allerdings auch ein: „Oft sind es die Patienten, die die Antibiotika einfordern, es ist daher wichtig, sie einzubinden!“

Weitere Vorgehensweisen, die laut der Liste der Fachgesellschaft zu hinterfragen sind:

  • • Die Gabe von Antimykotika bei einem Candida-Nachweis im Stuhl oder Sputum. „Candida ist ein häufig nachweisbarer ‚Besiedler‘ ohne Krankheitswert, besonders bei vorausgegangener Antibiotika-Therapie.“

  • • Außerdem die Verabreichung von Antibiotika bei einer asymptomatischen Bakterurie – abgesehen von einigen wenigen definierten Ausnahmen wie Schwangerschaft oder Zustand nach Nierentransplantation. Vor allem senke die Antibiotika-Gabe nicht das Risiko für einen symptomatischen Harnwegsinfekt, betonte Fätkenheuer.

  • • Der vierte Punkt auf der Liste: Eine Serologie, etwa auf Borrelien oder Chlamydophila pneumoniae vorzunehmen, wenn es keine eindeutige klinische Symptomatik in diese Richtung gibt. Der Infektionsexperte: „Die serologischen Tests sind nicht standardisiert, es gibt eine hohe Rate falsch positiver Tests – bei bis zu 35% der Gesunden kann der Antikörpernachweis gelingen – und es gibt viele nicht etablierte Testverfahren.“ Vor allem seien entsprechende Testergebnisse alleine keine geeignete Therapieindikation.

Als letzten Punkt führte Fätkenheuer schließlich noch einen Aspekt der „Unterversorgung“ an: „Bei den Impfungen – speziell von Erwachsenen – ließe sich mehr tun.“ Der Schutz vor Atemwegsinfektionen lasse sich deutlich verbessern, wenn häufiger gegen Influenza und gegen Pneumokokken geimpft werde. „Wir sollten das Potenzial solcher Impfungen mehr ausschöpfen!“

Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich R. Fölsch

Quelle: DGIM

Das Ziel: Eine möglichst rasche Umsetzung in die Praxis

Prof. Dr. Elisabeth Märker-Hermann

Quelle: DGIM

Und wie geht es nun mit der DGIM-Initiative „Klug entscheiden“ weiter? Schon Anfang Mai wollen sich Vertreter der Schwerpunkt-Fachgesellschaften in Berlin treffen, um, so DGIM-Generalsekretär Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich R. Fölsch, Einigkeit über die jeweiligen Vorschläge zu erzielen. Ende des Jahres soll dann „das komplette Paket“ der Listen für Über- und Unterversorgung vorliegen. „Wir streben rasch konkrete Ergebnisse an“, so Fölsch. Diese sollen dann mit den Kollegen, aber auch Krankenkassen, Patientenvertretern und der Politik diskutiert werden. Das Ziel sei „eine möglichst schnelle Umsetzung in die Praxis“, sagte der DGIM-Generalsekretär.

Hallek hofft, mit der Initiative „Kräfte zu wecken, um die ethischen Standards unseres Berufs wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen“. Die frühere DGIM-Vorsitzende Prof. Dr. Elisabeth Märker-Hermann ergänzte: „Es geht nicht um Rationierung“ – auch wenn man auf Einsparungen durch die Kampagne hoffe. „Wir Ärzte müssen die Initiative ergreifen, damit uns nicht andere, etwa die Politik, das Heft des Handelns aus der Hand nehmen und zuvor kommen.“

REFERENZEN:

1. 121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 18. bis 21. April 2015, Mannheim

Kommentar

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