Morbus Crohn und Colitis ulcerosa: Reduzierte Vielfalt beim Darmmikrobiom

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

17. April 2015

Barcelona – In der richtigen Zusammensetzung leben die mehr als 1.000 Bakterienarten des Darmmikrobioms in friedlicher Koexistenz mit ihrem menschlichen Wirt, helfen sogar bei der Verdauung und unterstützen das Immunsystem. Anders bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED): „Bei Menschen mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ist die Diversität des Darmmikrobioms reduziert“, sagt Prof. Dr. Dirk Haller von der Technischen Universität München. Die Folge ist eine Überreaktion des Immunsystems gegen das intestinale Mikrobiom [1]. Diese neuen Ergebnisse stellte Haller beim Gut Microbiota for Health World Summit in Barcelona vor [2].

Prof. Dr. Dirk Haller

Wie es zu einer so extremen Störung der Wechselbeziehung zwischen Mikroorganismen und Wirt kommt, ist noch nicht geklärt. „Wir wissen, dass der Entstehung einer chronischen Darmentzündung ein komplexes Zusammenspiel von genetischer Anfälligkeit und Umweltfaktoren zugrunde liegt“, erklärt Haller im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Doch das scheint nicht alles zu sein, auch das Mikrobiom des Darms scheint eine wichtige Rolle zu spielen.“

Wechselspiel aus Genetik, Umwelt und Darmbakterien

Nach Sequenzierungsstudien sind 163 Genveränderungen bekannt, die die Suszeptibilität für eine CED erhöhen. Die meisten für CED relevanten Genveränderungen betreffen entweder die mikrobielle Erkennung und die angeborene Immunabwehr, die Epithelzellfunktion oder die Aktivierung und Regulation des Immunsystems. CED könnte also durch Defekte in der Darmbarriere oder durch Defekte in der angeborenen Immunabwehr und der adaptiven Reaktion auf Mikroorganismen ausgelöst werden.

 
Bei Menschen mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ist die Diversität des Darmmikrobioms reduziert. Prof. Dr. Dirk Haller
 

Verschiedene CED-assoziierte Genveränderungen (z. B. Fut2, NOD2 oder ADG16L1) führen nachweisbar zu veränderter Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms. Allerdings tragen auch viele gesunde Menschen eine oder mehrere dieser Genveränderungen. Um die Entwicklung einer CED anzustoßen, müssen noch bestimmte Umweltfaktoren hinzukommen, die tatsächlich noch wichtiger zu sein scheinen als die genetischen Veränderungen.

Dies lässt sich zum einen aus Zwillingsstudien ableiten, aber auch daraus, dass die CED-Prävalenz in den Industrienationen deutlich höher ist als in Entwicklungsländern. Der westliche Lebensstil scheint ein wichtiger Umwelt-Risikofaktor für die Entstehung von CED zu sein.

„Im Tiermodell ist die kausale Rolle des Darmmikrobioms bei der Entstehung von CED bewiesen“, berichtete Haller. Experimente an genetisch veränderten Mäusen, die besonders anfällig für CED sind, zeigten: Solange die Mäuse keimfrei blieben, erkrankten sie trotz genetischer Anfälligkeit nicht an CED [3]. Wurden jedoch mehrere Stämme von Darmbakterien in den Darm der Mäuse eingeführt, erkrankten sie an chronischen Darmentzündungen.

Das eine CED-verursachende Mikrobiom gibt es nicht

Es stellt sich die Kernfrage, ob einzelne mikrobielle Arten oder Stämme krankheitsauslösend sind, oder ob es eher die spezifische Zusammensetzung des Darmmikrobioms ist, die darüber entscheidet, ob eine Erkrankung entsteht. „Wir haben festgestellt, dass die Übertragung eines unausgewogen zusammengesetzten Mikrobioms Morbus Crohn verursacht, während die Übertragung unverbundener mikrobieller Kollektive und einzelner bakterieller Stämme diese Wirkung nicht hat“, erklärte Haller und ergänzt [4]: „Dies legt nahe, dass es sich eher um einen Gemeinschaftseffekt des Mikrobioms und eine Zunahme aggressiver oder einen Verlust schützender Mechanismen handelt als um eine Auswahl aggressiver Phylotypen, die als einzelne Akteure Morbus Crohn verursachen.“

Für künftige klinische Anwendungen wäre es wichtig, eher schädliche und eher schützende mikrobielle Profile unterscheiden zu können. Mit Sequenzierungsstudien ließen sich bestimmte Tendenzen ermitteln: Zusätzlich zu einer verringerten Diversität werden bestimmte Bakterien wie Escherichia und Shigella häufiger, während beispielsweise Clostridien Typ IV und XIVa seltener auftreten. Doch Haller schränkt ein: „Es scheint keine einheitlichen „guten“ oder „schlechten“ Profile zu geben. Jeder Patient scheint auf ein anderes Spektrum von Organismen mit Erkrankung zu reagieren.“

 
Es scheint keine einheitlichen ,guten‘ oder ,schlechten‘ Profile zu geben. Jeder Patient scheint auf ein anderes Spektrum von Organismen mit Erkrankung zu reagieren. Prof. Dr. Dirk Haller
 

Obwohl der Einfluss der reduzierten Diversität sowie der veränderten Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms auf die CED-Pathogenese noch unklar ist, geht man davon aus, dass man zur Prävention oder Therapie von CED beitragen kann, indem man ein normales Mikrobiom aufrechterhält oder wiederherstellt. Langfristiges Ziel sind mikrobielle Therapien, die das Mikrobiom beeinflussen und so die Darmgesundheit verbessern.

Probiotika: Erste Erfolge

Unter mikrobieller Therapie versteht man sowohl die Aufnahme von Probiotika als auch die Stuhltransplantation. Bei beiden Methoden geht es darum, die Präsenz und Aktivität erkrankungsfördernder Bakterien zu verringern und die Präsenz und Aktivität schützender Bakterien zu verstärken.

Der Einsatz verschiedener Probiotika bei CED wurde bereits in klinischen Studien erforscht. Während es bei Colitis ulcerosa einige therapeutische Erfolge gab, wie zum Beispiel die längere Erhaltung einer Remission, gibt es bei Morbus Crohn noch keine positiven Studienergebnisse.

Voraussetzung für eine gezielte und erfolgreiche Therapie mit Probiotika ist die Auswahl der richtigen Bakterienstämme. Hierzu könnten künftig möglicherweise neue Erkenntnisse aus Sequenzierungsstudien zu den CED-assoziierten Veränderungen des Darmmikrobioms beitragen.

Stuhltransplantation: Noch ein weiter Weg

 
Im Moment ist die Stuhl-transplantation für CED kein adäquates Therapieprinzip. Prof. Dr. Dirk Haller
 

Bei der Stuhltransplantation wird ein gesamtes intestinales Mikrobiom eines gesunden Spenders in den Darm des Empfängers übertragen. „Bei Patienten mit Clostridium-difficile-assoziierter Diarrhoe konnten damit gute Therapieerfolge erzielt werden“, berichtete Haller. „Durch das Einbringen des ‚gesunden‘ Darmmikrobioms werden die krankheitsverursachenden Bakterien verdrängt. Doch im Fall von CED ist das krankheitsverursachende Agens nicht bekannt.“

Möglicherweise bringt man mit einer unspezifischen Stuhltransplantation genau die Organismen ein, von denen schon zu viele da sind. „Dies erklärt die heterogenen Ergebnisse erster Orientierungsstudien mit Colitis-ulcerosa-Patienten, einige profitieren von der Stuhltransplantation, viele aber nicht“, so Haller.

Vom Wissen, dass das Darmmikrobiom eine entscheidende Rolle bei CED spielt, bis zu einer therapeutischen Anwendung dieses Wissens scheint es noch ein weiter Weg zu sein. „Im Moment ist die Stuhltransplantation für CED kein adäquates Therapieprinzip“, so Haller. Doch mit weiterer Forschung biete das intestinale Mikrobiom ein großes Potenzial, gezielte Therapien für CED zu entwickeln.

 

REFERENZEN:

1. Haller G, et al: Bundesgesundheitsbl 2015;58:159-165

2. Gut Microbiota for Health, World Summit 2015, 14. bis 15. März 2015, Barcelona, Spanien

3. Schaubeck M, et al: Gut 2015 (in press)

4. Gut Microbiota for Health, Pressemitteilung: „Morbus Crohn: Zusammenspiel von Darm-Mikroben löst entzündliche Erkrankungen aus“, 14./15. März 2015

 

Kommentar

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