Die Zusammensetzung der Mikroorganismen im menschlichen Darm hat offenbar einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung der häufigsten Krebserkrankung, des kolorektalen Karzinoms. Die Gesamtheit der Mikroorganismen bzw. ihrer Gene (das Mikrobiom) scheint dabei als Bindeglied zu fungieren zwischen etablierten Risikofaktoren wie dem Genuss roten Fleisches oder einem zu geringen Konsum an Obst und Gemüse auf der einen Seite und der Krebsentstehung infolge eines „feindlichen“ Milieus im Darm.
Diese Theorie präsentierten kürzlich Forscher um Prof. Dr. Jun Wang, den Gründer und Direktor des Beijing Genomics Institut im chinesischen Shenzen, der nach eigenen Angaben weltweit größten Einrichtung zur Genomforschung [1].
Größere Mikrobiom-Diversität bei Krebspatienten
Wang und seine Kollegen sequenzierten das mikrobielle Erbgut aus den Faeces von 156 Probanden, die entweder an fortgeschrittenen Adenomen litten, oder an kolorektalen Karzinomen, oder die gesund waren. Sie erstellten daraus einen Katalog von 3,5 Millionen Genen und bemerkten, dass die Diversität dieser Erbanlagen bei den Patienten mit kolorektalem Karzinom am größten war, gefolgt von den Patienten mit fortgeschrittenem Adenom. Bei den gesunden Probanden fand sich die geringste genetische Vielfalt.
Die Wissenschaftler schließen daraus: „In dieser Kohorte ist ein größerer Reichtum an Genen oder Bakteriengattungen kein Zeichen für eine gesunde Darmflora, sondern wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass eine Vielzahl schädlicher Bakterien oder Archaebakterien bei den Patienten mit kolorektalem Karzinom oder Adenokarzinom Wachstumsvorteile erlangten.“
Nachdem Studien in den vergangenen Jahren gezeigt hatten, dass die Bevölkerung in 3 Darmflora-Typen eingeteilt werden kann, haben die Forscher auch nach Korrelationen zwischen diesen sogenannten Enterotypen und den 3 Studienpopulationen gesucht. Der durch einen großen Anteil an Bacteroides-Species charakterisierte Enterotyp war dabei prozentual häufiger bei den Patienten anzutreffen, wogegen der durch Ruminococcus repräsentierte Enterotyp bei den gesunden Kontrollen überwog. „Die Analyse bestätigte profunde Veränderungen im Darm-Mikrobiom vor oder während der Entwicklung von Darmkrebs“, folgern Wang und seine Kollegen.
Unter den schätzungsweise 1013 bis 1014 mikrobiellen Zellen und mehr als tausend Arten identifizierten die Forscher etwa 12 Keime, die für die Entstehung von Darmkrebs mitverantwortlich sein könnten. „Eine mögliche Konsequenz wäre es, anhand von Stuhlproben Risikokeime frühzeitig zu erkennen und zu versuchen, deren Ausbreitung zu verhindern“, erklärt einer der beteiligten Wissenschaftler, Prof. Dr. Herbert Tilg, Direktor der Innsbruck Universitätsklinik für Innere Medizin I.
Zusammenhang von Darmflora und Ernährung bestätigt
Die Analysen der Forscher bestätigen und erweitern zudem frühere Hinweise auf den Einfluss der Ernährung. So fanden sich unter den bei Patienten gehäuft auftretenden Mikrobenspezies mehrere, die kurzkettige Fettsäuren bilden sowie solche, die Gallensäuren verstoffwechseln, beispielsweiseB. massiliensis, B. dorei, B. vulgates,Parabacteroides merdae, A. finegoldiiundB. wadsworthia. Deren Gegenwart im Magen-Darmtrakt wiederum korreliert positiv mit dem Konsum von rotem Fleisch und negativ mit dem Konsum von Obst und Gemüse. In den Kontrollen fanden sich dagegen vermehrt S. mutans und Clostridium sp, deren Präsenz wiederum mit dem Konsum von Gemüse einhergeht.
In der Zusammenfassung hat diese bislang größte metagenom-weite Assoziationsstudie sowohl Gene als auch Bakterienstämme und Funktionen gefunden, die mit der Entstehung von Darmkrebs zusammen hängen und die „neue Wege zur Früherkennung und Stratifizierung der Patienten mit Adenokarzinomen und kolorektalen Karzinomen eröffnen“, wie die Autoren schreiben. Ob die gefundenen Marker ein nicht-invasives Screening befördern können, werde die Zukunft zeigen.
Ein Grund zur Skepsis dürfte sein, dass die in den Faeces gefundenen Bakterien bzw. deren Zusammensetzung nicht unbedingt repräsentativ für die Verhältnisse in den verschiedenen Abschnitten des Darms sind, wie Dr. Santosh Dulal und Dr. Temitope O. Keku (beide University of North Carolina at Chapel Hill) in einem Übersichtsartikel darlegen. Es werde also noch reichlich Grundlagenforschung nötig sein, bevor derartige Erkenntnisse verallgemeinert und in die Praxis umgesetzt werden können. Dann aber könne man sogar daran denken, „freundliche“ Bakterien einzusetzen, die genetisch verändert wurden, um wünschenswerte Entzündungsprozesse auszulösen oder epigenetische Veränderungen hervorzurufen.
REFERENZEN:
1. Feng Q, et al: Nat Commun.11;6:6528. (2015)
Diesen Artikel so zitieren: Ungesunde Vielfalt: Im Darm von Krebspatienten gibt es mehr Bakterienspezies - Medscape - 16. Apr 2015.
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