MEINUNG

Verbindung zwischen Darm und Gehirn: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und dem Risiko für Multiple Sklerose?

Bret S. Stetka

Interessenkonflikte

13. April 2015

Sushrut Jangi

In den letzten Jahren verdichteten sich die Hinweise, dass die Zusammensetzung der Darmflora das Risiko für Autoimmunerkrankungen beeinflussen könnte. Medscape sprach auf der gemeinsamen Konferenz des Europäischen und Amerikanischen Kommittees für Behandlung und Forschung über Multiple Sklerose (ACTRIMS/ECTRIMS) in Boston, Massachusetts, mit Sushrut Jangi vom Brigham and Women's Hospital über den möglichen Zusammenhang zwischen dem gastrointestinalen Mikrobiom und Multipler Sklerose (MS).

Medscape: In Ihrer Studie wurde der mögliche Zusammenhang zwischen gastrointestinaler Flora und MS untersucht. Was war das Studienziel?

Jangi: Der Einfluss von Ernährung und von der Zusammensetzung der Darmflora auf das Immunsystem ist derzeit von großem Interesse bei der Erforschung vieler Autoimmunkrankheiten. 80 Prozent unseres Immunsystems befindet sich im Darm und wird wahrscheinlich durch das, was im Darm lebt und wächst, beeinflusst. Beispiele dafür sind die rheumatoide Arthritis und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, bei denen sich das Mikrobiom wahrscheinlich auf das Risiko und die Ausprägung auswirkt.

Wir haben außerdem feststellen können, dass sich eine Veränderung der Darmflora bei Mäusen auf die Wahrscheinlichkeit für eine MS-ähnliche Erkrankung namens experimentelle Autoimmun-Enzephalitis (EAE) auswirkt. Wie auch bei der MS entwickeln Mäuse eine EAE, wenn man ihnen bestimmte immunogene Stoffe gibt. Die Defekte ähneln der einer MS; auch bei der EAE kommt es zu einer Demyelinisierung und einer gestörten nervalen Weiterleitung. Diese Modellerkrankung hat es uns erlaubt zu erforschen, wie die MS funktioniert.

 
Die Erstdaten zeigen, dass es unterschiedliche Bakterien-Gattungen bei MS-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe gibt.
 

Auf Grundlage dieser Arbeit und dem Fakt, dass es bislang keine Studie gab, die diesen Zusammenhang beim Menschen näher beleuchtet hätte, wollten wir feststellen, wie sich das Darm-Mikrobiom bei MS-Patienten im Vergleich zu Personen ohne MS zusammensetzt. Wir haben deshalb bereits 105 Patienten untersucht und erst kürzlich unsere Kohorte auf 250 erweitert.

Medscape: Und was war der Unterschied?

Jangi: Die Erstdaten zeigen, dass es zumindest unterschiedliche Bakterien-Gattungen bei MS-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe gibt. Wir haben herausgefunden, dass ein Bakterium namens Methanobrevibacteriaceae vermehrt im Darm von MS-Patienten vorkommt. Scheinbar besitzt dieses Bakterium immunproliferative Eigenschaften, die eine Inflammation begünstigen. Wir haben außerdem eine Population von Butyricimonas Bakterien gefunden, die bei MS-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe weniger häufig vorkommen. Dies ist ein interessanter Fund, da diese Bakterien Buttersäure produzieren, dem man immunsuppressive Eigenschaften zuschreibt. Allerdings müssen wir diese Studie mit einer größeren Kohorte wiederholen.

Scheinbar unterstützt unsere Arbeit die These: Der Darm bei MS-Patienten könnte Bakterien enthalten, die eine Inflammation begünstigen. Bakterien, die eine Inflammation beschränken, könnten demgegenüber in geringerer Zahl bei ihnen vorkommen. Dies steht im Einklang mit unserer Arbeit zur rheumatoiden Arthritis und zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

Medscape: Würden Sie soweit gehen zu sagen, dass die Darmflora eine MS verursacht?

 
Möglicherweise können wir die Krankheit kontrollieren, indem wir die Ernährung ändern, Antibiotika oder Probiotika verschreiben, oder eine Stuhl-Transplantation unternehmen.
 

Jangi: Das ist zu diesem Zeitpunkt nur schwer zu sagen, aber es gibt eine Korrelation. Ich würde lieber sagen, dass es einen Zusammenhang zur Ursache gibt. Möglicherweise können wir aber die Krankheit kontrollieren, indem wir die Ernährung ändern, Antibiotika oder Probiotika verschreiben, oder gar etwas noch Dramatischeres wie eine Stuhl-Transplantation unternehmen.

Hierin spiegelt sich auch die These, dass die MS eine Erkrankung der westlichen Welt ist. In Ländern wie Indien oder anderen Teilen Asiens, in denen man sich deutlich öfter vegetarisch ernährt, sieht man kaum MS-Erkrankte. Wenn Menschen dieser Nationen allerdings in die USA kommen und sich nach westlichen Maßstäben ernähren, nimmt die Inzidenz wieder zu. Ich denke, dass dies eine aufregende Entdeckung ist, aber es ist noch immer zu früh, um eine Aussage bezüglich einer möglichen Kausalität zu treffen.

 

REFERENZEN:

1. Gandhi R,et al: Gut microbiome is linked to immune cell phenotype in multiple sclerosis. Programme und Abstracts des 2014 Joint ACTRIMS-ECTRIMS Meeting; 10. bis 13. September, 2014; Boston, Massachusetts. Poster 616

 

Kommentar

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