Berlin – Die Zahl der Magenverkleinerungen bei extremer Adipositas nimmt auch in Deutschland stetig zu. Doch welche Auswirkungen hat die Operation auf die Psyche? Und wie beeinflusst das wiederum das erfolgreiche Abnehmen?
Antworten darauf gab es auf dem Symposium „Adipositaschirurgie meets Psyche“ auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin [1]. Dabei wurde deutlich: Ein Teil der Patienten bräuchte eine psychologische Nachsorge – erhält sie aber meist nicht.
Gute Erfolge – aber nicht bei allen Patienten
Es gibt verschiedene Techniken der Magenverkleinerung. Die häufigste ist mittlerweile die minimal-invasive Schlauchmagenkonstruktion (Banded Sleeve-Gastrektomie). Dabei entfernt der Adipositaschirurg einen Großteil des Magens, es bleibt nur eine Art Schlauch, der nur noch ein Volumen von 80 bis 120 ml fasst. Dadurch haben die Betroffenen schon nach kleinen Portionen ein Völlegefühl und nehmen ab.
In Deutschland gilt diese Operation schon ab einem BMI von 40 als indiziert, obwohl diese Grenze zwischen den Fachgesellschaften heftig umstritten ist (wie Medscape Deutschland berichtete). Und: Die meisten Patienten, die schließlich operiert werden, liegen hierzulande noch deutlich darüber.
Der Eingriff zeigt im Durchschnitt gute Effekte (wie Medscape Deutschland berichtete). Als Indikator gilt dabei der „Excess Weight Loss" (EWL). Er gibt an, wie viel Prozent des Übergewichtes nach der OP abgebaut werden, durchschnittlich sind es etwa 30 bis 45%. Es gibt aber auch Patienten, die weniger Gewicht verlieren oder sogar weiter zunehmen, das ist jedoch eher selten.
Sabrina Ölschläger aus der Forschungsgruppe „Neurobiologie des Ess- und Bewegungsverhaltens" an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen erläuterte in Berlin anhand ihrer Untersuchungen, wie sich die Entwicklung nach der OP aufgrund psychischer Merkmale vorhersagen lässt und wie sich generell psychisches Befinden und Gewicht nach der OP gegenseitig beeinflussen.
Untersucht wurden 163 Patienten kurz vor und 4 Jahre nach ihrer Magenverkleinerung. Die Probanden erreichten im Durchschnitt einen EWL von 51,3%. „Das ist höher als in den meisten Studien", sagte Ölschläger. Hungergefühle, Essanfälle und Störbarkeit des Essverhaltens durch äußere Einflüsse wie Stress nahmen in dieser Zeit signifikant ab. „Das Essverhalten hat sich insgesamt deutlich verbessert.“ Allerdings zeigten 39% der Teilnehmer nach der OP ein „Grazing" (Grasen): Sie aßen über den Tag verteilt viele kleine Portionen.
Das psychische Befinden verbesserte sich signifikant: Erfüllten vor der OP noch 34 Patienten die Kriterien für eine Major Depression (nach PHQ-9-Skala), waren es 4 Jahre später nur noch 17. Dabei gab es eine schwache Korrelation (-0,317) mit dem Gewichtsverlust: Je psychisch belasteter der Patient nach 4 Jahren war, desto weniger hatte er abgenommen.
Beratung nach der OP hilfreich für psychisch belastete Patienten
Vorhersagewerte vor der OP für einen guten Gewichtsverlust konnten die Forscher nicht identifizieren. Nach der OP war nur das Essverhalten als Prädiktor signifikant. „Für Patienten, die auch danach ein problematisches Essverhalten zeigen, sollte es daher gezielte Interventionen geben", forderte Ölschläger. Vorgesehen ist dies aber in den meisten Kliniken nicht – vermutlich, weil viele Patienten es allein schaffen und die durchschnittlichen Gewichtsverluste gut sind.
Kliniken in Tübingen, Heidelberg und Frankfurt haben eine solche Intervention in einer randomisiert-kontrollierten Studie getestet: In einer videogestützten Gruppenberatung vermittelten sie Patienten nach der OP ein Jahr lang Techniken zur Selbstfürsorge, Entspannung, Bewegung und Rückfallprophylaxe. Als Zielvariablen wurden unter anderem Lebensqualität, Körperbild, Essverhalten und Selbstwertgefühl erhoben.
Ergebnis: Über alle Probanden fanden sich keine Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe. Verglich man aber nur die Patienten mit klinisch signifikanter Depressivität, dann profitierten jene, die an der Gruppenberatung teilnahmen, deutlich, vor allem in Bezug auf ihre Lebensqualität. Auch die Depressivität selbst verbesserte sich.
„Nicht alle Patienten bedürfen einer Nachsorge", resümiert Dr. Martin Teufel, Leitender Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen, „aber bei jenen mit Risikoprofil ist sie wirksam." Eine Anwendung der Gruppenberatung sei zudem mit dem dazugehörigen Manual für Fachleute nicht schwierig.
Impulsivität ist vor und nach der OP gleich
Eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover und des Herzogin Elisabeth Hospitals Braunschweig ging der Frage nach, ob die Magenverkleinerung Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale hat. Bekannt sind positive Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis und Kombinationsvermögen. „Wir haben daher auch einen Einfluss auf andere Merkmale erwartet", sagt Dr. Astrid Müller, Leitende Psychologin in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Sie erfasste mit Kollegen speziell die Impulsivität nach einer Magenverkleinerung. Dieser Persönlichkeitszug ist bei extremem Übergewicht besonders bedeutsam. Bei vielen Betroffenen ist die Impulsivität erhöht, daher geben sie kalorienreichen Versuchungen leichter nach.
Müller verglich 50 Patienten nach einer Magenverkleinerung mit 50 Patienten, die den Eingriff noch vor sich hatten. Die nahrungsunspezifische Impulsivität wurde mit Fragebögen und einem Interview erhoben, dazu absolvierten die Teilnehmer Tests zur Messung der kognitiven Funktionen. Die inzwischen publizierte Untersuchung ließ keine Unterschiede zwischen den Gruppen erkennen.
„Das hat uns gewundert, weil es den bisherigen Befunden zur Kognition widerspricht", sagte Müller. Sie plädierte in Berlin ebenfalls für ein besseres Screening von Patienten nach Magenverkleinerungen: „Die Betroffenen sind ohnehin regelmäßig beim Chirurgen. Es wäre nicht viel Aufwand, dort einen Fragebogen auszugeben, damit man zumindest ein grobes Screening hat."
REFERENZEN:
1. Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 25. bis 28. März 2015, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Magenverkleinerung bei Adipositas: Körper und Seele beeinflussen den Erfolg wechselseitig - Medscape - 7. Apr 2015.
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