Was tun, um Sucht zu vermeiden?
Doch unter welchen Voraussetzungen erlauben Opioide eine gute und effektive Therapie, ohne dass der Patient Gefahr läuft, süchtig zu werden?
Dazu müssen sich behandelnde Ärzte einige wenige Fragen stellen:
• Werden z.B. als sogenannte Rescue-Medikation oder in der Einstellungsphase auch kurzwirksame Opioide eingesetzt und wie häufig?
• Wie reagiert dabei der Patient auf die schnelle Anflutung?
• Verursachen sie eine „Schaukeltherapie“, bei der kein konstanter Analgesie-Spiegel aufrechterhalten werden kann?
• Nehmen die Patienten normale oder im Zweifel in Eigenregie überhöhte Dosen zu sich?
„Wenn wir diese Fragen im Blick behalten, können wir mit Opioiden gut arbeiten“, betonte Müller-Schwefe.
Die Suchtkriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO sind eindeutig:
• Es besteht eine Art Zwang, eine psychotrope Substanz zu konsumieren, und das Ausmaß des Konsums kann nicht mehr kontrolliert werden.
• Wird die Dosis reduziert oder der Konsum beendet, treten körperliche Entzugserscheinungen auf, und es zeigt sich eine Toleranz gegenüber der Substanz, so dass die Dosis oft eigenmächtig erhöht wird.
• Andere Interessen werden vernachlässigt, der Konsum nimmt immer mehr Zeit in Anspruch, und letztendlich wird er fortgesetzt, obwohl dem Patienten die schädlichen Folgen klar sind.
„Treffen drei oder gar mehr dieser Kriterien zu, dann muss man von einer Sucht ausgehen“, so Müller-Schwefe.
Der Suchtgefahr kann z.B. durch Rotation zwischen unterschiedlichen Opioiden vorgebeugt werden. Für eine solche Opioid-Rotation hat die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) basierend auf einem Cochrane-Review Dosierungstabellen zusammengestellt.
Schmerzmechanismen sollten beachtet werden
Schutter stellte eine Patientin vor, die nach 7 Jahren wiederkehrender Beschwerden der Hals- und der Lendenwirbelsäule zu ihm in die Praxis kam. Diagnosen verschiedener Orthopäden lauteten Bandscheibenprotrusion und -prolaps. Als Komorbiditäten lagen Asthma bronchiale und Neurodermitis vor, eine Hypertonie und ein über 2 Jahre bestehendes Erschöpfungssyndrom. Trotz mehrerer Operationen und invasiver Therapien hatte die Patientin weiterhin Schmerzen, so dass sie in Eigenregie die Dosis der verschriebenen Tilidin-Tropfen auf zuletzt 800 bis 1000 mg täglich steigerte.
Der psychodiagnostische PHQ-D-Fragebogen, den sie ausfüllte, legte den Verdacht auf eine schwere depressive Störung nahe. „Ein solcher Test ist natürlich nur ein erster Anhaltspunkt, in Gesprächen muss eine weitere Anamnese vorgenommen werden“, erläuterte Schutter. Die Sozialanamnese zeigte denn auch einige Auffälligkeiten wie Gewalterfahrungen seitens des geschiedenen, alkoholkranken Ehemannes.
„Im Laufe der Gespräche über ihre Kindheit wurde klar, dass der Vater die Patientin missbraucht hatte und eine posttraumatische Belastung letztendlich die Ursache ihrer Beschwerden war. Mit einer guten Anamnese hätte man ihr die langen Jahre der Schmerzen, die Operationen und invasiven Therapien ersparen können.“
Bei der Diagnose können Tools wie der Pain Router helfen, der anhand von Schmerzcharakter und Symptomen Diagnosen stellt und zugrunde liegende Schmerzmechanismen identifiziert.
„Wenn wir den Schmerzmechanismus erkannt haben, dann können wir eine Mechanismen-orientierte Therapie vornehmen, und das ist in dem oben beschriebenen Fall eben kein Opioid“, so Schutter. „Wenn medikamentös, würde man hier allein mit einem Antidepressivum behandeln, aber eine wirklich gute Chance weiterzukommen, haben solche Patienten nur mit einer multimodalen Schmerztherapie.“
Dass Patienten in die Abhängigkeit abrutschen, lässt sich laut Schutter letztlich nur durch Teamarbeit verhindern. „An der multimodalen Schmerztherapie schätze ich sehr, mit Kollegen aus der Allgemeinmedizin, Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie oder Suchtmedizin am Tisch zu sitzen. In diesen Teambesprechungen lerne ich manchmal meine Patienten von ganz anderer Seite kennen. Damit lässt sich Abusus recht gut vermeiden.“
REFERENZEN:
1. 26. Deutscher interdisziplinärer Schmerz- und Palliativkongress, 4. bis 7. März 2015, Frankfurt/Main
Diesen Artikel so zitieren: Opioide: Vier Fragen machen deutlich, ob eine Langzeittherapie ohne Suchtgefahr möglich ist - Medscape - 1. Apr 2015.
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