Opioide: Vier Fragen machen deutlich, ob eine Langzeittherapie ohne Suchtgefahr möglich ist

Gerda Kneifel

Interessenkonflikte

1. April 2015

Frankfurt/Main – Opioide sind aus der Schmerzmedizin nicht mehr wegzudenken. Doch gleichzeitig werden Schmerzpatienten, die langfristig darauf angewiesen sind, nur allzu schnell als Süchtige abgestempelt, beklagten Schmerzmediziner auf dem Symposium „Schmerzmedizin und Suchtmedizin – zwei Welten?“ beim Schmerz- und Palliativtag 2015. Die neue S3-Leitlinie zur „Langzeitanwendung von Opioiden bei Nicht-Tumorbedingen Schmerzen“ – LONTS – könnte das bald ändern, denn sie unterstützt nunmehr Opioid-Therapien auch über 3 Monate hinaus – sofern der therapeutische Nutzen nachgewiesen ist.

Es ist in Ordnung, die Datenlage zu beschreiben, aber bei sämtlichen Untersuchungen handelte es sich um von der Pharmaindustrie gesponserte Zulassungsstudien. Dr. Gerhard Müller-Schwefe

„Das ist ein sehr großer Fortschritt“, freute sich Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Leitender Arzt des Schmerz- und Palliativzentrums Göppingen sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V., „auch ein Auto ist ja keine Todesmaschine, nur weil man damit verunglücken kann“.

Opioide in der Diskussion

Fakt ist, dass sich die Verordnungsraten für Opioide in Deutschland von 2000 bis 2010 mehr als verdoppelt haben. Das heißt für Müller-Schwefe aber nicht, dass „wir nun ein Volk von Süchtigen sind und wir den Geist, den wir einst riefen, nicht mehr in die Flasche bekommen“. Hintergrund sei vielmehr, dass die kardiovaskulären Risiken der nichtsteroidalen Entzündungshemmer zunehmend bekannt würden. Das schränke ihren Gebrauch ein und erhöhe mangels Alternativen den Gebrauch von Opioiden.

Die Diskussion bleibt jedoch kontrovers, die Interpretation der Datenlage zu Wirksamkeit und Risiken umstritten. Die Einstellung gegenüber Opioiden unterliegt einer Art Pendelbewegung, so Müller-Schwefe. Der erste Ausschlag war die Öffnung des Opioid-Stufenschemas der WHO für Tumorpatienten für alle Formen von Schmerzen. Dies als Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Schmerzentstehung bei allen Diagnosen gleich abläuft.

Dann schlug das Pendel um: Das Suchtpotenzial der Opioide rückte in den Mittelpunkt. Auch viele Ärzte waren überzeugt, dass langfristig angewendete Opioide immer süchtig machten und sich  langfristig – unabhängig von der Dosierung – zwangsläufig eine Toleranz entwickle.

Durch die 2008 aufgelegten S3-Leitlinien zur LONTS fühlten sich viele in ihren Vorbehalten bestätigt, denn auch die Leitlinie sprach sich gegen eine länger als 3 Monate andauernde Behandlung mit Opioiden aus – dies mit der Begründung, dass es keine Daten gibt, die die Sicherheit für eine länger als 3 Monate andauernde Therapie belegen.

„Es ist in Ordnung, die Datenlage zu beschreiben, aber bei sämtlichen Untersuchungen handelte es sich um von der Pharmaindustrie gesponserte Zulassungsstudien“, gab Müller-Schwefe zu bedenken. Und hier waren auch keine längeren Daten gefordert.

„Diese Studien bildeten die Grundlage für diese Leitlinie, ohne nach Lebensqualität oder Möglichkeiten der Interaktionen zu fragen. Sie fragen ausschließlich nach Wirksamkeit und Nebenwirkungsspektrum. Wenn das als Basis für therapeutische Optionen genommen wird, ist die Aussagekraft entsprechend beschränkt. Es hat jedoch dazu geführt, dass Patienten, die länger als drei Monate Opiate nahmen, als Süchtige stigmatisiert wurden und dass viele Kollegen ihren Patienten die Opioide nach dieser Zeit verweigern“, so der Schmerztherapeut. 

Was ist neu bei LONTS?

Dass LONTS nun Langzeittherapie auch bei bestimmten Begleiterkrankungen für sinnvoll hält, ist ein sehr, sehr großer Fortschritt. Dr. Ulf Schutter

Die Datenlage hat sich zwar nicht verändert, trotzdem wurde im Herbst 2014 die S3-Leitlinie unter der Leitung der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. aktualisiert. Die Autoren erkennen hierin die praktischen Erfahrungen mit der Langzeitanwendung von Opioiden an. Ein Arzt darf diese Schmerzmittel also auch länger als 3 Monate anwenden, sofern er den therapeutischen Nutzen und die gute Verträglichkeit dokumentiert.

Neu ist auch, dass die Leitlinie zur LONTS seit Herbst bestimmte Begleiterkrankungen nicht mehr von einer langfristigen Opioidbehandlung ausschließt. Sollte bis Ende letzten Jahres etwa ein Patient, der aufgrund starker Rückenschmerzen eine Indikation für eine Opioid-Langzeittherapie hat, gleichzeitig aber an Fibromyalgie leidet, nach den Leitlinien nicht mit Opioiden behandelt werden, sind die Vorgaben nun weicher formuliert.

Es muss laut Leitlinie lediglich ausgeschlossen werden, dass die Begleiterkrankungen die Ursache für das Schmerzsyndrom sind. Die Leitlinien tragen damit der Tatsache Rechnung, dass Fibromyalgie und andere Erkrankungen auch als Komorbidität auftreten können und als solche kein Ausschlusskriterium darstellen dürfen.

„Dass LONTS nun Langzeittherapie auch bei bestimmten Begleiterkrankungen für sinnvoll hält, ist ein sehr, sehr großer Fortschritt“, betonte auch Dr. Ulf Schutter, Schmerztherapeut und leitender Arzt der multimodalen Schmerztherapie am Marienhospital in Marl.

Kommentar

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