Frankfurt/Main – Opioide werden seit Jahrhunderten in der Schmerztherapie eingesetzt, doch die damit verbundene Suchtgefahr erfordert es, als Arzt wachsam zu bleiben. Auf dem Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main gab es Tipps, wie man die Abhängigkeit bei einem Patienten erkennen und gegebenenfalls behandeln kann.
„In der Hausarztpraxis ist jeder 20. Patient ein Suchtkranker und bei Schmerzmedizinern müsste der Anteil noch höher sein“, vermutete Dr. Klaus Weckbecker, Suchtmediziner aus Bad Honnef auf dem Symposium „Schmerzmedizin und Suchtmedizin – zwei Welten?“. „Daten dazu gibt es keine, aber wir wissen, dass wir mit einer substitutionsgestützten Therapie die Mortalität und Morbidität der Suchtkranken extrem gut senken können.“
Mit multimodaler Therapie Rückfällen vorbeugen
Wie aber erkennt man, ob bei einem Schmerzpatienten eine Medikamentensucht vorliegt? „Für eine erste Einschätzung hilft schon eine einfache Frage“, berichtete Weckbecker aus seinen Erfahrungen als Suchtmediziner: „Fragen Sie Ihren Patienten, in welcher Situation er die Tabletten nimmt. Nimmt er sie zum Beispiel, um mit seinem Enkel in den Zoo gehen zu können? Wenn er antwortet, dass er sie brauche, weil er sich unwohl fühlt und es ihm danach besser geht, ist das ein Warnsignal.“
Für die Therapie einer physischen Abhängigkeit gibt es 3 grundlegende Möglichkeiten: Die Opioidrotation, also beispielsweise der Wechsel von kurz- auf langwirksame Opiate, Entgiftung oder substitutionsgestützte Therapie.
Eine Entgiftung kann über die schrittweise Reduktion des Opioids ambulant vorgenommen werden, wobei kleine Dosissprünge helfen, Entzugserscheinungen zu vermeiden. Beim stationären Entzug gibt es 2 Möglichkeiten des Herangehens: Entweder wird auch hier schrittweise die Dosis reduziert, wenn oft auch in etwas größeren Schritten, oder aber das Opioid wird abrupt abgesetzt bei gleichzeitiger Begleitmedikation etwa mit Clonidin, um die dabei entstehenden Entzugssymptome zu verhindern.
In jedem Fall sollte der Entzug im Rahmen einer multimodalen Therapie geschehen, bei der die Suchtkranken beispielsweise psychotherapeutisch begleitet werden. Bei einem Entzug ohne weitere Maßnahmen ist die Rückfallquote sehr hoch. „Wir springen hier oft zu kurz“, kritisierte Weckbecker. „Trotzdem ist die Entgiftung eine Option, die Sie – auch stationär – durchführen können.“
Substitution als langfristige Therapie
„Die substitutionsgestützte Therapie ist ein multimodales Vorgehen, bei dem das Substitutionsmittel nur ein Teil der Therapie ausmacht“, so Weckbecker. „Interessant und entlastend für Sie ist dabei, dass ein Opiatentzug nie gefährlich ist. Er ist extremst unangenehm und psychisch extremst belastend, aber nicht lebensgefährlich – im Gegensatz etwa zum Alkoholentzug, bei dem es zu lebensgefährlichen Krampfanfällen und Deliren kommen kann.“
Eine Substitutionstherapie ist nicht nur sicher, sie ist auch effektiv. So lässt sich zum Beispiel die Stimmung sehr gut stabilisieren und die Alltagstauglichkeit der Patienten sehr schnell wiederherstellen. Sie sind arbeitsfähig und können auch Auto fahren. Nicht zuletzt ist die Abhängigkeit sofort unter Kontrolle und der Patient verliert augenblicklich den Druck, sich die Medikamente besorgen zu müssen.
„Die Suche nach der Droge wird meist zum Lebensmittelpunkt. Das alles wird ihm erspart, weil er mit einem Suchtmediziner über das Problem sprechen und der ihn behandeln kann. Das verbessert letztendlich auch die Behandlungs-Compliance, weil man gemeinsam über das weitere Vorgehen spricht.“
Wichtig zu beachten ist allerdings, dass sich die Indikation ändert. „Sie behandeln nicht mehr einen Schmerz-, sondern einen Suchtpatienten. Dadurch ändert sich die Dosierung der Medikamente. Das ist, als würden Sie Aspirin gegen Schmerzen oder zur Vorbeugung eines Herzinfarkts verschreiben. In den unterschiedlichen Indikationsfeldern gibt es komplett andere Dosierungen. Also lassen Sie sich bitte auf die Dosierungen der Suchtmediziner ein“, appellierte der Arzt aus Bad Honnef.
Eine Substitutionstherapie ist langfristig angelegt. „Nach rund zwei Jahren können erste Auslassversuche unternommen werden“, so Weckbecker, „Daten hierzu haben wir zwar aus Deutschland noch nicht, aber in Amerika werden die ersten Versuche nach ein bis zwei Jahren gemacht. Zur Dauer der Substitution von Schmerzpatienten wird in den nächsten Jahren noch viel zu forschen sein. Sicher ist allerdings, dass bei Heroinsüchtigen noch deutlich länger substituiert wird.“
Diesen Artikel so zitieren: Wandern auf schmalen Grat: Was tun, wenn die Schmerztherapie zur Sucht wird? - Medscape - 30. Mär 2015.
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