Mäusestudie befeuert Diskussion um Krebsgefahr durch Mobiltelefone

Michael Simm

Interessenkonflikte

27. März 2015

Erneut haben Wissenschaftler in einer tierexperimentellen Untersuchung Hinweise darauf gefunden, dass elektromagnetische Felder die Tumorraten unter krebserregenden Substanzen erhöhen können. „Unsere Studie zeigt, dass Mobilfunkfelder die Ausbreitung bereits vorhandener Tumore verstärken. Für die Annahme, dass sie Krebs verursachen können, gibt es hingegen bislang keine Hinweise“, erklärt der Biologe Prof. Dr. Alexander Lerchl, der die Untersuchung gemeinsam mit seinen Kollegen der Jacobs University Bremen und der Universität Wuppertal durchgeführt hat.

Ob die Erkenntnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist unklar. „Die Beweislast über die dahinter stehende Frage, ob Mobiltelefone Krebs erregen können, wurde an der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC, einer Behörde der Weltgesundheitsorganisation WHO, von einem internationalem Expertenpanel intensiv evaluiert“, erklärt gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Insbesondere bei Hirntumoren, wo die größten Befürchtungen bestehen, habe das Panel keine klaren Beweise für eine krebsauslösende Wirkung gefunden – und auch nicht für eine tumorfördernde Wirkung.

 
Unsere Studie zeigt, dass Mobilfunkfelder die Ausbreitung bereits vorhandener Tumore verstärken. Für die Annahme, dass sie Krebs verursachen können, gibt es hingegen bislang keine Hinweise. Prof. Dr. Alexander Lerchl
 

Tumorförderung durch Bestrahlung?

In der aktuellen Untersuchung hatten Lerchl und seine Kollegen Mäuse miteinander verpaart und potenziell trächtige Weibchen ab dem 6. Tag danach verschieden starken elektromagnetischen Feldern bzw. einer Scheinbestrahlung ausgesetzt [1]. Am Tag 14 – und damit 7 Tage vor der Geburt – wurde das Karzinogen N-Ethyl-N-nitrosoharnstoff (ENU) intraperitoneal injiziert. Die Nachkommen wurden in 4 Gruppen à 96 Tieren bis zur Autopsie ununterbrochen weiter exponiert bzw. scheinexponiert. Die 3 Expositionsstärken entsprachen 0,04 Watt/kg spezifische Absorptionsrate SAR, 0,4 W/kg SAR und 2 W/kg SAR.

Zum Ende des Experiments nach 72 Wochen fanden die Forscher eine doppelt so hohe Rate an bronchialalveolären Karzinomen bei niedriger und mittlerer Exposition gegenüber einer Scheinexposition.

Auch hepatozelluäre Karzinome wurden nach niedriger, mittlerer und hoher Exposition annähernd doppelt so häufig festgestellt wie bei den scheinexponierten Mäusen.

Schließlich war auch unter mittlerer Exposition die Rate von Lymphomen gegenüber der Kontrolle um das 2,5-Fache erhöht. Eine Dosis-Wirkungsbeziehung konnten die Wissenschaftler bei keiner der 3 Krebsarten beobachten.

 
Die wenigen vorliegenden Daten, die auffällige Häufungen bestimmter Hirntumoren bei Vieltelefonierern andeuten, werden von Experten kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet. Krebsinformationsdienst am DKFZ
 

Die überwältigende Mehrheit der in-vitro- und in-vivo-Studien hat bisher keine Hinweise auf kanzerogene Wirkungen elektromagnetischer Felder (EMF) ergeben, wie sie beispielsweise von Handys und Mobilfunksendern ausgehen, erinnern Lerchl und seine Kollegen in ihrer Facharbeit in den Biochemical and Biophysical Research Communications.

Vorläuferstudie bestätigt

Bei mit Karzinogenen vorbehandelten Mäusen jedoch hatte zumindest eine Untersuchung tumorfördernde Effekte der EMF gefunden [2]. Diesen Befund haben die Forscher um Lerchl nun mit einer größeren Anzahl von Versuchstieren und 2 zusätzlichen Feldstärken bestätigt. „Die Zahl der Tumoren in Lunge und Leber war signifikant höher als bei scheinexponierten Tieren”, erklären sie. „Außerdem haben wir eine signifikant höhere Rate von Lymphomen festgestellt.”

Einige der Effekte seien auch bei Expositionswerten unterhalb der bestehenden Grenzwerte gefunden worden, nämlich bei Absorptionsraten von 0,04 und 0,4 Watt je Kilogramm Körpergewicht. Dies sei „besorgniserregend”, auch wenn Tierversuche im Allgemeinen nicht ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen sind.

Weitere Vorbehalte, die in der Publikation auch angesprochen wurden, sind die Tatsache, dass das Karzinogen ENU bereits pränatal verabreicht wurde, und dass man nicht weiß, zu welchen Zeitpunkten die tumorfördernden Eigenschaften dieser Chemikalie wirksam waren. Der Aufbau von Experimenten dieser Art sei manchmal schwer zu reproduzieren, insbesondere hinsichtlich der Stärke und Dauer der Exposition mit EM-Feldern.

So hatte Michael Repacholi – damals noch am Royal Adelaide Hospital in Australien – mit seinen Kollegen tumorfördernde Effekte von EM-Feldern bei transgenen Mäusen gezeigt, die eine Veranlagung für Lymphome hatten [3]. 2 Folgestudien durch andere Arbeitsgruppen konnten diesen Befund indes nicht bestätigen, allerdings waren die Tiere hier in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Strahlenschützer nennen Schutzmaßnahmen

Das Bundesamt für Strahlenschutz, das die aktuelle Studie in Auftrag gegeben hatte, rät einstweilen zu verschiedenen Vorsichtsmaßnahmen:

  • - Wenn möglich, sollte das Festnetztelefon genutzt werden, und Handy-Gespräche möge man kurz halten.

  • - Beim Kauf der Geräte sollten Verbraucher auf einen möglichst niedrigen SAR-Wert achten.

  • - Schließlich empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz, bei schlechtem Empfang nicht mit dem Handy zu telefonieren, weil die Geräte dann automatisch die Sendeleistung erhöhen. Hier könnte eine gute Antenne (im Auto) oder ein Head-Set Abhilfe leisten.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird in 9 von 10 Haushalten mit dem Handy telefoniert, meist gibt es mehrere Geräte. Biologische Mechanismen, mit denen die Strahlung von Handys oder Sendeanlagen Krebs auslösen könnten, sind bisher nicht bekannt.

Ähnlich wie Lerchl und seine Kollegen fasst auch der Krebsinformationsdienst am DKFZ die aktuelle Kontroverse zusammen: „Die Mehrzahl der weltweiten Beobachtungsstudien bei Handynutzern hat keine Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko erbracht. Besonders achteten Forscher dabei auf das Risiko für Leukämien, Hodentumoren, Augentumoren und andere Tumoren in der Kopf-Hals-Region. Die wenigen vorliegenden Daten, die auffällige Häufungen bestimmter Hirntumoren bei Vieltelefonierern andeuten, werden von Experten kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet.”

Wirkmechanismus unbekannt

 
Es gibt deutlich wichtigere Gesundheitsrisikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, einen zu hohen Alkoholkonsum oder auch Mangel an körperlicher Aktivität. Prof. Dr. Rudolf Kaaks
 

Die Bewertung der IARC lautet, Handystrahlung sei „möglicherweise oder auch vielleicht krebserregend“ – das entspricht der Stufe 2b auf einer 4-stufigen Skala. Stufe 1 bedeutet krebserregend, Stufe 2a wahrscheinlich krebserregend, Stufe 3 Bewertung nicht möglich und Stufe 4 wahrscheinlich nicht krebserregend. Wie Kaaks anmerkt, hätten einige Fachleute die Handystrahlung eher in Stufe 3 einordnen wollen, aber auch Stufe 2b würde die vorliegende Beweislast bereits relativieren.

Die Ursachen der neuen Befunde möchte Lerchl nun abklären und fordert dazu weitere Forschungsprojekte. „Wir können die beschriebenen Effekte eindeutig nachweisen. Nun müssen weitere Untersuchungen die Wirkmechanismen aufklären“, sagte er.

Sein Kollege Kaaks dagegen setzt andere Prioritäten: Er werde sein Handy weiterhin benutzen, sagt er gegenüber Medscape Deutschland. „Es gibt extrem viele Risiken im Leben, und es gibt deutlich wichtigere Gesundheitsrisikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, einen zu hohen Alkoholkonsum oder auch Mangel an körperlicher Aktivität.“

 

REFERENZEN:

1. Lerchl A, et al: Biochem Biophys Res Commun (online) 5. März 2015

2. Tillmann T, et al: Int J Radiat Biol. 2010; 86:529-541

3. Repacholi MH, et al: Radiat Res. 1997; 147:631-640

 

Kommentar

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