Ältere Menschen mit Demenzrisiko können den geistigen Verfall bremsen – mit einer Kombination aus gesunder Ernährung, Bewegung, Kognitionstraining sowie einer engmaschigen Überwachung vaskulärer Risiken.
Dies hat nun erstmals eine großangelegte doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie aus Skandinavien nachgewiesen. In Bezug auf die Prävention der Alzheimer-Krankheit ist die Studie „sicherlich ein Meilenstein“, meint Prof. Dr. Tobias Hartmann, Direktor des Deutschen Instituts für Demenzprävention (DIDP) der Universität des Saarlandes.
Bei der skandinavischen Untersuchung handelt sich um eine der bisher größten Studien zur Demenzproblematik. Sie ist vor kurzem im Fachjournal The Lancet veröffentlicht worden [1]. Von vorangegangenen Studien unterscheidet sich die Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability (FINGER) vor allem durch ihren multimodalen Ansatz.
Ein multimodaler Ansatz gegen eine multifaktorielle Erkrankung
„Kognitive Störungen, Demenz und die Alzheimer-Krankheit sind komplexe, multifaktorielle Erkrankungen“, schreibt das Forscherteam um Dr. Tiia Ngandu vom National Institute for Health and Welfare in Helsinki und dem Karolinska Institute in Stockholm. So sei es nur konsequent, auch eine multimodale Interventionsstrategie gegen die bekannten Risikofaktoren, wie Übergewicht und Bluthochdruck, anzuwenden.
In meist deutlich kleineren und kürzer angelegten Studien sind bislang immer nur einzelne Interventionsmöglichkeiten untersucht worden. Darin zeichnete sich allerdings bereits ab, dass die geistigen Fähigkeiten mit Faktoren wie körperlicher Aktivität und Kognitionstraining beeinflusst werden könnten.
Der in der FINGER-Studie beschriebene Aufwand für den Einzelnen sei keinesfalls zu hoch, so Hartmann: „Einerseits ist dieses Programm nicht für jeden gedacht, sondern für eine definierte Risikogruppe. Andererseits sollte man die Kosten einer solchen Intervention im Vergleich zu medikamentösen Interventionen sehen, die ebenfalls die Demenz aufhalten oder verzögern sollen. Vermutlich werden die ersten dieser Medikamente, wenn es sie jemals geben wird, zumindest anfangs sehr teuer sein.“
Interventionen, wie in der FINGER-Studie beschrieben, wirkten zudem nicht nur bei der Alzheimer-Krankheit präventiv, sondern auch bei vielen anderen Krankheiten und verbesserten so allgemein die Lebensqualität. „Ein Aspekt, der bei der Frage des Aufwandes nicht zu unterschätzen ist“, so der Homburger Experte.
Die Studienpopulation entsprach der realen Risikogruppe in der älteren Bevölkerung
Insgesamt 1.260 Frauen und Männer zwischen 60 und 77 Jahren sind an 6 finnischen Zentren in die FINGER-Studie aufgenommen worden. Einschlusskriterium war ein erhöhtes Demenzrisiko, ermittelt durch den CAIDE (Cardiovascular Risk Factors, Aging and Dementia) Dementia Risk Score (mindestens 6 von 15 Punkten). Außerdem durften die Studienteilnehmer in Kognitionstests – ihrem Alter entsprechend – maximal durchschnittliche bzw. leicht unterdurchschnittliche Leistungen zeigen. Durch diese Auswahl wollte man der realen Risikogruppe in der älteren Allgemeinbevölkerung so nahe wie möglich kommen.
Zu Beginn der zweijährigen Studienperiode wurden alle Teilnehmer über gesunde Ernährung informiert sowie darüber, wie sie mittels körperlicher, kognitiver und sozialer Aktivitäten vaskulären Risiken und anderen Erkrankungen vorbeugen können.
Das Programm: Gesunde Ernährung, Bewegung, Kognitionstraining und Überwachung vaskulärer Risiken
Die Studienteilnehmer wurden in 2 Gruppen randomisiert. Die Interventionsgruppe folgte – anders als die Kontrollgruppe – einem aus 4 Modulen bestehenden Programm. Dies beinhaltete zum einen eine umfassende Ernährungsberatung in 3 Einzel- und 7 bis 9 Gruppensitzungen. Dabei wurde den Teilnehmern u.a. empfohlen, viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, fettarme Milch- und Fleischprodukte sowie wenig Zucker zu essen. Außerdem sollten sie mindestens 2 Portionen Fisch pro Woche zu sich nehmen und statt Butter Pflanzenmargarine oder Rapsöl verwenden.
Außerdem folgten sie einem Fitnessprogramm, bestehend aus einem individuell angepassten Muskeltraining (ein- bis dreimal pro Woche) und Aerobic-Übungen (zwei- bis fünfmal pro Woche).
Im 3. Modul wurden die kognitiven Fähigkeiten der Probanden trainiert. Insgesamt zehnmal trafen sich die Teilnehmer hierfür zu Gruppensitzungen unter der Leitung eines Psychologen. Zusätzlich sollten sie dreimal die Woche für 10 bis 15 Minuten mit einem speziell für die Studie entwickelten Computerprogramm trainieren.
Das 4. Modul bestand schließlich aus der regelmäßigen Überprüfung metabolischer und kardiovaskulärer Risikofaktoren, wie Blutdruck, Gewicht und Body-Mass-Index (BMI), sowie kontinuierlichen Blutuntersuchungen. Dies erfolgte zwar bei beiden Studiengruppen, die Probanden der Kontrollgruppe trafen sich dazu allerdings nur dreimal nach 6, 12 und 24 Monaten mit einer Studienassistentin.
Die Teilnehmer in der Interventionsgruppe sahen die Studienassistentin zusätzlich auch nach 3, 9 und 18 Monaten sowie einen Arzt nach 3, 6 und 12 Monaten. Bei jedem dieser Termine wurden die Studienteilnehmer über die Bedeutung der Messergebnisse aufgeklärt. Wurde dabei medizinischer Interventionsbedarf festgestellt, sollten die Probanden ihren Hausarzt kontaktieren.
Als primärer Wirkparameter diente die Änderung der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit nach dem zweijährigen multimodalen Programm, gemessen mit einer neuropsychologischen Testbatterie (NTB), bestehend aus verschiedenen Komponenten zur Erfassung spezifischer episodischer Gedächtnisfunktionen (angegeben jeweils mit eigenen Z-Scores).
Ein aktiver und gesunder Lebensstil zahlt sich aus
Bemerkenswerterweise hatte sich am Ende der zweijährigen Studienperiode die kognitive Leistung sowohl bei den Probanden der Interventionsgruppe als auch bei den Teilnehmern in der Kontrollgruppe verbessert. Die Studienautoren um Ngandu vermuten, dass bereits die einleitende Beratung für alle Studienteilnehmer und das regelmäßige Feedback auf mögliche Risikofaktoren essentiell zu den gemessenen Veränderungen beigetragen haben könnten.
Das bedeutendste Ergebnis ist jedoch, dass der NTB-Summenwert zu allen Testkomponenten in der Interventionsgruppe um 25% mehr zunahm als in der Kontrollgruppe (Z-Score: +0,20 in der Interventionsgruppe vs +0,16 in der Kontrollgruppe).
In der Faktoren-Analyse der einzelnen NTB-Komponenten erwiesen sich dabei besonders die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die exekutiven Funktionen, also strategisches Handeln, Impulskontrolle und Aufmerksamkeitssteuerung, als maßgeblich. So verbesserten sich in der Interventionsgruppe die Verarbeitungsgeschwindigkeit um 150% (Z-Score +0,10 vs +0,04) und die Exekutivfunktionen um 83% (Z-Score: +0,09 vs +0,05).
Kleine Veränderungen mit großem Potenzial
In absoluten Zahlen mögen die Unterschiede zwischen beiden Gruppen zwar noch immer sehr klein anmuten. Aber: Noch nie zuvor war es überhaupt gelungen, Effekte in einem so frühen Demenzstadium nachzuweisen.
Die Autoren sehen darin großes Potenzial: „Diese kleinen Veränderungen implizieren große Effekte“, schreiben sie. „Wenn die positiven Effekte auf die Kognition aus der FINGER-Studie nur zu kleinen Verzögerungen beim Auftreten von Demenz und der Alzheimer-Krankheit führen, könnte dies bedeutende Effekte auf individueller und gesellschaftlicher Ebene nach sich ziehen.“ Beispielsweise bedeute ein um 5 Jahre verzögertes Auftreten der Alzheimer-Krankheit eine Verringerung der Krankheitsprävalenz um 50% in 50 Jahren. Gespannt sind die Autoren deshalb auf die Auswertung des geplanten 7-Jahres Follow-up bei den Studienteilnehmern.
Hartmann ist sich jetzt schon sicher, dass die Unterschiede zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe noch deutlicher zutage treten werden. „Innerhalb der untersuchten Bevölkerung werden Menschen mit unterschiedlich weit vorangeschrittener (noch symptomfreier) Alzheimer-Krankheit sein“, erklärt er. Probanden, bei denen die Erkrankung besonders weit vorangeschritten ist, würden besonders gut von der intensiven Intervention profitieren. „Je weiter die Zeit – und damit die Krankheit – voranschreitet, umso deutlicher wird der Unterschied werden.“
REFERENZEN:
1. Ngandu T, et al: Lancet (online) 11. März 2015
Diesen Artikel so zitieren: Studie zur Demenzvorbeugung belegt erstmals: Der geistige Verfall lässt sich aufhalten – mit multimodaler Therapie - Medscape - 26. Mär 2015.
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